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29. Oktober 2025 | Kommentar der Woche | 

Frank Riedel: Verfügbar statt perfekt – wie wir gut dastehen


(Foto: Thirdman, pexels.com)

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Kommentar der Woche:

Verfügbar statt perfekt – wie wir gut dastehen

P. Frank Riedel, München, Schönstatt-Pater (Foto: basis-online.net)

P. Frank Riedel, München, Schönstatt-Pater (Foto: Basis-online.net)

 

 

 

 

 

 

Frank Riedel

Verfügbar statt perfekt – wie wir gut dastehen

29.10.2025

Gott braucht mich nicht perfekt, sondern verfügbar.“ Dieser Satz des neu ernannten Wiener Erzbischofs Josef Grünwidl begleitet mich nun schon eine Weile. Der Theologe hatte das Amt zunächst aus Respekt vor der Verantwortung abgelehnt. Doch dann erkannte er: Es geht nicht um Perfektion, sondern um die Bereitschaft, sich Gott zur Verfügung zu stellen.

Wie aktuell dieser Gedanke ist, zeigt ein Blick in unsere Gesellschaft: Studien belegen einen deutlichen Anstieg von Perfektionismus, besonders bei jungen Menschen. Social Media verstärkt den Druck – jeder Post, jedes Foto muss makellos sein. Doch unter der glänzenden Oberfläche wächst die Erschöpfung. Immer mehr Menschen spüren: So kann es nicht weitergehen.

Doch es gibt eine Gegenbewegung: „Gut genug ist das neue perfekt“ – ein Trend, der an Bedeutung gewinnt. Psychologen bestätigen: Menschen, die sich vom Perfektionismus lösen, sind zufriedener und oft sogar erfolgreicher. Auch andere wissenschaftliche Disziplinen – etwa die Biologie – zeigen, dass die Natur das Ganze optimiert, nicht einzelne Parameter. „Gut genug“ kann also besser sein als „perfekt“.

Das Evangelium vom vergangenen Sonntag veranschaulicht diese Wahrheit eindringlich: Zwei Menschen im Tempel, zwei grundverschiedene Haltungen. Der Pharisäer steht aufrecht und präsentiert seine makellosen Leistungen: Fasten, Zehnten zahlen, kein Sünder sein. Seine Haltung sagt: „Ich habe alles im Griff.“ Der Zöllner hingegen bleibt hinten, wagt nicht, die Augen zum Himmel zu erheben, und schlägt sich an die Brust: „Gott, sei mir Sünder gnädig.“

Es ist diese zweite Haltung, die Jesus würdigt. Nicht der perfekte Auftritt zählt, sondern die Aufrichtigkeit des Herzens. Der Zöllner kommt mit leeren Händen, ohne Selbstdarstellung, ohne die Illusion, alles im Griff zu haben. Er ist verfügbar für Gottes Zuwendung, weil er weiß: Ich brauche sie.

Papst Leo XIV. erinnerte am Sonntag daran: Die Kirche soll sich nicht wie der Pharisäer aufrecht und triumphierend präsentieren, sondern sich herabbeugen, um der Menschheit die Füße zu waschen. Das gilt nicht nur für die Kirche als Institution, sondern für uns alle.

Wie also stehe ich vor Gott und den Menschen? Mit der perfekten Selbstdarstellung dessen, der alles im Griff hat? Oder mit der demütigen Ehrlichkeit dessen, der seine Grenzen kennt? Der Perfektionismus unserer Zeit ist eine moderne Form des Pharisäertums: Wir präsentieren makellose Profile, Erfolge, Stärke. Doch das Evangelium lädt uns zu einer anderen Haltung ein – einer Haltung der Verfügbarkeit: für Gottes Gnade, für die Menschen um uns, selbst für unsere eigenen Schwächen.

Vielleicht ist das die befreiende Botschaft für diese Zeit: Gott braucht uns nicht perfekt. Er braucht uns verfügbar. Mit dieser Haltung dürfen wir vor ihm stehen – und vor den Menschen.

P. Frank Riedel, München
Schönstatt-Pater

Quelle: www.basis-online.net 
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung

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