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Norbert Nichell: Die Schöpfungs-Zeit genießen: Kraft sammeln in der Natur und in der Stille…
(Foto: Tom Swinnen, pexels.com)
Kommentar der Woche:
Die Schöpfungs-Zeit genießen:
Kraft sammeln in der Natur und in der Stille…
Norbert Nichell, Mainz (Foto: Basis-online.net)
Norbert Nichell
Die Schöpfungs-Zeit genießen: Kraft sammeln in der Natur und in der Stille…
20.09.2025
Seit vielen Jahren – auf Initiative der orthodoxen Kirchen hin – begehen wir in der Zeit vom 01.09.-04.10. (Gedenktag des Hl. Franz v. Asissi) die „Schöpfungszeit“, die uns dazu einlädt, die Schöpfung in ihrer Schönheit, aber auch in ihrer seit vielen Jahren großen Bedrängnis und Notlage, in die sie durch den Menschen gekommen ist, zu begehen, d.h. sich aufs Neue im Großen und Kleinen, auf allen Ebenen des Lebens sich für die Bewahrung der Schöpfung einzusetzen…
Vor 800 Jahren, vermutlich im Frühjahr 1225 hat Franziskus uns den wunderbaren Text des Sonnengesangs geschenkt. Man könnte meinen, der Sonnengesang sei an einem sonnigen Sonntagnachmittag entstanden, die Vögel zwitschern, die Bienen summen, Franziskus sitzt in einem blühenden Mohnfeld und gerät darüber ins Schwärmen. Das krasse Gegenteil ist der Fall: Franziskus liegt schwer krank in einem kl. Gärtchen des Klosters San Damiano in Assisi, Schwestern pflegen ihn. Er ist ausgemergelt, geschwächt, nahezu blind – und ahnt mit seinen rund 40 Jahren vielleicht schon, dass sein Leben sich dem Ende zuneigt. Seinen Körper nennt er „Bruder Esel“. In dieser Situation, mitten im Leid, bricht dieses Loblied aus ihm heraus… Es ist ein tiefes Gebet, das eine tiefe Verbundenheit der Geschöpfe untereinander zum Ausdruck bringt: alle sind miteinander verbunden und aufeinander angewiesen, alle sind letztlich Schwestern und Brüder. Das gilt für die Ameise und den Elefanten – und für alle Menschen, egal welcher Kultur, Hautfarbe oder Nation. Für Franziskus ist der Grund dieser Verbundenheit derselbe Ursprung, den alle Geschöpfe haben: nämlich Gott, der Schöpfer.
Wir können uns dies in diesen Tagen der Schöpfungs- und Erntezeit neu bewusst machen – und ich darf mich einladen lassen, mich selbst demütig wieder als Teil der Schöpfung zu verstehen. Nicht der Mensch mit seinem Haben- und Besitzen-Wollen, seiner unendlichen Gier steht im Zentrum, sondern Gott, der alle Geschöpfe erschaffen und miteinander verbunden hat. Das hat uns auch die Enzyklika „Laudato si“ deutlich gemacht, die Papst Franziskus vor 10 Jahren geschrieben hat, in der er von dem „einen Haus Erde“ spricht, für das wir Verantwortung tragen und die wir dringend wahrnehmen sollten.
„Alle Probleme der Menschheit rühren von der menschlichen Unfähigkeit, in Stille allein in einem Raum zu sitzen“, sagte der Philosoph Blaise Pascal. Ich kann bei mir anfangen, mir wieder neu kleine „Aus-Zeiten“ zu gönnen, z.B. vom Handy, vom Gefühl, sich perfektionieren zu können oder gar zu müssen. „Weniger ist mehr.“ Eine Weisheit, die wir kennen, aber so selten in die Tat umsetzen: womit fülle ich meine Zeit? Wem widme ich sie? Wem will ich meine Aufmerksamkeit schenken? Denn: nur in der Stille sei unser Gehirn in der Lage, Informationen erfolgreich zu verarbeiten und neue Gehirnzellen zu bilden. Stille sei demnach echter Luxus für uns und unser Gehirn, sagt die Neurowissenschaftlerin Maren Urner in ihrem neuen Buch „Radikal emotional“ (München, 2024). Ihr Ziel sind konstruktiv politische Lösungen für die großen Fragen unserer Zeit – ob zur Klimakrise oder zum globalen Weltgeschehen.
Norbert Nichell
Klinikseelsorger an der Universitätsmedizin Mainz
