Gebetsschule - VI. Zugang finden zum Gebet des Rosenkranzes

Nach dem Vaterunser und dem Ave Maria ist das Gebet des Rosenkranzes das weltweit in der Kirche meist verbreitete Gebet. Viele Millionen Katholiken beten es täglich. Viele Millionen haben dazu keinen Zugang gefunden. In einer Schule des Gebetes sollte diese international verbreitete Weise des Gebetes nicht ausgespart bleiben.

Meine erste Wahrnehmung und Begegnung mit dem Rosenkranzgebet verbinde ich mit einer Aufgabe, die mir in der Zeit der Grundschule mein Vater als Messner unserer Heimatkirche gegeben hat. Ich sollte für die Leute, die jeden Abend in der Kirche den Rosenkranz beteten, ein Licht am Tabernakel und zwei Kerzen anzünden und dann zum Schluss die Angelus-Glocke läuten. Im Winter verbrachte ich diese lange halbe Stunde nicht mit den viel älteren Leuten in der Kirche, sondern viel lieber im Heizungskeller unter der Kirche vor dem großen Koksofen. Dort hörte man das Beten des Rosenkranzes aus der Ferne, ganz verhalten und in einer eigenartigen und heimeligen Stimmung. Es hatte etwas „Meditatives“. Aber dieses Wort kannte ich damals noch nicht.

Zum Weißen Sonntag bekam ich einen Rosenkranz geschenkt. Doch ich kann mich nicht erinnern, dass der damals eine Rolle für mich gespielt hat. Ich habe zwar die Gesätzchen mit der Zeit gekannt und konnte sie aufzählen. Es sollte aber noch Jahre dauern, bis ich den Rosenkranz für mich entdeckte und nach und nach schätzen lernte. Ich konnte damals den Rosenkranz mitbeten und die vielen Wiederholungen mitmachen, aber wartete eigentlich immer auf das „Ehre sei dem Vater“. Freude am Rosenkranz konnte sich erst einstellen, als ich lernte, die verschiedenen Gesätzchen zu „betrachten“. Damit bekam der Rosenkranz für mich einen anderen Charakter. Er wurde mehr und mehr zu einem meditativen Gebet. Damit eröffnete sich für mich der Zugang zum Beten des Rosenkranzes.

Als Theologiestudent machte es mir Freude, die einzelnen Gesätzchen zu variieren (z.B. der von den Toten auferstanden ist, den der Vater auferweckt hat, der den Jüngern erschienen ist, den der Vater verherrlicht hat, den der Vater gerechtfertigt hat). Ich begann, mir die einzelnen Geheimnisse des Glaubens bildhaft vorzustellen und fing an, Bilder zu sammeln zu den verschiedenen Gesätzchen. Später in der Seelsorge begann ich z.B. bei Besinnungstagen, am Abend zum Rosenkranz mit Bildern zu den einzelnen Geheimnissen des Glaubens einzuladen.

Ich erlebte, dass viele auf diese Weise Zugang fanden zum Rosenkranz als einem betrachtenden Gebet. Die Bilder waren offensichtlich eine Hilfe, mit den Gedanken bei den einzelnen Szenen aus dem Leben Jesu und Mariens zu verweilen. Manchmal musste ich darauf hinweisen, die einzelnen „Ave Maria“ etwas leiser zu beten, was eine eher meditative Stimmung ergibt und eine Schwerpunktverlagerung auf die Mitte der jeweils genannten Glaubensgeheimnisse. Die zehnfache Wiederholung wird dann wie zu einem Zeitraum der Betrachtung. Dies ist die uralte Erfahrung der Einsiedler und Mönche, die für ihr mehr meditatives Beten immer neue Weisen von wiederholenden Gebeten entwickelten.

Die ständig wiederholten Ave Maria schaffen gewissermaßen den Raum, die Geheimnisse des Glaubens zusammen mit Maria zu betrachten. Maria ist vielen dieser Geheimnisse des Glaubens auf eine ganz tiefe Weise verbunden. Mit ihr schauen wir auf die Ereignisse im Leben Jesu, die es im Rosenkranz zu betrachten gilt. Sehr anregend wurde für mich, was Pater Kentenich im Konzentrationslager Dachau in einem Vorbereitungsgebet zum Rosenkranz in Versform gefasst hat:

Lass, Vater, uns der Sinne Tore schließen
und helles Licht in unsere Seele fließen;
führ tief uns in des Glaubens warmen Schein
in das Geheimnis der Erlösung ein.

Wir möchten den Erlöser still begleiten,
wie wir im Rosenkranz ihn sehen schreiten,
vereint mit seiner starken Mutter-Braut,
die er als Helferin sich angetraut.

Gib uns die Gnad', im Herzen zu erfassen,
danach zu formen unser Tun und Lassen,
was jeweils das Geheimnis nah uns bringt,
wie es im Rosenkranz ins Ohr uns dringt.

Lass in dem Liebesmeere uns versinken,
aus dem der Rosenkranz uns reich lässt trinken;
entzünde unseren schwachen Opfermut
an Christi und der Mutter Liebesglut.

( J. Kentenich, Himmelwärts, S. 91)

An dieser Stelle sollen auch die verschiedenen Ereignisse genannt werden, die uns die Kirche im Gebet des Rosenkranzes zur Betrachtung vorlegt. Zu den bekannte freudenreichen, schmerzensreichen und glorreichen Rosenkranzgeheimnisse hat Papst Johannes-Paul II. die licht­reichen Geheimnisse dazu gefügt:

Die freudenreichen Geheimnisse

Jesus, den du, o Jungfrau, vom Heiligen Geist empfangen hast
Jesus, den du, o Jungfrau, zu Elisabet getragen hast
Jesus, den du, o Jungfrau, in Betlehem geboren hast
Jesus, den du, o Jungfrau, im Tempel aufgeopfert hast
Jesus, den du, o Jungfrau, im Tempel wiedergefunden hast

Die lichtreichen Geheimnisse

Jesus, der von Johannes getauft worden ist
Jesus, der sich bei der Hochzeit in Kana geoffenbart hat
Jesus, der uns das Reich Gottes verkündet hat
Jesus, der auf dem Berg verklärt worden ist
Jesus, der uns die Eucharistie geschenkt hat

Die schmerzensreichen Geheimnisse

Jesus, der für uns Blut geschwitzt hat
Jesus, der für uns gegeißelt worden ist
Jesus, der für uns mit Dornen gekrönt worden ist
Jesus, der für uns das schwere Kreuz getragen hat
Jesus, der für uns gekreuzigt worden ist

Die glorreichen Geheimnisse

Jesus, der von den Toten auferstanden ist
Jesus, der in den Himmel aufgefahren ist
Jesus, der uns den Heiligen Geist gesandt hat
Jesus, der dich, o Jungfrau, in den Himmel aufgenommen hat
Jesus, der dich, o Jungfrau, im Himmel gekrönt hat

Das Gebet des Rosenkranzes ist ein wunderbares Gebet, das einen geradezu hineinnimmt in die Art, wie Maria gebetet hat. Im Evangelium heißt es zweimal von ihr, dass sie alles in ihrem Herzen bewahrte (vgl. Lk 2,19.51). Der Rosenkranz mit seinen Geheimnissen geht an dem entlang, was Gott im Leben Mariens gewirkt hat. Man könnte jedes Geheimnis so anschauen, dass es Ereignisse sind, von denen ihr Leben berührt worden ist. Ob wir denken an die Verkündigung des Engels, an den Weg zu Elisabeth, an die Geburt, an die Aufopferung im Tempel oder an das Wiederfinden Jesu im Tempel: alles Ereignisse, die mit ihrem Leben in Berührung stehen.

Und dann die Ereignisse um den Tod des Herrn: Wenn eine davon betroffen war, wenn eine daran mitgelitten hat und nicht weggelaufen ist, dann ist sie es. Wir dürfen den Leidensweg und das Sterben unseres Herrn mit ihr betrachten, meditieren und ausschöpfen. Ähnliches gilt auch für die Geheimnisse um die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu, um den Anfang der Kirche und Pfingsten, wo sie ja auch mitgebetet hat. Immer betrachten wir im Gebet des Rosenkranzes, was Gott wirkt. Da wird noch einmal deutlich, dass Gebet nichts damit zu tun hat, Gott zu „bearbeiten“ und „herumkriegen zu wollen“, sondern dass Gebet vielmehr heißt: hören und sehen wollen, was Gott getan hat und tut.

Der Rosenkranz ist ein Gebet mit Maria und zu Maria. Die Kirche grüßt sie ganz selbstverständlich immer wieder als diejenige, die uns voran hinein gezogen wurde in diese Ereignisse und darin gelebt und geglaubt hat. Und sie weiß aus Erfahrung, dass gerade so auch unser Leben davon berührt werden kann. Indem wir Maria grüßen, indem wir mit ihr diese Geheimnisse des Glaubens anschauen, werden auch wir mitbetroffen von dem, was Gott an ihr gewirkt und ihr geschenkt hat.

Das Beten mit Maria darf nach der Lehre der Kirche immer auch ein Gebet zu Maria sein. Dabei hat die Kirche keine Angst, dass uns dies von Jesus in irgendeiner Weise weglenken würde. Ja, die Kirche hat über Jahrhunderte die gegenteilige Erfahrung gemacht, dass man gerade so in das volle Christsein hineinwächst.

Impulse / Hausaufgaben

  • Wo und wie habe ich bisher das Gebet des Rosenkranzes erlebt und wahrgenommen?
  • Welches Gesätzchen des Rosenkranzes spricht mich am meisten an?
  • Legen Sie sich zu den Geheimnissen des Rosenkranzes Bilder an, von denen Sie sich eine Hilfe zur Betrachtung versprechen.

 

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