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2. März 2024 | Delegiertentagung | 

Charisma und Wachstum


Prof. em. Dr. Julius Kuhl, Osnabrück, spricht über „Spiritualität und Selbst(-werdung) und Beiträge aus der PSI-Theorie“ (Foto: Brehm)

Prof. em. Dr. Julius Kuhl, Osnabrück, spricht über „Spiritualität und Selbst(-werdung) und Beiträge aus der PSI-Theorie“ (Foto: Brehm)

Hbre & CBre. „Charisma und Wachstum“ stand als Thema über dem ersten Nachmittag der Delegiertentagung der Schönstatt-Bewegung Deutschland. Zunächst waren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim Referat von Prof. em. Dr. Julius Kuhl, Osnabrück, eingeladen, sich mit „Spiritualität und Selbst(-werdung) und Beiträgen aus der PSI-Theorie“ auseinanderzusetzen. Dann war es Pater Hans-Martin Samietz, München, der die Delegierten unter dem Thema „Du schenkst mich mir größer zurück“ zu einer Neulesung der „Idee vom Gnadenkapital“ anregte. Zwei Zeugnisse zum „gelebten Liebesbündnis“ rundeten den Nachmittag ab.

Spiritualität und Selbst(-werdung) und Beiträge aus der PSI-Theorie

Bei der von Professor Dr. Julius Kuhl, ehemals Inhaber des Lehrstuhls für Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung in Osnabrück, entwickelten PSI-Theorie (Persönlichkeits-System-Interaktion) handelt es sich um eine Persönlichkeitstheorie, der es – wie es in einem bei Herder erschienenen Buch heißt – gelingt, „die Kluft zwischen Religion und naturwissenschaftlich orientierter Psychologie zu überwinden.“ Der Referent warnte die Zuhörerinnen und Zuhörer vor, dass es nicht um die Praxis, sondern ausschließlich um die Theorie gehe. Theorien seien allerdings durchaus sinnvoll, denn damit könne man ein abstraktes Wissen erarbeiten, das dann auf vielfältigste Situationen angewandt werden könne, auch auf solche, die heute noch gar nicht bekannt seien.

Gott und Gehirn

Dass das vernunftbegabte Ich nicht die Empfangsstation für die „frohe Botschaft“ sein könne, habe bereits Blaise Pascal festgestellt als er festhielt: „die Vernunft wirkt langsam und nimmt so viele Rücksichten auf so viele Prinzipien, die ihr stets gegenwärtig sein müssen, dass sie jederzeit ermattet oder irre geht, da ihr nicht alle ihre Prinzipien gegenwärtig sind.“ Daher käme wohl eher die Intuition bzw. das Gefühl in Frage, das immer in einem Augenblick wirke und immer bereit sei zu wirken. Die Wahrnehmungsfähigkeit des Ich durch „analytisches Denken“, wie sie seit der Aufklärung gerne einseitig betont werde, sei langsam, verengt, jedoch sicher und logisch, tauge aber nur sehr begrenzt für das Spirituelle. Dafür viel mehr die Wahrnehmungsfähigkeit über das Fühlen. Sie sei dagegen schnell, wachsam, intuitiv, vielleicht mit dem Nachteil vage zu bleiben. Doch hier spräche Meister Eckehard von einer „Empfänglichkeitsanlage“.

Der enge Blick des Ich sei gut, wenn man Ziele durchsetzen wolle. Alles, was ablenke, blende man aus. Aber auf die Dauer koste das viel Energie bis hin zum Burnout. In Situationen, die Weite, Kreativität und Intuition erforderten, sei das Ich überfordert. Für die Person gehe es immer um Handlungskompetenz (Vorsätze umsetzen), aus Fehlern lernen, an leidvollen Erfahrungen wachsen und um Selbstwachstum.

Der kurzweilige Vortrag war inhaltlich für die Teilnehmenden durchaus eine Herausforderung (Foto: Brehm)

Der kurzweilige Vortrag war inhaltlich für die Teilnehmenden durchaus eine Herausforderung (Foto: Brehm)

Die Frohe Botschaft

Die frohe Botschaft enthalte beides (z.B.: Mt 11,5): Lahme gehen, also Vorsätze umsetzen, Blinde sehen, also aus Fehlern lernen. „Wenn ICH und SELBST zusammenarbeiten, gelingt die Umsetzung unserer Ziele am besten“, so Kuhl. „Sie sprechen aber ganz unterschiedliche Sprachen: Das Selbst arbeitet mit symbolischem Denken, beim Ich kommen nirgends Symbole vor, es hat eine ganz andere Sprache.“

Das Selbst könne sämtliche Erfahrungen parallel verarbeiten, anstatt im entweder-oder-Denken zu verharren wie das Ich. Es könne Gegensätze integrieren, beziehe Gefühle mit ein. Angst hemme, Urvertrauen beflügle, erkenne eigene und fremde Bedürfnisse, eigene und fremde Fähigkeiten, eigene und fremde Handlungsmöglichkeiten. Das Selbst bringe alle aktuell relevanten Bedürfnisse, Werte und Gefühle gleichzeitig auf den Schirm, so dass der Mensch im Entscheiden und Handeln an alles denken könne, ohne an alles denken zu müssen: Widersprüchliches werde integriert.

Dr. Kuhl: Abstimmung zwischen dem ICH und dem SELBST sind notwendig (Foto: Brehm)

Dr. Kuhl: Abstimmung zwischen dem ICH und dem SELBST sind notwendig (Foto: Brehm)

Die Sache mit den Vorsätzen

Mit Hilfe eines kurzen Abrisses der PSI-Theorie erklärte Dr. Kuhl „die Sache mit den Vorsätzen“. Um Vorsätze umzusetzen, braucht es eine Möglichkeit, diese Absicht zu speichern, sonst gerate der Vorsatz in Vergessenheit. Benötigt werde also ein Absichtsgedächtnis. Die linke Gehirnhälfte kümmert sich um den Plan, den Vorsatz (Ich). Die rechte Seite um die Ausführung, das intuitive Handeln (Selbst). Beide Instanzen müssten miteinander sprechen um zum Handeln zu kommen.

Jeder Vorsatz trage in sich ein Hemmungspotential. Je mehr Vorsätze, umso höher das Hemmungspotential. Gefühlszustände, z.B. das freudige, lustvolle Handeln könnte diese Hemmung heruntersetzen. Also sei wohl ein Emotionswechsel ein Schalthebel. In einer gelassenen Stimmung könnten Menschen einfacher auf das Ganze sehen, während in einer angstvollen Stimmung nur die Einzelheiten in den Blick kommen würden.

Selbstentwicklung durch Selbstberuhigung und durch Selbstmotivierung

Bei der Selbstentwicklung könne die Selbstberuhigung helfen. So könne zum Beispiel der, der Trost erfahre die Fähigkeit entwickeln, sich selbst zu trösten. Bei der Selbstentwicklung könne jedoch auch die Selbstmotivierung helfen, um das Selbst zum Handeln zu bringen. So könne in einer Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens und der Ermutigung durch ein verstehendes Gegenüber die Selbstmotivierung gelingen.

Quadratur des Kreises

Kuhl beendete seinen Vortrag mit der Bemerkung, dass er vom Gründer Schönstatts mitnehme, „dass einerseits das Säkulare, der Psychologie auch Zugewandte da sei und gleichzeitig die Marienverehrung als Beispiel für Innerlichkeit“ einen so starken Platz einnehme. Das sei erstaunlich und mache ihn neugierig, denn diese beiden Aspekte zusammenzubringen sei genau die Quadratur des Kreises der er sich in seinem Vortrag gewidmet habe.

Pater Hans-Martin Samietz, ISch, München (Foto: Brehm)

Pater Hans-Martin Samietz, ISch, München (Foto: Brehm)

„Du schenkst mich mir größer zurück“ – Die „Idee vom Gnadenkapital“ neu gelesen

Mit seinem Beitrag zum Thema „Du schenkst mich mir größer zurück – die ‚Idee vom Gnadenkapital‘ neu gelesen“ knüpfe er an den Ausführungen von Professor Kuhl an, so Pater Hans-Martin Samietz, ISch, München. Dabei wolle er mit „Schönstattmaterial“ zurück zu den Quellen. Das Wort Gnadenkapital komme in der Zeitschrift der Gründergeneration, die MTA, 1916 erstmals vor, bevor es Pater Kentenich 1919 nach dem Krieg in einem größeren Artikel öffentlich mache. Es sei eine Hilfe für die jungen Männer gewesen, um mit den traumatisierenden Kriegserfahrungen umgehen zu lernen, die ansonsten die Gefahr der Entfremdung des Selbst in sich getragen hätten. Im Abgeben des Schweren werde Loslassen möglich. Im Gehen ins Kapellchen um die Beiträge zum Gnadenkapital bei Maria abzugeben, komme man in Bewegung, sei man bereit, sich in Bewegung zu setzen, Schritte zu gehen, den festen Stand zu verlassen und Kontrolle, sowie kontrollieren wollen, abzugeben. Wer abgebe, sei bereit, Neues zu empfangen. Das Gnadenkapital stelle Verbundenheit her. Es sei sozusagen – und das wolle er als neues Wort vorschlagen – das Du-Investment, ins Du der Gottesmutter. Sie aktiviere dadurch den Empfangsapparat des Göttlichen. „Du gibst mich mir größer zurück. Wenn ich meine Erfahrungen teile, wachse ich, gehe ich auf die Gottesmutter und die Menschen zu.“

Zeugnis: Pfarrer Josef Treutlein (Foto: Brehm)

Zeugnis: Pfarrer Josef Treutlein (Foto: Brehm)

Frau Hamm, Benediktbeuren, Mitglied der Akademikerinnengemeinschaft (Foto: Brehm)

Frau Hamm, Benediktbeuren, Mitglied der Akademikerinnengemeinschaft (Foto: Brehm)

Gelebtes Liebesbündnis - Zeugnisse

Zwei Zeugnisse von Pfarrer Josef Treutleins, Schönstatt-Institut Diözesanpriester, über seine ehemalige Pfarrhaushälterin und deren gelebtes Liebesbündnis sowie von Frau Hamm, Benediktbeuren, Mitglied der Akademikerinnengemeinschaft, über ihren mühsamen Weg zum Glauben und die Rolle, die das Heiligtum in Schönstatt und das Liebesbündnis dabei gespielt haben, rundeten den intensiven Nachmittag ab. Pater Ludwig Güthlein machte zur Einordnung deutlich, dass es an diesem Tag darum gegangen sei, auf „die inneren Vorgänge unserer Spiritualität zu schauen, die Quellen in den Blick zu nehmen, die uns helfen, in den Herausforderungen dieser Zeit zu leben, anstatt nur Probleme zu beschreiben.“ Fadi Krikor habe gezeigt, wie jemand erstaunlich fruchtbare Schritte gehen könne. Professor Kuhl habe die Kunst des dazwischen aufgezeigt und die notwendige Zusammenarbeit von Ich und Selbst herausgearbeitet. Für ihn, so Güthlein, sei es hilfreich gewesen zu sehen, „Schönstatt ist nicht kompliziert. Es wächst aus den konkreten Lebensvorgängen: Das Liebesbündnis in den Blick nehmen, dazu kann jede und jeder etwas sagen, das betrifft das Alltägliche.“ Er wies noch auf den Abend hin, an dem gemeinsam das Liebesbündnis erneuert werden sollte, nach einem Blick auf das Lebenszeugnis von einigen Schönstatt-Helden, die ihr Leben mit der Kraftquelle Liebesbündnis gestaltet haben: Fritz Esser, Franz Reinisch, Barbara Kast, Josef Engling und Gertraud von Bullion.


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