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„Ein Abend, der bewegt hat“ – 101. Politisches Montagsgebet auf der Liebfrauenhöhe

Zur 101. Ausgabe des "Politischen Montagsgebetes" kamen am Montag, 6. Oktober 2025, etwa 200 Personen in die Krönungskirche des Schönstattzentrums Liebfrauenhöhe (Foto: Sr. Susanna-Maria Zeh)
Sr. M. Ilga Dreier. „Am Dienstag hat in Eutingen jeder nur über das Montagsgebet geredet. Es hat Eindruck gemacht.“ Das Resümee von Beatrix Oberle bringt es auf den Punkt. Das 101. Politische Montagsgebet am 6. Oktober 2025 im Schönstattzentrum Liebfrauenhöhe war mehr als eine Jubiläumsveranstaltung: Es war ein Abend der berührte, dessen spannender Inhalt wachrüttelte und der, bezugnehmend auf aktuelle Entwicklungen, zum Nachdenken einlud. Rund 200 Menschen kamen zusammen, um gemeinsam zu singen, zu beten und dem Zeitzeugen Rolf Sprink zuzuhören, einem Mann, der die friedliche Revolution von 1989 in Leipzig hautnah miterlebt hat.

Dr. Beatrix Oberle begrüßt die Teilnehmenden und den Referenten des Abends, Rolf Sprink aus Leipzig, einen Zeitzeugen der friedlichen Revolution (Foto: Sr. Susanna-Maria Zeh)
Erinnerungen an den Leipziger Herbst – Zeitzeuge Rolf Sprink berichtet
Rolf Sprink, Völkerkundler und Soziologe, nahm die Besucherinnen und Besucher mit auf eine eindrückliche Zeitreise in den Herbst 1989. Schon früh hatte er sich in der evangelischen Kirche engagiert und stand dem DDR-System offen kritisch gegenüber. Als die Unzufriedenheit im Land wuchs, schloss er sich dem oppositionellen Netzwerk „Neues Forum“ an und wurde Mitglied seiner Redaktion. Gemeinsam mit Gleichgesinnten gründete er den Forum Verlag Leipzig und veröffentlichte später das Buch „Jetzt oder nie – Demokratie! Leipziger Herbst ’89“.
Sprink brachte an diesem Abend Notizen aus seinem Tagebuch ein, das er seit 1986 geführt hatte. Sie spiegeln die zunehmende Spannung jener Monate wider, das Schwanken zwischen Angst, Hoffnung und Entschlossenheit. Besonders eindrucksvoll schilderte er den 9. Oktober 1989, den Tag, der über Gewalt oder Frieden entscheiden sollte. Die Stadt war von Gerüchten erfüllt, Sicherheitskräfte in Alarmbereitschaft, die Krankenhäuser bereiteten sich auf Blutvergießen vor. Sprinks Frau, Krankenschwester, hatte ihn inständig gebeten, nicht in die Leipziger Nikolaikirche zu gehen. Zu groß war die Sorge um sein Leben, denn seit Tagen bereiteten sich die Krankenhäuser auf viele Verletzte vor.

Rolf Sprink, Leipzig, Völkerkundler und Soziologe, war Zeitzeuge der friedlichen Revolution und nahm die Teilnehmenden an diesem Abend auf eine eindrückliche Zeitreise mit (Foto: Sr. Susanna-Maria Zeh)
Doch Sprink folgte seiner Überzeugung und betrat mit Hunderten anderen das Gotteshaus. Jeder erhielt eine Kerze und einen Zettel mit der Aufschrift „Keine Gewalt“. Dieses einfache Zeichen wurde zum Symbol einer Revolution, die ohne Waffen und Hass auskam. Als nach dem Friedensgebet die Kirchentüren geöffnet wurden und die Beter zusammen mit der riesigen Menschmenge, die sich vor der Nikolaikirche versammelt hatte, schweigend und friedlich durch die Straßen zog, war die Anspannung mit Händen zu greifen. „Ich hatte Angst“, bekannte Sprink, „aber auch das Vertrauen, dass Gott seine Hand über uns hält.“
Draußen schlossen sich immer mehr Menschen an, bis Zehntausende den Ring um die Leipziger Innenstadt füllten. Kein Stein flog, kein Schuss fiel. Stattdessen trugen Kerzen und Gebete die Bewegung, die den Lauf der Geschichte veränderte. „Dass dieser Abend ohne Blutvergießen endete, war ein Wunder“, sagte Sprink bewegt. Sein Bericht, voller Authentizität und innerer Dramatik, ließ das Publikum auf der Liebfrauenhöhe förmlich miterleben, wie viel Mut und Glauben nötig waren, um damals aufrecht zu bleiben.

Die „Wild Voices“ aus Weitingen übernahmen die musikalische Mitgestaltung des Abends (Foto: Sr. Susanna-Maria Zeh)
Beten, Singen, Erinnern – Gemeinschaft als Kraftquelle
Eingerahmt wurde der Abend von musikalischen und geistlichen Elementen. Die „Wild Voices“ eröffneten mit einem russischen „Lobet den Herrn“, Andrea Präg entzündete die Europa-Kerze, die Jubiläumskerze und das Friedenslicht. Das gemeinsame Gebet verband politische Achtsamkeit mit spiritueller Tiefe: „Rüttle uns auf, damit wir an den Orten unseres Lebens mutige Schritte gehen, um der Gerechtigkeit zu dienen und dem Frieden.“
Ein Zeichen für Demokratie und Vielfalt
Die Initiatoren Jürgen und Beatrix Oberle sowie Thomas und Andrea Präg erinnerten im Anschluss an Sprinks Beitrag daran, wie das Politische Montagsgebet vor acht Jahren begann: als Zeichen für Demokratie, Vielfalt, Toleranz und die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Zu den Gästen zählten auch Mitbegründer wie Dr. Pater Lothar Penners ISch aus Schönstatt/Vallendar und Sr. M. Monika März aus Memhölz. Auf Stellwänden im Foyer dokumentierten Fotos und Presseberichte die Entwicklung des Formats, das seit Beginn ohne finanzielle Mittel, ausschließlich durch ehrenamtliches Engagement, getragen wird.
„Wind of Change“ und Friedensgruß
Ein emotionaler Höhepunkt war das gemeinsame Singen von „Wind of Change“ – begleitet von Thomas Präg an der Gitarre und den Stimmen von Andrea und Michaela Präg. Beim Vaterunser bildeten die Teilnehmenden eine Gebetskette, reichten sich den Friedensgruß, sprachen gemeinsam aktuelle Fürbitten und nahmen ihre Eindrücke in stilles Gebet mit.

Die Ehepaare Präg und Oberle freuten sich über den Dank, der ihnen an diesem Abend für ihr langjähriges Engagement ausgesprochen wurde (Foto: Sr. Susanna-Maria Zeh)

Pater Dr. Lothar Penners ISch, Mitinitiator der Politischen Montagabendgebete und an diesem Abend unter den Gästen, konnte zum Abschluss allen Anwesenden den Segen erteilen (Foto: Sr. Susanna-Maria Zeh)
Dank und Ausklang
Zum Abschluss dankten die Organisatoren allen Unterstützern, Musikgruppen und Mitbetern der vergangenen Jahre – und erhielten selbst einen herzlichen Applaus, Blumen und Gutscheine als Zeichen der Anerkennung. Bei Getränken und liebevoll zubereitetem Fingerfood klang der Abend im Foyer aus, erfüllt von Gesprächen, Begegnungen und der spürbaren Gewissheit, dass gemeinsames Beten und Erinnern Kraft geben kann, auch heute Verantwortung für Frieden und Demokratie zu übernehmen.

Im Foyer des Schönstattzentrums gab es die Möglichkeit zur Begegnung und zum Austausch. Auf Tafeln konnten die Besucher zahlreiche Zeitungsberichte, Infos und Fotos der bisherigen Veranstaltungen dieses Formates finden (Foto: Sr. Susanna-Maria Zeh)
Mehr Informationen
- Die Tradition der Politischen Montagsgebete im Schönstattzentrum Liebfrauenhöhe geht auf den Pfingstmontag 2017 zurück. Am 5. Juni 2017 gründeten ein evangelisches und ein katholisches Ehepaar sowie zwei junge Männer aus Eutingen zusammen mit Pater Dr. Lothar Penners ISch und Schwester M. Monika März die Initiative. „Als Vorbild dienten die Politischen Montagsgebete in Leipzig und vielen anderen ostdeutschen Städten, die die friedliche Wiedervereinigung entscheidend beeinflusst hatten“, so berichtet das Initiativ-Team.