Gebetsschule - VII. Beten mit immer weniger Worten

Ein wichtiger Rat Jesu in seiner Belehrung seiner Jünger über das Gebet lautet: „Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie; denn euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet.“ (Mt 6,7-8)

Diese Mahnung und Aufforderung Jesu sollte uns ermutigen, mit unseren Worten beim Beten nach und nach immer sparsamer zu werden. Auf jeden Fall sollten wir nicht meinen, wir müssen Gott überreden oder ihn gar erst auf uns aufmerksam machen. Der heilige Augustinus setzt darauf, dass Gott uns ohne Worte versteht: „Gott hat sein Ohr an deinem Herzen“ (Augustinus bei der Erklärung zu Ps 148). Bischof Klaus Hemmerle hat dieses Wort des heiligen Kirchenlehrers als Titel für sein Buch zum Gebet gewählt.

Versuchen wir uns Schritt für Schritt einem Beten ohne allzu viele Worte zu nähern. Es geht nicht darum aufzuhören mit dem Beten von formulierten Gebeten. Aber immer wieder Zeiten des Gebets zu pflegen mit diesem Ziel, immer weniger Worte zum Beten zu gebrauchen.

Ein Weg, mit weniger Worten zu beten

Ein Weg dahin, mit weniger Worten beten zu lernen, könnte sein: z. B. sich beschränken auf Worte aus dem Vaterunser. Denn gerade dieses Gebet hat Jesus seinen Jüngern nach der zuvor ausgesprochenen Aufforderung zu wenigen Worten gegeben. Er hat sich also selbst daran gehalten. Wir haben die sieben Bitten des Vaterunsers besprochen und vielleicht ein wenig mehr von ihrer Fülle und Tiefe geahnt und gleichzeitig ihre Kürze und Prägnanz schätzen gelernt. Man kann bei jeder Bitte eine ganze Weile stehen bleiben und innehalten. Versuchen Sie das eine Weile ganz bewusst, bis Ihnen zu der einzelnen Bitte wirklich nichts mehr einfällt.

Eine zweite Möglichkeit bietet sich mit Worten aus den Evangelien. Dafür kommt eine ganze Reihe ebenfalls kurzer Gebetsrufe aus dem Neuen Testament in Frage. Ich habe versucht, sie für Sie zusammenzutragen:

„Mein Herr und mein Gott“ (Joh 20,28) Gebet des Apostels Thomas.

„Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben“ (Mk 9,24). Gebet des Vaters eines besessenen Sohnes.

„Geh‘ weg von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch!“ (Lk 5,6) Bitte des Petrus beim reichen Fischfang.

„Herr, ich bin es nicht wert, dass du unter mein Dach einkehrst; aber sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund!“ (Mt 8,8) Bitte des römischen Hauptmanns von Kaphar­naum.

 „Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ (Mk 10,47) Ruf des Bartimäus, des blinden Bettlers von Jericho.

„Herr, lehre uns beten!“ (Lk 11,1) Bitte der Jünger Jesu.

Das Jesus-Gebet

Das Jesusgebet, auch Herzensgebet oder immerwährendes Gebet genannt, ist ein besonders in den orthodoxen Kirchen weit verbreitetes Gebet, bei dem ununterbrochen der Name Jesu Christi angerufen wird.

Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner.
Herr Jesus Christus, (du) Sohn Gottes, erbarme dich meiner.
Herr Jesus Christus, (du) Sohn Gottes, hab Erbarmen mit mir (Sünder). ...
Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, erbarme dich meiner.

Am Ende bleibt nur noch die Anrufung des Namens Jesu mit der Bitte um sein Erbarmen. Daraus entwickelt sich das Jesus-Gebet der Ostkirche, das viele Christen in aller Welt auch für sich entdeckt haben und gern praktizieren.

Die Mönche auf dem Berg Athos verbinden das Jesus-Gebet gern auch mit dem Ein- und Ausatmen, um ganz in die Stille und Ruhe zu kommen.

Worte beim Beten werden unwichtig

Es ist auch eine Erfahrung des im Jahr 2022 von Papst Franziskus heiliggesprochenen Charles de Foucault, dass die Worte beim Beten immer unwichtiger werden. Ich stieß auf diesen Hinweis in einer seiner niedergeschriebenen Meditationen. Er hat sie übrigens schriftlich gemacht, um sich wach zu halten beim Beten. Er schreibt im Blick auf Jesus:

„Es sind drei Dinge, die du uns zu beherzigen gibst:

1. dass das gesprochene Gebet nur dann deiner würdig und dir wohlgefällig ist, wenn mit dem Mund auch das Herz spricht;

2. dass wir uns beim Beten nicht verpflichtet halten, Worte herzusagen, sondern dass es genügt, mit dir im innerlichen Gebet zu sprechen;

3. dass es sogar nicht einmal nötig ist, im innerlichen Gebet Worte an dich zu richten, sondern dass es genügt, voller Liebe zu deinen Füße zu sitzen, dich zu betrachten und dabei erfüllt zu sein von den Empfindungen der Bewunderung, des Mitgefühls, der Hingabe, von dem Wunsch, dich zu ehren, dich zu trösten, dich zu lieben, dich zu sehen, kurz, erfüllt zu sein von allen Empfindungen, die die Liebe einzugeben vermag.“

(Charles de Foucault, Unveröffentlichte Meditationen, S. 12)

Die Stille entdecken

Schweigen gehört schon immer zum Beten. Jesus zieht sich zurück in die Stille und Einsamkeit der Wüste. Jesus verbringt immer wieder Nächte auf dem Berg im Gebet. Angeregt durch sein Vorbild haben sich ab der Mitte des dritten Jahrhunderts Menschen in die Wüste zurückgezogen. In den Schriften der Wüstenväter und Wüstenmütter finden sich viele Erfahrungen mit der Stille und viele Weisungen zum Schweigen.

Vielleicht kennen Sie auch dieses Buch: Henri Nouven, „Ich hörte die Stille“, Sieben Monate im Trappistenkloster. Der bekannte geistliche Schriftsteller hatte sich sieben Monate in ein Trappistenkloster zurückgezogen. Er wollte die Erfahrung der Wüstenväter und der heutigen Mönche mit dem Schweigen erleben und diese in sich aufnehmen.

Für manche ist vielleicht noch eindrucksvoller als dieses Buch der Film: „Das große Schweigen“ - Ein Film über die Chartreuse in Frankreich. Dieser Film ist eine sehr überzeugende Einladung, den großen Wert der Stille und des Schweigens zu entdecken.

Wir aber leben in einer lauten Zeit, welche die Stille seit Jahrzehnten gegen mehr Wirtschaftswachstum und Mobilität eingetauscht hat. Wir leben in aller Regel mit dem beständigen Geräuschpegel des starken Verkehrs und der Indus­­trie, unserer Autobahnen und in manchen Gegenden des Fluglärms. Wir leben umgeben von Geräuschen, von Berieselung durch Unterhaltungsmusik in Geschäften und bei vielen in ihrem Wohnbereich oder gar bei Nacht. In der Corona-Beschränkung des Verkehrs gab es auf einmal über die Wochen des Lock down eine Ahnung, dass es auch anders sein könnte. Doch inzwischen ist es schon wieder viel lauter geworden.

Man muss heute Räume der Stille geradezu suchen. Stil­le ist zu einem seltenen Gut, zu einem seltenen Erlebnis geworden. Ich werde nie eine Nacht in Afrika, in der Nä­he von Gitega hoch oben in den Bergen Burundis vergessen. Über mir war ein wunderbarer Sternenhimmel, der bis auf den Boden reichte. Um mich herrschte völlige Stille, auch kein Zirpen wie sonst in den Nächten Afrikas. Nur Schweigen. Für diese nächtliche Erfahrung von Stille war auf einmal der Buchtitel von Henri Nouven in mir: „Ich hörte die Stille“.

Mit dem Sommer 2023 verbinde ich die Erinnerung an einen viel zu heißen Tag. Um der Hitze zu entgehen, war ich im Schwarzwald einfach ein Stück in die Höhe gefahren, um einige hundert Meter höher eine Wanderung im Wald zu machen. Weit weg von der nächsten Straße fand ich einen richtig hohen Jägersitz. Da oben war es so still, dass man die Bienen summen hörte, die in den hohen Tannen den Schwarz­waldhonig suchten. Es war eine lebendige einladende Stille.

Viele kennen bestimmt den kleinen Kanon: „Schweige und höre, neige deines Herzens Ohr, suche den Frieden.“ Der Text dieses Kanons ist in Anlehnung an den Beginn der Regel des heiligen Benedikt geschrieben. Er ist mir immer wieder eine willkommene Hilfe, ins Schweigen zu kommen. Er soll uns einladen zum Schweigen und Beten mit immer weniger Worten.

Impulse / Hausaufgaben

  • Mit welchem kurzen Gebet kam ich wirklich für längere Zeit ins Beten?
  • Gibt es für mich Erinnerungen an das Erlebnis von intensiver Stille?
  • Klöster kennen die Regel des nächtlichen Schweigens zwischen Komplet und Laudes. Wie verbringe ich eigentlich die Nacht?

 

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