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21. Dezember 2023 | Kommentar der Woche | 

Magdalena Kiess: Da-sein


(Foto: Harli Marten, unsplash.com)

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Kommentar der Woche:

Da-sein

Magdalena Kiess | Berlin (Foto: basis-online.net)

Magdalena Kiess | Berlin (Foto: basis-online.net)

 

 

 

 

 

Magdalena Kiess

Da-sein

21.12.2023

„Bist du an Weihnachten da?“, fragt mich meine Freundin aus der Heimat. Eine rhetorische Frage, denn ich bin ja immer an Weihnachten da. Daheim, wie ich es nenne, obwohl ich mittlerweile seit Jahren offiziell 600 km weit entfernt zu Hause bin. Es geht natürlich um Terminabsprachen für die heiß ersehnten Treffen zwischen den Jahren. Trotzdem hallt die Frage dieses Jahr eigenartig lange in mir nach. Vor Ort sein werde ich wohl, aber werde ich wirklich da sein können?

Im Arbeitsalltag fällt es mir nämlich sehr schwer, komplett da zu sein: körperlich und geistig gleichzeitig am selben Ort. Meistens erledige ich doch das eine und bin gedanklich schon beim nächsten. Dabei macht es einen gewaltigen Unterschied, ob jemand ganz da ist oder nicht.

Vor wenigen Tagen haben tausende Landwirte aus ganz Deutschland – mit ihren Traktoren unübersehbar präsent – gegen geplante Streichungen von Steuererleichterungen im Agrarbereich demonstriert. Ihr Anliegen und ihre Botschaft bekamen durch ihr Da-sein deutlichen Nachdruck. Ebenso eindrücklich sind die vielen Demonstranten für Frieden im Nahen Osten. Oder denken wir an die mutigen Frauen im Iran, die immer noch für ihre Freiheitsrechte auf die Straße gehen und damit alles riskieren. Ihr Da-Sein drückt eine Überzeugung und eine Botschaft aus – es macht einen Unterschied.

Umgekehrt spüren wir die Lücke, wenn jemand nicht mehr oder nicht ganz da ist. Das weiß jeder, dessen Gesprächspartnerin oder -partner sich schon Mal mit einem „Sorry, jetzt war ich grad ganz wo anders!“ für gedankliches Abschweifen entschuldigt hat. Das kennt auch jemand, der oder die ein feierliches Essen oder eine Party plant und plötzlich Absagen eintrudeln. Und um wie viel mehr erleiden es diejenigen, die gerade einen lieben Menschen verloren haben. Ihr Da-sein war wichtig – es macht einen Unterschied! „Wie gut, dass es in diesen Situationen Menschen gibt, die einfach da sind“, schreibt mir einer von ihnen. Dass jemand einfach nur da ist, auch wenn die Worte fehlen, hilft in der Not.

Unser Da-sein macht einen Unterschied. Manchmal denke ich, es ist in unserer schnelllebigen Zeit mit den vielen Alternativen vielleicht sogar ein Auftrag. Im Englischen zumindest hat er sogar Einzug in die Bezeichnung für Menschen gefunden: human being. Nicht etwa human doing oder human performing. Nein, human being: Mensch-sein.

Ich finde, das ist eine sehr weihnachtliche Botschaft, denn Gott, der sich selbst „Ich bin da“ nennt, wird Mensch, damit er noch greifbarer da sein kann. Sein Name wird Fleisch. Sein Wort ist kein leeres Versprechen oder eine Hülse, sondern Realität: Er ist wirklich da.

Was für einen Unterschied es macht, wenn das lang erwartete Kind endlich geboren ist, wissen die frisch gebackenen Eltern. Wie sehr es das Leben durch sein bloßes Da-sein bereichert, wissen sie auch. Und wie sehr man für es da sein muss, wie sehr es einen in die Gegenwart holt, erst recht.

Vielleicht gelingt uns ja dieses Weihnachten ein besonderes Bewusstsein für das Da-sein des „Ich bin da“. Und vielleicht erleben wir auch die Kraft unseres eigenen Da-seins und des der Anderen in unseren Begegnungen.

„Mach‘s wie Gott, werde Mensch“, lautet der Titel eines Buches von Bischof Franz Kamphaus. Auf eine Postkarte gedruckt ist er mir kürzlich wieder begegnet und ich dachte: Nein. Es sollte besser heißen: „Mach’s wie Gott, sei da.“

„Ja klar, ich bin da“, antworte ich also meiner Freundin. Und ich hoffe, es stimmt.

Magdalena Kiess, Berlin
Theologin

Quelle: www.basis-online.net 
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung


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