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Caritaslegende oder Gemeinwohlbeitrag der Kirche? - Sozialethische Überlegungen zu einem prägenden Element unserer Gesellschaftskultur
Prof. Dr. Ursula Nothelle-Wildfeuer bei ihrem Referat im Rahmen des Kongresses „Sinn stiften! Die kulturbildende Kraft des Christlichen“ in Schönstatt, Vallendar (Foto: Brehm)
Sr. M. Nurit Stosiek. „Das Thema erstaunt vielleicht. Tatsächlich geht es auf den ersten Blick um den schnöden Mammon. Was haben wir eigentlich zur Gesellschaftsgestaltung beizutragen? Viele messen der Kirche in diesem Feld keine Chance und keine Kompetenz zu,“ so die einführenden Worte von Prof. Dr. Ursula Nothelle-Wildfeuer bei ihrem Referat im Rahmen des Kongresses „Sinn stiften! Die kulturbildende Kraft des Christlichen“ in Schönstatt, Vallendar. Die Referentin ist Inhaberin des Lehrstuhls für christliche Gesellschaftslehre an der Albert-Ludwig Universität in Freiburg.
Dass staatliche Zahlungen an die Kirche nur noch geringe Akzeptanz fänden, habe mit der jahrhundertelangen Säkularisierung zu tun, aber auch mit dem Autoritätsschwund der Kirche im Nachgang des Missbrauchsskandals. Dadurch entstehe eine ganz neue Situation, so die Referentin.
Die Frage sei natürlich, wie geht die Kirche mit Geldern um? Papst Franziskus wünsche sich schon lange eine arme Kirche für die Armen. Das habe viele Diskussionen ausgelöst.
Die Kirche und ihre Finanzen – Anfragen an die Glaubwürdigkeit
Eine Kirche für die Armen bedeute nicht, dass die Kirche keine finanziellen Mittel haben solle. Armut sei immer an erster Stelle eine theologische Kategorie, keine Frage von Geldsummen. Besonders wichtig deswegen, weil Papst Franziskus ein Vertreter einer Theologie des Volkes sei als Argentinier: er habe Befreiungstheologie minus Marxismus plus Volksfrömmigkeit etabliert, wie Klaus Mertes immer wieder betone.
Schon die Römische Bischofssynode „De iustitia in mundo“ (1971) habe betont: Wer Gerechtigkeit verteidigt, muss zunächst selbst sein Leben überprüfen. „Wir müssen deshalb unser Tun, unseren Besitz und unser Leben in der Kirche überprüfen“. Bevor die Soziallehre der Kirche immer wieder von Fragen der Gerechtigkeit für die Gesellschaft spreche, müsse sie zunächst den internen Umgang mit Gerechtigkeit überprüfen. Hier gehe es um einen zentralen Punkt. Die Soziallehre formuliere mit dem Glaubwürdigkeitskriterium einen entscheidenden Maßstab für den Umgang mit Geld, das niemals Zweck, sondern immer nur Mittel sein dürfe für die Schwächsten der Gesellschaft.
Nothelle-Wildfeuer: Die Refinanzierung der Gemeinwohldienlichkeit ist keine Privilegierung sondern eine Frage der Gerechtigkeit (Foto: Brehm)
Die Caritaslegende
Carsten Frerk behaupte in seinem Buch „Violettbuch Kirchenfinanzen: Wie der Staat die Kirchen finanziert“, dass der Staat die Kirchen finanziere und diese dadurch unverhältnismäßig viel Bedeutung und Einfluss in Deutschland gewinnen würden. Daher komme das Wort „Caritaslegende“: Die Kirche verbreite den Eindruck, als würden sie ihre sozialen Einrichtungen weitgehend aus der Kirchensteuer finanzieren. In Wirklichkeit finanziere der Staat alles.
Die Gemeinwohldienlichkeit – Nicht Privilegierung, sondern eine Frage der Gerechtigkeit
Die Caritas finanziere sich aus Eigenmitteln, Spenden, Stiftungen, Sozialversicherungsleistungen, öffentlichen Zuschüssen. Sie sei kein Konzern, sondern die Orts-Caritasverbände würden die Hilfen für Menschen in schwierigen Lagen vor Ort erbringen. Hier gehe es um Kindergärten, Altersheime usw., aber auch um kirchliche Schulen. Sie würde also soziale und kulturelle Dienstleistungen „im staatlichen Auftrag“ erbringen. Dieser staatliche Auftrag begründe, dass die Träger dieser Hilfen festgesetzte Sätze erhalten, die kontrolliert werden. Es handele sich keinesfalls um staatliche Privilegierung oder Finanzierung der Kirchen. Diese Leistungen würden allen zustehen, die solche Dienstleistungen erbrächten.
Zahlen und Fakten
Manche Bereiche habe die Caritas zu 100% übernommen, weil sie als wichtig erachtet würde, z.B. Alleinerziehendenarbeit oder zu hohem Prozentsatz die Geflüchtetenunterstützung. Wo die Notwendigkeit erkannt wird aus der Erfahrung vor Ort, wird entsprechend refinanziert. Auch z.B. Beratung von Alten und ihren Angehörigen… Caritas leiste vieles, was für die Gestaltung der Gesellschaft und den sozialen Frieden notwendig sei.
Staatliche Refinanzierung kirchlicher Caritas?
Aus dem theologischen Selbstverständnis heraus fühle sich die Caritas verpflichtet zum Gemeinwohlbeitrag als Sorge um die sozial gerechte Gestaltung der gesellschaftlichen Ordnung sowie um die am Rande der Gesellschaft Stehenden. Die „öffentliche Hand“ spare durch solche Initiativen der Kirchen und für den Steuerzahler werde es günstiger. Hier zeige sich, dass die Caritaslegende eine Verdrehung der Tatsachen sei.
Der staatliche Auftrag und das Subsidiaritätsprinzip
Das Sozialstaatsprinzip sage, dass der Staat verpflichtet sei, für jeden Menschen ein menschenwürdiges Dasein zu sichern. Wenn dann Kirchen und andere Träger Aufgaben übernehmen, für die der Staat verpflichtend zuständig sei und deshalb eine Refinanzierung übernehme, könne man nicht sagen, dass der Staat die Kirchen unterstütze, sondern vielmehr seien es die Kirchen und alle anderen Akteure auf diesem Gebiet, die den Staat unterstützten, z.T. unter hohem Einsatz von Eigenmitteln. Der Staat lege seine eigenen Pflichten in die Hände dieser Anbieter.
Spezifisch christliche Prägung
Die Angebote der Caritas seien nicht deshalb christlich, weil die Empfänger Christeninnen und Christen seien, sondern weil die Subjekte des Angebots Christen und Christinnen seien. In der Konsequenz sei es deshalb wichtig anzuerkennen, dass die Christlichkeit einer Einrichtung nicht vorrangig zu tun habe mit dem katechismusmäßigen Lebenswandel der Mitarbeitenden, sondern vielmehr mit der Loyalität zur Grundausrichtung der Institution und ihren Werten. Diese Sicht habe sich in einer neuen Grundordnung, die sich die Kirchen gegeben hätten, niedergeschlagen. Allerdings sei das noch nicht überall durchgedrungen. Kirche habe hier gelernt, nachdem sie viel gutes, kompetentes Personal verloren habe, das an seinem persönlichen Lebensumständen gemessen worden sei und nicht an der Loyalität zur Grundausrichtung der Institution.
Die Caritas als das (menschen)freundliche Gesicht der Kirche
Wenn die Kirche die Gemeinwohlverpflichtungen auch und gerade in einer individualisierten und pluralisierten Gesellschaft ernst nehme, Hilfe und Unterstützung für alle Menschen anbiete und damit dem Sozialstaatsgebot zur Realisierung verhelfe und eine verlässliche, transparente Partnerin des Staates zur Realisierung des Gemeinwohls darstelle, könne das mithelfen, dass die Kirche wieder mehr Glaubwürdigkeit zurückgewinnen könne.