Nachrichten
Ansgar Hoffmann: Gerechtigkeit ist stärker als der Tod

(Foto: Lara Jameson, pexels.com)
Kommentar der Woche:
Gerechtigkeit ist stärker als der Tod

Ansgar Hoffmann, Görlitz (Foto: basis-online.net)
Ansgar Hoffmann
Gerechtigkeit ist stärker als der Tod
02.04.2025
In den Nachrichten lese ich: Die massenhaften Proteste in der Türkei halten weiterhin an. Eine in das Rot der türkischen Flagge getauchte Menschenmenge versammelt sich momentan regelmäßig in Istanbul und weiteren türkischen Städten. Es sind Hunderttausende, allen voran viele Studenten. Sie gehen auf die Straße, um gegen die aus ihren Augen ungerechtfertigte Suspendierung und Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu ihre Stimme zu erheben. Ebenfalls in diesen Tagen dringt die Meldung durch, dass sich Brasiliens ehemaliger Präsident, Jair Bolsonaro, vor Gericht wegen der Erstürmung des Kongresses am 8. Januar 2023 in Brasilia und eines so geplanten Putsch-Versuchs verantworten muss. Und nur ein paar Monate zuvor, im Dezember des vergangenen Jahres, wurde in Syrien der langjährige Machthaber Baschar al-Assad durch Rebellen der Opposition gestürzt. Seit 1971 führte er das Land in einer totalitären Diktatur und letztlich nach den gewalttätig niedergeschlagenen Aufständen während des so genannten „Arabischen Frühlings“ in einen schrecklichen Bürgerkrieg.
Diese Beispiele könnten weiter fortgeführt werden: Sind sie doch alle Zeichen dafür, dass sich Gerechtigkeit immer wieder ihren Weg bahnt, wo sie missachtet wird. Dies wird in vorbiblischen Zeiten genauso gewesen sein wie heute, und es ist eine, wenn nicht sogar die prägende Schlüsselerfahrung jüdisch-christlicher Tradition: Dieser Gott ist einer, der den Versklavten, Unterdrückten, Marginalisierten und am Rand Stehenden zu ihrem Recht verhilft, der befreit und letztlich so zum Leben führt. Die ganze Schrift ist voll davon, die Psalmen deuten und ersehnen diese Erfahrungen in mannigfaltiger Weise, der Evangelist Lukas lässt Maria im Magnificat dazu einen Lobpreis anstimmen.
Gerechtigkeit ist Leben, Leben ist nur möglich in Gerechtigkeit und Freiheit. Was sich anhört wie ein Allgemeinplatz aus einem Wahlprogramm und allzu leicht zu solch oberflächlicher Plattitüde verkommt, in Folge dessen dann auch eher überhört als ernstgenommen wird, ist in der Tat allerdings eine tiefe Wahrheit. Sie ist die Mitte der österlichen Botschaft, auf die wir in diesen Tagen wieder hin unterwegs sind, die wir ersehnen, die wir brauchen, die der Urgrund unseres ganzen Daseins ist: Das Leben als Liebe und Freiheit ist die bestimmende Wirklichkeit, und sie ist stärker als jeder Tod.
Einmal die Tagesschau angeschaltet, könnte diese Aussage schnell als Zynismus oder leichtfertige Vertröstung, insofern vielleicht als ‚Lebenshilfe‘ ausgelegt werden. Gemeint ist sie dagegen als eine allem zugrunde liegende Realität. Auch, wenn ich weiß: Nein, es ist noch nicht Ostern – und ja, wir sind mittendrin in der Fastenzeit und noch unterwegs, hindurch durch noch so manch kommende Fasten- und Kartage. Nicht nur jetzt in der Feier des Jahreskreises, sondern in unserem ganzen Leben.
Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 kursierte bald ein fiktives Bild in den sozialen Medien: Putin als Angeklagter bei den Nürnberger Prozessen. Es war ein Gerechtigkeits-, ein Hoffnungs-, ein Osterbild, das auf seine Weise zum Ausdruck bringt: Auch hier wird es irgendwann wieder ein echtes Ostern werden, bricht sich Gerechtigkeit und Leben die Bahn für all die, die jeden Tag Karfreitag durchleiden. „Freue dich“ (laetare), hieß es vergangenen Sonntag im Erspüren dessen, dass es trotz der immer wiederkehrenden Karfreitagserfahrungen wohl einfach stimmt: Wir dürfen glauben, schon mitten in dieser immer wieder aufs Leben hindrängenden Wirklichkeit zu stehen.
Das Leben, die Liebe, die Gerechtigkeit – sie sind stärker als der Tod.
Ansgar HoffmannGörlitz