Gebetsschule - VIII. Gebet als „konzentriertes Hingegebensein an Gott“

Bei Pater Josef Kentenich fand ich eine vielsagende Formulierung für Gebet, die mir sehr hilfreich geworden ist. Für ihn ist Beten: „Das konzentrierte Hingegebensein an Gott“ (J. Kentenich, Werktagsheiligkeit S. 90) Für mich sagt diese Sicht des Gebetes, dass es beim Beten auf zwei Dinge ankommt. Zunächst braucht es die Mü­he der Konzentration. Jede geistige Tätigkeit verlangt eine gewisse Konzentration. Ich muss anderes weglassen. Andere Arbeit und Beschäftigung, andere Über­legungen und Gedanken, Dinge wie Radio, Fernsehen und PC müssen auf der Seite bleiben. Und dann geht es beim Beten vor allem um Hingabe und Beziehung.

Hier tritt das Wort zurück hinter der Beziehung und der Hingabe, was für Pater Kentenich eine wesentliche Charakterisierung ist für das Gebet. Kentenich kommt in diesem Zusammenhang auf das Bild des Pendels zu sprechen. Dafür findet man bei ihm zwei Verwendungen des Pendelbildes. Ich kannte dieses Bild zuvor mit dem Gesichtspunkt, oben bei Gott verankert und aufgehängt zu sein und völlig frei zu schwingen. In diesem Sinn spricht Kentenich gern von „Pendelsicherheit“ des vorsehungsgläubigen Menschen.

Dann gibt es bei Pater Kentenich noch einmal eine andere Verwendung des Pendelvergleichs: „Beobachten wir einmal ein Uhrpendel. Es bewegt sich Tag und Nacht, doch nicht unaufhörlich, wenn es auch so scheint. Bevor ein Pendel zu neuem Schlage ausholt, hat es eine Ruhepause, wenn auch nur den Bruchteil einer Sekunde. Je größer das Pendel, desto deutlicher kann man die »schöpferische Pause« beobachten. So braucht auch unsere Seele die schöpferischen Pausen des Gebetes während des Tages. Nichts darf uns vom Beten abhalten, auch nicht unsere gehäufte Berufsarbeit“ (Josef Kentenich, Werktagsheiligkeit, S. 91).

Das ununterbrochene Gebet

Wenn wir das Gebet als konzentriertes Hingegebensein an Gott verstehen und vielleicht auch gelegentlich erfahren haben, können wir auch über das sprechen, was in der Heiligen Schrift als „ununterbrochenes Gebet“ auftaucht. Der Apostel Paulus spricht davon in zweien seiner Briefe. Im ersten Brief an die Gemeinde von Thessaloniki fordert Paulus seine dortigen Christen auf: „Betet ohne Unterlass!“ (1 Thess 5,7) Und im Brief an die Epheser finden wir die anspruchsvolle Mahnung: „Hört nicht auf zu beten und zu flehen, betet jederzeit im Geist; seid wachsam, harrt aus und betet für alle Heiligen!“ (Eph 6,18)

Doch wie soll das gehen bei all der notwendigen täglichen Hausarbeit und beruflichen Anstrengung mitten im Alltag von Christen einer Gemeinde, die nicht wie Einsiedler in der Wüste und Mönche im geschützten Raum eines Klosters leben?

Augustinus, einer der ersten großen christlichen Schriftsteller, der bei­de Lebenswelten kennt, hat ununterbrochenes Beten in Zusammenhang mit Sehnsucht gebracht und damit einen gangbaren Weg der Verwirklichung aufgezeigt. Sein Rat lautet: „Willst du das Beten nicht unterbrechen, so unterbrich die Sehnsucht nicht. Denn die Sehnsucht ist dein ununterbrochenes Gebet. Deine Sehnsucht ist dein Gebet. Und wenn du dich unaufhörlich sehnst, so ist es ein immerwährendes Gebet. Nicht umsonst sagt der Apostel ‚Betet ohne Unterlass‘. Aber können wir ohne Unterlass unsere Knie beugen, uns auf dem Boden ausstrecken oder unsere Hände erheben? Nein. Wenn wir auf diese Weise beten sollten, dann ist nach meiner Meinung unaufhörliches Beten unmöglich. Und doch gibt es ein fortwährendes inneres Gebet, und dieses Gebet heißt Sehnsucht.“ (Augustinus, Auslegung der Psalmen 37,14 (PL 36, 404)

Es kann also nicht darum gehen, ständig Worte des Gebetes zu sprechen und sie gebetsmühlenartig zu wiederholen. Es geht vielmehr um eine Möglichkeit, die der Liebe eigen ist, mitten in aller Arbeit und Beschäftigung dem Geliebten verbunden und zugeneigt zu sein. Verliebte können das. Es ist eine Fähigkeit der Liebe.

Sehnsucht nach der Sehnsucht

Sehr treffend kommt dies in einer jüdischen Erzählung zum Ausdruck, die ich bei Martin Buber fand: Ein junger Jude kommt zu einem Rabbi und sagt: „Ich möchte gerne Dein Jünger werden.“ Da antwortete ihm der Rabbi: „Gut, das kannst Du, aber ich habe eine Bedingung. Du musst mir eine Frage beantworten: „Liebst Du Gott?“

Da wurde der Schüler nachdenklich: „Lieben? Das kann ich eigentlich nicht behaupten!“ Der Rabbi sagte freundlich: „Gut, wenn Du Gott nicht liebst, hast Du vielleicht Sehnsucht danach, ihn zu lieben?“

Der Schüler überlegte eine Weile und erklärte dann: „Manchmal spüre ich die Sehnsucht danach, Ihn zu lieben recht deutlich, aber meistens habe ich so vieles zu tun, dass diese Sehnsucht im Alltag untergeht!“

Da zögerte der Rabbi und meinte dann: „Wenn Du die Sehnsucht, Gott zu lieben, nicht so deutlich verspürst, hast Du dann Sehnsucht danach, Sehnsucht zu haben?“

Da hellte sich das Gesicht des Schülers auf: „Genau das habe ich. Ich sehne mich danach, diese Sehnsucht zu haben, Gott zu lieben!“ Der Rabbi entgegnete ihm darauf: „Das genügt, Du bist auf dem rechten Weg!“ (Martin Buber, Chassidische Geschichten)

Ich finde diese jüdische Erzählung von der „Sehnsucht nach der Sehnsucht“ eine sehr tröstliche Geschichte. Mit ihren Gedanken über die Sehnsucht geben uns der Heilige Augustinus und der Phi­losoph Martin Buber einen wichtigen Hinweis für unser Beten. Unser Gebet braucht eine tiefe Verankerung in unserer Sehnsucht, um zu einem andauernden Gebet zu kommen.

In seinem Brief an die Gemeinde von Rom kommt Paulus darauf zu sprechen, dass die ganze Schöpfung sehnsüchtig auf die Offenbarung der Söhne Gottes wartet. Von einem Seufzen und Sehnen der ganzen Schöpfung ist die Rede. Dann spricht Paulus von unserem Beten: „Wir wissen nicht, was wir in rechter Weise beten sollen, der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern.“ (Röm 8,26) In diesem Vertrauen auf den Heiligen Geist, der uns beim Beten hilft und für uns eintritt, sind wir gut beraten, immer wieder uns an ihn zu wenden, der uns von innen heraus bewegen kann. Ein bekanntes Gebet zum Heiligen Geist, das Kardinal Merciers zugeschrieben wird und Pater Kentenich oft gebetet hat, kann uns dabei helfen.

Gebet zum Heiligen Geist

Heiliger Geist, Du bist die Seele meiner Seele.
Ich bete Dich demütig an.
Erleuchte Du mich, stärke Du mich, führe Du mich, tröste Du mich.
Entschleiere mir, soweit es dem Plane des ewigen Vatergottes entspricht, entschleiere mir Deine Wünsche.
Lass mich erkennen, was die ewige Liebe von mir wünscht. Lass mich erkennen, was ich tun soll.
Lass mich erkennen, was ich leiden soll. Lass mich erkennen, was ich still bescheiden, besinnlich aufnehmen, tragen und ertragen soll.
Ja, Heiliger Geist, lass mich Deinen Willen und den Willen des Vaters erkennen. Denn mein ganzes Leben will weiter nichts sein als ein dauerndes, ein immerwährendes JA zu den Wünschen, zum Wollen des ewigen Vatergottes. Amen.

(Kardinal Mercier / Kentenich)

Wo ich gehe – Du!

Martin Buber hat aus der großen Tradition des osteuropäischen Judentums in Anlehnung an den Psalm 139 ein Gebet überliefert, das die Grunderfahrung der Geborgenheit in Gottes Gegenwart auf beeindruckende Weise in Sprache gegossen hat. Diese Konzentration auf das Du, auf Beziehung, kann eine Hilfe werden für „konzentriertes Hingegebensein an Gott“ und in die Rich­tung des inneren Betens. Es ist auch als Lied bekannt geworden unter dem Namen „Dudele“. Es kann anregen, sich hinein zu singen in das Du des lieben Gottes.

„Wo ich gehe – du!
Wo ich stehe – du!
Nur du, wieder du,
immer du!
Du, du, du!
Ergeht`s mir gut – du!
Wenn`s weh mir tut – du!
Nur du, wieder du, immer du!
Du, du, du!
Himmel – du, Erde – du,
Oben – du, unten – du,
Wohin ich mich wende,
an jedem Ende
Nur du, wieder du, immer du!
Du, du, du!“

(Martin Buber, Die Erzählungen der Chassidim. Zürich 1984, S. 342)

Impulse  / Hausaufgaben

  • Was stört für mich erfahrungsgemäß immer wieder die Konzentration, wenn ich eigentlich beten will?
  • Wo habe ich Sehnsucht erleben können? Und gibt es dieses Phänomen auch in meinem Beten?
  • Wann konnte ich einmal einfach beim Gebet bleiben für 10 Minuten, 20 Minuten? Wann ist einmal eine halbe Stunde oder gar mehr daraus geworden?

 

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