Gebetsschule - X. Der Schritt in die Anbetung

Die Gebetsschule im Jahr des Gebetes soll nicht schließen ohne den Schritt hinein in die Anbetung des Herrn in der heiligen Eucharistie. In manchen Gemeinden wird selten oder gar nicht mehr zu eucharistischer Anbetung eingeladen, so dass schon vor Jahren manche meiner Seminaristen eucharistische Anbetung zum ersten Mal im Priesterseminar erlebten. Die meisten kannten zwar den Brauch des ausgesetzten Allerheiligsten verbunden mit beständigem Vorbeten verschiedener Andachten oder des Rosenkranzes. Doch die Aussetzung des Allerheiligsten wurde von vielen lediglich wahrgenommen als Steigerung der Feierlichkeit der jeweiligen Andacht. Eine eigene Qualität von Anbetung als eine tiefere Weise des Betens war ihnen gar nicht zugänglich und erfahrbar geworden. Darum soll es in diesem Kapitel gehen und Wege zur Anbetung sollen dabei sichtbar werden.

Herausgefordert zum Glauben an die Gegenwart des Herrn

Bittgebete und Lobpreis kommen gelegentlich durchaus spontan in uns zum Zug. Und beim Gebet innerhalb der Liturgie werden wir manches Mal geradezu getragen vom Beten und Singen der Mitfeiernden aus der Gemeinde. Bei der Anbetung sind wir oft nur wenige oder gar allein vor dem Allerheiligsten. Gestehen wir uns ruhig ein, dass wir Zeit brauchen, uns auf die Anbetung einzulassen. Hinwege zur Anbetung können durchaus Lieder und Gebete sein wie der bekannte Hymnus von Tho­mas von Aquin. Dieser Hymnus stellt uns die Größe der eucharistischen Gabe vor Augen und fordert uns damit zum Glauben heraus. Beten wir die ersten drei Strophen langsam und lassen wir Wort für Wort gelten:

Gottheit tief verborgen, betend nah ich dir.
Unter diesen Zeichen bist du wahrhaft hier.
Sieh, mit ganzem Herzen schenk ich dir mich hin,
weil vor solchem Wunder ich nur Armut bin.

Augen, Mund und Hände täuschen sich in dir,
doch des Wortes Botschaft offenbart dich mir.
Was Gott Sohn gesprochen, nehm ich glaubend an;
er ist selbst die Wahrheit, die nicht trügen kann.

Einst am Kreuz verhüllte sich der Gottheit Glanz,
hier ist auch verborgen deine Menschheit ganz.
Beide sieht mein Glaube in dem Brote hier;
wie der Schächer ruf ich, Herr, um Gnad zu dir.

Diese Strophen können wie ein Geländer sein, das uns hineinführt in den Glauben an die Gegenwart des Herrn. Man muss die Zumutung des Glaubens aushalten, die Thomas von Aquin in diesem uralten Hymnus ins Wort bringt. Gebete wie dieser Hymnus können helfen, die unwahrscheinliche Größe des Geschenkes der Gegenwart des Herrn bewusst zu machen. Es bleibt die Verborgenheit des großen Gottes. Seine Nähe und Gegenwart kann nur im Glauben und Vertrauen auf Jesu Wort angenommen werden.

Es ist alles andere als selbstverständlich, den Herrn im Glauben so nahe vor sich haben zu dürfen. Wundern wir uns nicht, dass viele diesen Glauben nicht mit uns teilen. Und wundern wir uns auch nicht, wenn wir in diesem Glau­ben bisweilen angefochten werden, mitten im Beten und ohne es zu wollen. Beten wir dann mit dem Vater im Evangelium, der Jesus um die Heilung seines besessenen Sohnes bittet und in seiner Not laut ruft: „Herr ich glau­be, hilf meinem Unglauben.“ (Mk 9,25) Vielleicht ist es an einem Tag sogar nötig, eine ganz Zeit lang bei diesem Wort aus dem Evangelium zu bleiben. Die Zeit der Anbetung lebt davon, dass wir dem Herrn seine Zusage abnehmen, in diesem Brot der Eucharistie gegenwärtig und uns nahe zu sein, uns gegenüber zu sein. In diesem Glauben kann Anbetung beginnen. Anbetung ist ein Beten in der Nähe des Herrn.

In dieser Nähe dürfen wir ihm alles sagen

Wie wenn man heimkommt und erzählt, woher man gerade kommt, was einem beschäftigt und bewegt, gefreut und erfüllt hat, so darf auch hier unser Ankommen sein. Ich darf davon ausgehen, dass den Herrn alles interessiert, weil er mich liebt. Es tut gut, alles sagen zu können. Und nach einer gewissen Zeit ist es dann aber auch genug. Aus Erfahrung wissen wir: Wer immer nur darauf los redet, verhindert ein Gespräch, verhindert Kommunikation. Das gilt auch hier in der Anbetung. Ich muss stoppen in meinem Mitteilen, um die Reaktion meines Gegenübers überhaupt zu ermöglichen. Erst wenn ich aufhöre zu reden, kann ich vernehmen, kann ich ahnen, was der Herr mir sagen will,  ob er sich freuen kann über das, was ich vorgebracht habe… ob er mich bestärken oder vielleicht auch einmal eher bremsen will.

Im Neuen Testament gibt es eine wunderbare Geschichte, die uns in diesem Zusammenhang den Weg weisen kann: „Als sie weiterzogen, kam er in ein Dorf. Eine Frau namens Marta nahm ihn gastlich auf. Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu. Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen zu dienen. Sie kam zu ihm und sagte: Herr, kümmert es dich nicht, dass mei­ne Schwester die Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen! Der Herr antwortete: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden.“ (Lk 10,38-42)

Martha will, dass Jesus ihre Schwester Maria veranlasst, ihr doch zu helfen. Er aber schätzt genau das, wofür Maria sich entschieden hat, nämlich einfach zu seinen Füßen zu sitzen und seinen Worten zuzuhören. Bei der Anbetung geht es um ein schweigendes Verweilen zu Füßen des Herrn, wie es von Maria in Bethanien im Evangelium berichtet wird.

Anbetung lebt vom Geheimnis der Liebe

Anbetung ist ein Zusammensein mit Jesus, wie es Liebende kennen, die fast keine Worte mehr brauchen, um sich zu verstehen und sich gegenseitig ihre Liebe zu zeigen. Manchmal suchen sie nur die Nähe ohne Worte. Unsere deutsche Sprache kennt für zwei so ganz Verliebte die Worte der „Angebetete“ und die „Angebetete“. Sie können ohne Worte ihrer Bewunderung und Sehnsucht Raum geben und erfahren gerade so eine immer größer werdende Über­­einstimmung und Liebe.

Davon gilt es zu lernen für die Zeit der Anbetung. Dem anbetenden Gebet entspricht in besonderer Weise die Stil­le um uns und das Schweigen in uns. Für die Stille um uns können wir sorgen, indem wir z.B. unsere Handys und Smartphones abschalten. Für das Schweigen in uns kann es eine Hilfe werden, bei unserem Beten immer weniger Worte zu wählen, so wie wir es bei dem VII. Kapitel unsere Gebetsschule bedacht und geübt haben, mit immer weniger Worten zu beten. Beginnen Sie ruhig mit den ausführlicheren Beispielen auf Seite 50. Dann könnten Sie einmal versuchen, ganz lange bei dem Wort des Apostels Thomas zu bleiben: „Mein Herr und mein Gott“. Mir hilft das und zuletzt versuche ich es bei der Anbetung bisweilen auch mit der Wiederholung von so kurzen Worten wie „Du“, „Dein“, „Dir“, „Dich“.

Anbetend klein sein vor dem großen Gott

Der anbetende Mensch möchte die unendliche Grö­ße Got­­tes gelten lassen und das eigene Kleinsein wahrnehmen. Er will es zum Ausdruck bringen bis hinein in die „Körpersprache“. Er kennt und übt die Praxis der Kniebeuge, des Kniens, der Verneigung bis zum Boden und im geschützten Bereich z.B. eines Klosters oder einer geistlichen Gemeinschaft bis hin zum ausgestreckten Liegen vor Gott auf dem Boden. In der Prostratio bei der Priesterweihe und den feierlichen Gelübden der Ordensgemeinschaften ist dies bis heute gelebte Praxis. Die verschiedenen Haltungen können eine Hilfe sein, bis hinein in den Körper auszudrücken und zu erfahren, was Gebete oder Texte der Heiligen Schrift (z.B. Ps 8 und Jes 40) von der Größe Gottes und der Kleinheit des Menschen sagen.

Anbetung letztlich ganz um Gotteswillen

Die zentrale Charakteristik für die Anbetung ist die Sicht, dass Anbetung letztlich ganz um Gotteswillen geschieht. Gott soll ganz im Mittelpunkt stehen, nicht irgendwelche Wünsche und Sehnsüchte des Menschen. Anbetung weiß Gott in der Mitte. Sie will nur noch um ihn kreisen, nicht mehr um sich selber. Bei der Anbetung geht es allein um die größere Ehre Gottes, so wie es auch das bekannte Leitwort des heiligen Ignatius von Loyola „Ad maiorem Dei gloriam“ ausdrückt. In einer Zeit, die Gebet und Spiritualität nicht selten von einem inneren Wohlfühleffekt her bemisst, ist es wichtig, diese konsequente Ausrichtung der Anbetung im Blick zu haben.

Im Laufe der letzten Jahrhunderte wurden viele wunderbare Mon­stranzen geschaffen zur Verehrung der Eucharistie und für die Aussetzung des Allerheiligsten. Bei der Anbetung steht die Monstranz dafür, dass der Herr im schlichten Brot die Mitte ist, der all diese Kostbarkeit an Gold und Silber, an Edelsteinen und Perlen an sich zieht. Oft ist viel künstlerisches Können darauf verwendet, diese Mitte zu betonen und als Zentrum der Ausstrahlung zur Geltung zu bringen. Es soll uns helfen, immer neu zu dieser Mitte zu finden mit den Augen, mit den Gedanken und mit dem Herzen.

Bei der Anbetung nie allein

Oft werden wir bei der Anbetung vielleicht nur wenige sein, manchmal vielleicht allein. Mir ist es wichtig geworden, mir bewusst zu machen, dass ich in der Anbetung nicht allein bin. Ich freue mich, wenn jemand in der Nähe ganz ausgerichtet ist auf den Herrn. Es ist mir eine Hilfe, wenn andere sich genauso mühen um diese Konzentration auf ihn. Manchmal und besonders, wenn ich ganz allein bin, rufe ich mir ins Gedächtnis, dass ich doch um viele Orte weiß, wo täglich viele Stunden und mancherorts Tag und Nacht Anbetung gehalten wird. In der Erzdiözese Freiburg denke ich besonders an den Marienwallfahrtsort Maria Lindenberg bei St. Peter, wo seit 1955 Männer rund um die Uhr Anbetung halten.

Und wir dürfen darum wissen und uns immer wieder bewusst machen: Die Anbetung wird kein Ende haben. Das Neue Testament in seinem letzten Buch spricht von der Anbetung des Lammes (Offb 5,7-14), vor dem alle Engel und Heiligen niederfallen und es anbeten.

Impulse / Hausaufgaben

  • Wo habe ich persönlich erste Erfahrungen mit Anbetung gemacht?
  • Im Internet suchen, wo in Ihrer Seelsorgeeinheit zu eucharistischer Anbetung eingeladen wird.
  • Welcher Abschnitt zum Thema Anbetung war mir neu und wie könnte ich dies für mich angehen?

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