Gebetsschule - IX. Der Schritt zum inneren Beten

Heute will ich Sie einladen, noch einen Schritt weiterzugehen in unserer Schule des Gebetes. Es ist der Schritt zu einem innerlichen Beten, zu einer völligen Bereitschaft für Gottes Willen im Gebet.

In der Zeit, als die Gegnerschaft der Nazionalsozialisten immer deutlicher wurde und die Verfolgung kirchlichen Lebens immer massivere und gefährlichere Formen annahm, entwickelte Pater Kentenich für die Schönstatt-Bewegung bewusst eine Spiritualität, die eine letzte Bereitschaft und Verfügbarkeit gegenüber Gott anzielte. Dabei spielte ein Wort aus dem Geschäftsleben eine besondere Rolle.

Die Sache mit der Blankovollmacht

 Ausgehend vom vertrauten „Fiat“ der Verkündigungsstunde hatte der bekannte Jesuit P. Rupert Mayer in einer Maiandacht in München von einer „Blankovollmacht“ der Gottesmutter gesprochen. Für Pater Kentenich blieb dieses Wort nicht nur ein ausgezeichnetes Predigtbeispiel, sondern wurde ein beständiges Ziel und Programm in der Anleitung zum geistlichen Leben. In der Haltung der Blan­kovollmacht sah er immer deutlicher das Ideal der christlichen Heiligkeit. Und damit weckte er in vielen Gemeinschaften seiner wachsenden Schönstatt-Bewegung ein intensives geistliches Leben und ein starkes Streben nach dieser Haltung. Ein Brauchtum, das in dieser Zeit entsteht und von Einzelnen oder auch Gruppen praktiziert wird, ist in der Stille des Gebetes ein weißes Blatt mit der eigenen Unterschrift zu versehen im Gedanken, die Gottesmutter oder der liebe Gott darf darüber schreiben, was immer er von mir will.

Zum 25jährigen Jubiläum der Gründung Schönstatts im Jahr 1939 war diese Strömung der Blankovollmacht so weit in der Schönstatt-Bewegung lebendig und verbreitet, dass es zu einer „Blankovollmacht“ der gesamten Bewegung kam. In einem Exerzitienkurs für Priester im Jahr 1941 bewegte den Gründer die Frage, welche Art des Gebetes dieser Haltung der Blankovollmacht am ehesten entspricht. Im Hintergrund stand wohl, dass damals in vielen Ordensgemeinschaften und in wachen religiösen Kreisen ein wachsendes Interesse an Mystik herrschte. Texte der großen Vertreter und Vertreterinnen der Mystik wurden damals veröffentlicht. Auch die wissenschaftliche Theologie an den Universitäten beschäftigte sich zunehmend mit Fragen der Mystik.

Pater Kentenich geht es dabei nicht um die außerordentlichen Phänomene der Mystik. Er setzt sich in diesem Kontext auseinander mit dem inneren Wachstum des Gebetslebens. Er hat einen starken Sinn für gesundes religiöses Wachstum und frägt immer wieder nach Gesetzmäßigkeiten des Reifens von geistlichem Leben. Beständig ist er am Beobachten und Vergleichen, am Reflektieren und Anwenden in der Geistlichen Begleitung unzähliger Einzelner und in den von ihm gegründeten Gemeinschaften. In dem oben angesprochenen Exerzitienkurs für Priester zielt er offensichtlich darauf, unter seinen Mitbrüdern ein vertieftes Gebetsleben zu wecken. Gleichzeitig will er bei ihnen das Urteilsvermögen schulen für Wachstum im geistlichen Leben und Beten von Menschen, die sie ihrerseits als „Seelenführer“ begleiten.

Bereits in dem Buch „Werktagheiligkeit“ hatte er die Vielfalt der Gebetsformen im Blick und leitete die Leser an, mitten im Alltag die unterschiedlichen Formen des Gebetes zu üben. Dort lesen wir: Der Werktagsheilige kennt und liebt alle Arten des Gebetes. Er betet Gott in Demut und Ehrfurcht an, er lobt und preist seine Güte und wird nicht müde, für all seine Wohltaten und Herrlichkeiten zu danken. Dabei vergisst er aber auch nicht das Bittgebet. Nichts kann ihn in der Überzeugung erschüttern, dass der Himmelsvater ihm alles gibt, was zu seinem Besten gereicht, wenn sein Gebet nur die richtigen Eigenschaften hat“ (M. A. Nailis, Werktagsheiligkeit, S. 97).

Pater Kentenich führt zunächst hin zu betrachtendem Gebet. Er gibt Anregungen zur notwendigen Vorbereitung und zum konkreten Halten einer Betrachtung. Dies unternimmt er in vielen Kursen, nicht nur für Priester und Schwestern, sondern auch für Männer und Frauen, die im Beruf und mitten in der Welt stehen.

Nähe von innerem Gebet und Blankovollmacht

Dann geht er auf die Art des Betens ein, die für ihn der Blankovollmacht am stärksten nahekommt und ihr entspricht. Diese Gebetsart sucht und findet er in der damaligen Sprache der aszetischen und mystischen Literatur unter verschiedenen Bezeichnungen wie: Gebet der erworbene Beschauung, Gebet der Einfachheit, Gebet der Sammlung oder Gebet des einfachen Blickes. Pater Kentenich erklärt dazu: „Die Gebetsart der erworbenen Beschauung schließt in sich ein beschauendes, liebendes, unreflektiertes, unzweckhaftes Hingegebensein an Gott und Göttliches als Frucht des göttlichen Gnadenbeistandes und ernster, tiefgreifender Mit­wirkung.“ (Josef Kentenich, Priesterexerzitien 1941 S.70). Er beschreibt diese Art der Beschauung so: „Die erworbene Beschauung kreist ständig um zwei Akte: Schauen und Lieben“ (a.a.O. S. 70). Er betont, dass es dabei um ein „unreflektiertes Schauen“ und um ein „liebendes Hingegebensein, unzweckhaftes Hingegebensein“ geht. (Unzweckhaft meint in diesem Kontext nicht zwecklos, sondern unverzweckt und absichtslos.)

Auch bei der Erläuterung des „Gebetes der Einfachheit“ unterstreicht Kentenich die Einfachheit der Denkfunktion und des Affektlebens. Es ist für ihn ein Beten, das in einem gesammelten Gedanken und in einem anhaltenden Affekt zur Ruhe kommt. Für das Gebet der Sammlung oder Gebet des einfachen Blickes bezieht er sich auf die große heilige Theresia von Avila. Dazu erläutert er: „Das Gebet der Sammlung: Die Seelenkräfte werden alle gesammelt auf einen Punkt. Das Gebet der Sammlung will hier gemeint sein im Sinne der aktiven Sammlung. Die passive Sammlung erlebt die Seele, wenn andere Stadien kommen, bei der eingegossenen Beschauung. Aktiv sind alle Kräfte gesammelt: die Phantasie, der Verstand, der Wille, das Herz - mit verhältnismäßig geringer Mühe, selbstverständlich, urwüchsig, spontan.“ (a.a.O. S. 70).

„Das Gebet des einfachen Blickes: Der eine Blick dem einen Gott, das eine Herz dem einen Gott! Dieser Satz kann der Leitgedanke sein für viele Vorträge“ (a.a.O. S. 70) In den folgenden Ausführungen wird sehr deutlich, dass für ihn gerade die Einfachheit ein wichtiger Gesichtspunkt ist für die Wahrnehmung und Wertung der angestrebten Gebetsart. Dieser Art des Gebets ohne Worte werden in der Regel die Reflektion und die Betrachtung eher vorausgehen und diese Vorbereitung sollten wir nicht abwerten und für unnötig erklären. Es gehört einfach zum Weg dahin. Ziel aber ist und bleibt für ihn offensichtlich eine innere Sammlung, ein einfacher liebender Blick, ein einfaches Verweilen, ein liebendes Hingegebensein an Gott.

Mir scheint dieses Wort vom „liebenden Hingegebensein an Gott“ am besten zu treffen, was Kentenich den Mitbrüdern bei diesem Kurs nahebringen wollte. Wenn ich recht sehe, ist es seine bevorzugte Formulierung für das angezielte Wachstum im Gebetsleben. Wo Menschen im Gebet zu diesem „liebenden Hingezogensein“ durchstoßen, ist für Kentenich eine Weise des Gebetes gefunden und erreicht, das dem Streben nach der Blankovollmacht, der vollkommen Bereitschaft für Gottes Willen entspricht.

Pater Kentenich hat sich im Konzentrationslager Dachau intensiv mit Teresa von Avila befasst und sich viele Texte von ihr zu Eigen gemacht. Pater Kentenich hat Teresa von Avila hochgeschätzt und sie als Lehrmeisterin des inneren Gebetes empfohlen. Gehen wir also noch ein Stück weiter bei ihr in die Schule.

Teresa von Avila zum inneren Beten

Man kann sagen, dass „inneres Beten“ der Kern der Spiritualität des Teresianischen Karmel geworden ist. Teresa von Avila selber erklärt inneres Beten mit folgenden Worten: „Denn meiner Meinung nach ist inneres Beten nichts anderes als Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft allein zusammenkommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher wissen, dass er uns liebt.“ (Teresa von Avila, Das Buch meines Lebens 8,5)

Bei der Beschäftigung mit Teresa von Avila bin ich auch auf die Notiz gestoßen, dass diese Weise zu beten zu ihrer Zeit für Frauen geradezu verpönt war und für gefährlich gehalten wurde. Frauen sollten damals eigentlich nur vorgeformte Gebete rezitieren. Teresa jedoch hat ihren Schwestern dieses innere Beten als persönliche Gebetsform erschlossen und sie dazu angeleitet. In ihrem Werk „Weg der Vollkommenheit“ beschreibt Teresa ausführlich für ihre Schwestern im Kloster, was sie unter innerem Beten versteht, beziehungsweise was ihrer Ansicht nach einfach kein inneres Beten ist.

Teresa von Avila lehrt: „Bevor ich über den inneren Bereich, also über das innere Beten, etwas sage, will ich ein paar Dinge nennen, die für alle, die inneres Beten halten wollen, notwendig sind.“ (Weg der Vollkommenheit 5,3) Dann nennt sie drei Punkte: „Der erste ist die gegenseitige Liebe, ein weiterer das Loslassen alles Geschaffenen, und noch ein weiterer wahre Demut, die der wichtigste ist und alle anderen umfasst, auch wenn ich sie an letzter Stelle nenne“ (Weg der Vollkommenheit 6,1).

„Wenn ich beim Sprechen ganz dabei bin und sehe, dass ich mehr Aufmerksamkeit auf das Sprechen mit Gott lege als auf die Worte, die ich sage, dann ist inneres mit mündlichem Beten verbunden.“ (Weg der Vollkommenheit 37,1). „Ja, sobald ihr soweit kommt, bringt euch zum Nachdenken, mit wem ihr da sprechen wollt oder mit wem ihr gerade sprecht. ... Genau das aber ist betrachtendes inneres Beten, meine Töchter, nämlich diese Wahrheiten zu erkennen. Wenn ihr das nach und nach erkennen und dabei mündlich beten wollt, dann soll's mir recht sein, aber steht nicht mit Gott im Gespräch und denkt dabei an andere Dinge, denn das ist es, was einen nicht verstehen lässt, was inneres Beten ist“ (Weg der Vollkommenheit 38,1;2). Das ist der Rat der großen Teresa von Avila. Bei ihr sind viele über Jahrhunderte in die Schule gegangen.

P. Kentenich zum ständigen Wandel mit Gott

Will man auf Dauer zu einem inneren Beten kommen, braucht es nach Josef Kentenich ein tiefgreifendes, dauerhaftes gottnahes Leben: „Es muss fast wie ein heiliger Zwang in mir sein: Wo ich mir selbst überlassen bin, drängt alles hin zu Gott. Wie der Fisch im Wasser, wie der Vogel in der Luft, will meine Seele hin zu Gott. Wo diese Vorbedingung nicht in etwa vorhanden ist, darf ich nicht erwarten, dass das Gebet der Einfachheit mir zuteilwird. Will ich die Menschen dazu hinführen, muss ich helfen, dass sie ein solches gottnahes Leben führen. Von morgens früh bis abends spät Gott überall im Glauben anschauen, mit Gott in Liebe sprechen, aus Glaube und Liebe heraus für den lieben Gott Opfer bringen. Dieser ständige Wandel in Gottes Gegenwart ist das Gott nahe Leben. Wenn das nicht Dauerhaltung ist, wird auch meine Gebetsweise keine entsprechende sein. Wenn nicht meine Lebensweise entsprechend ist, dann auch nicht meine Gebetsweise“ (J. Kentenich, Wachstum im höheren Gebetsleben, S. 84).

Impulse / Hausaufgaben

  • Versuchen Sie zu verstehen, was das „Fiat“ der Gottesmutter mit einer „Blankovollmacht“ gemeinsam hat.
  • Über das innere Beten finden Teresa von Avila und Josef Kentenich vielfältige Bezeichnungen und Vergleiche. Ver­­suchen Sie zu verstehen, worum es dabei geht.
  • Welche Beschreibung von tieferem Beten hat mich angesprochen und will ich weiter versuchen?

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