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Alexander Paul: Stille als Widerstand – Warum Entschleunigung mehr ist als Wellness

(Foto: Arina Krasnikova, pexels.com)
Kommentar der Woche:
Stille als Widerstand – Warum Entschleunigung mehr ist als Wellness

Alexander Paul, Pforzheim (Foto: Basis-online.net)
Alexander Paul
Stille als Widerstand – Warum Entschleunigung mehr ist als Wellness
08.10.2025
In den letzten Tagen und Wochen merke ich, wie die Tage nur so an mir vorbeirauschen. Die Arbeit, Kind und Familie, Fortbildung, Großfamilie, Haushalt und – wenn es noch geht – die eigene körperliche Betätigung und Fitness bestimmen den Tagesablauf.
Am Ende dieser Tage sitze ich da und frage mich: Wohin ist denn dieser Tag, diese Woche schon wieder gelaufen? Dazu kommt die Dauerbeschallung mit Nachrichten, Terminen und News, die immer nur einen Handgriff in die Hosentasche entfernt sind und nicht dazu führen, dass ich im Kopf mehr abschalten kann. Je schneller das Außen wird, desto schwieriger wird es, das Innere zu füllen und die Leere zu vermeiden.
In einer Welt, die permanent Beschleunigung und Aktivität verlangt, ist das Stillwerden fast schon ein Akt der Rebellion. Wenn man viele Menschen im Umfeld betrachtet, merkt man, dass dieses ständige Funktionierenmüssen oft den Kontakt zu sich selbst unterbricht.
Schnell bekommt man dann gute Empfehlungen: Mach mal Wellness, eine Achtsamkeitsübung oder einen „Digital Detox“. Aber oft hilft das Ganze wenig, wenn wir das Ganze einfach nur als einen weiteren Termin, ein weiteres Projekt wahrnehmen. Dann führt es oft sogar zu noch mehr Stress, vor allem, wenn wir merken, dass es nicht so funktioniert, wie wir uns das Ganze vorgestellt haben.
Entschleunigung bedeutet nicht, stehen zu bleiben, sondern eher wach zu werden für das, was wirklich vor mir steht: ein Mensch, der Atem, ein Moment oder ein Gedanke. Hilfreich kann es sein, die Stille in dem zu suchen, was ich auch schon mache. Mache ich es aus Routine, weil ich muss, weil alles schnell erledigt sein will?
Einmal wieder versuchen, in voller Bewusstheit das Leben zu führen – und zwar nicht in kleinen Momenten, die wir in unseren Terminkalender reinquetschen, sondern im ganz normalen Alltag.
Diese Stille, diese Bewusstheit verändert nichts an der Welt, und doch verändert sie alles.
Wenn wir innerlich ruhiger werden, reagieren wir anders – wir führen unser Leben mit weniger Angst, mehr Klarheit, mehr Mitgefühl und vor allem mit mehr Kontakt zu uns selbst. Vielleicht beginnt der Wandel, den wir uns wünschen, genau dabei.
Und natürlich: Auch eine Auszeit muss mal sein – ein Urlaub, ein Wochenende, ein Tag. Aber darauf sollte nicht unser Fokus liegen, sonst holen wir nur Atem für den nächsten Run im Leben zur Beschleunigung.
Alexander Paul
Abteilungsleiter Caritas Pforzheim