Nachrichten

1. Dezember 2023 | Worte des Bewegungsleiters | 

Füreinander – in den Rissen


Füreinander (Foto: Joshua Choate, pixabay)

Füreinander (Foto: Joshua Choate, pixabay)

Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Mitglieder und Freunde der Schönstatt-Bewegung!

An dem Bild von den beiden Jungen bin ich hängen geblieben. Selbst beim Anschauen dieser Momentaufnahme, ohne dass man einen bewegten Film vor sich hat, spürt man, wie wackelig das Ganze ist. Gleichzeitig macht dieses Bild von kindlichem Miteinander und Füreinander unmittelbar Freude. Selber noch am Laufen lernen hilft der Größere seinem Bruder.

Weihnachten 2023

Die weihnachtliche Friedensbotschaft verortet das Lukasevangelium an den Hirtenfeldern in der Nähe von Bethlehem. Knapp 70 Kilometer vom Gazastreifen entfernt, überlagern in diesen Wochen ganz andere Nachrichten und Bilder die biblischen Verheißungen. Es braucht ein Weihnachtswunder, wenn bis Weihnachten ein Einlenken der Gewalt beginnt. Sollte dafür nicht die „stille, heilige Macht des Gebets“ (Papst Franziskus) den Advent in diesem Jahr ganz besonders prägen? Seit Langem brennt auf dem Altar des Urheiligtums in Schönstatt eine Kerze, die zum Gebet um Frieden einlädt und mahnt.

Viele Kurzgeschichten und Erzählungen aus der Literatur und auch aus Familienerinnerungen fallen mir ein, die Weihnachtserfahrungen aus den Kriegs- und Nachkriegsjahren in Deutschland beschreiben. Groß war die Freude über weniges, was man teilen und schenken konnte. Kann es sein, dass uns bei dem Vielen, was uns heute an Geschenken und Schmuck möglich ist, etwas von der Besinnlichkeit und Herzlichkeit im Erleben von Weihnachten verloren gegangen ist?

Jahresmotto 2023/2024 der Schönstatt-Bewegung Deutschland (Motiv: Hanna Grabowska)

Jahresmotto 2023/2024 der Schönstatt-Bewegung Deutschland (Motiv: Hanna Grabowska)

Der vielfältige Riss in der Existenz des Menschen

Den Mathematiker und Physiker und späteren Philosophen Blaise Pascal (1623-1662) hat die Erschütterung über das Leid und das Zerstörerische in der menschlichen Existenz nicht losgelassen. Wir alle können weder als Betroffene noch als Verursacher dem entkommen. Es gibt einen Riss und Widerspruch im Innern jedes Menschen, zwischen Gut und Böse, zwischen Wollen und Realisieren, zwischen Sehnsucht nach Unschuld und Schuldig- und Mitschuldigwerden. Und es gibt einen Riss zwischen den Menschen, der auch bei guter Absicht die Beziehungen stört und manchmal zerstört. Von Missverständnissen und Gleichgültigkeit über Neid und Geringschätzung bis hin zu Gewalt und Hass kann dieser Riss Gestalt annehmen. Und nicht zuletzt gibt es einen Riss zwischen Gott und Mensch. Der christliche Glaube sieht alle diese Dimensionen des Risses als eine Wirklichkeit, die zusammenhängt. Die Beziehung zu sich, die Beziehung zu den anderen Menschen und die Beziehung zu Gott: Sie alle hängen zusammen und bedürfen der Erlösung. Sünde und Vergebung sind nicht nur einzelne Erfahrungen. In der Theologie hat man deshalb von Erbsünde oder Ursünde gesprochen. Wie grundlegend man diesen Riss im Menschen einschätzt, bestimmt die Sicht über die Möglichkeit des Menschen zum Guten. Für Pater Kentenich waren die Überlegungen in Tradition und Lehre der Kirche eine Orientierungshilfe. Die unterschiedlichen Auffassungen über die Wirkungen der Ursünde sind eine Suchbewegung, wie optimistisch oder pessimistisch man dem Guten im Menschen oder seinem Hang zum Bösen gegenübersteht. Dem Gesamtzusammenhang des Bösen steht der noch größere Gesamtzusammenhang des Erlösungshandelns Gottes gegenüber, das alle Menschen und alle Schöpfungswirklichkeiten umfasst. Für Blaise Pascal ist die Erbsünde einerseits unbegreiflich, und er will sie nicht akzeptieren, andererseits kommt er für sich zu dem Ergebnis, dass die Wirklichkeit der Welt ohne die Erbsünde noch unbegreiflicher und gar nicht zu erklären wäre. In einem tiefen geistlichen Erlebnis findet er die Hinwendung zu Jesus Christus als Antwort. Er schreibt seine Erfahrung auf einen Pergamentstreifen und näht diesen in seinen Mantel ein, um ihn immer bei sich zu haben:

„Jahr der Gnade 1654 – Montag, den 23. November – …
– Seit ungefähr abends zehneinhalb bis ungefähr eine halbe Stunde nach Mitternacht
– Feuer
– Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs, nicht der Philosophen und Gelehrten.
– Gewissheit, Gewissheit, Empfinden: Freude, Friede. Der Gott Jesu Christi.
– Er ist allein auf den Wegen zu finden, die das Evangelium lehrt. – …
– Größe der menschlichen Seele Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich.
– Freude, Freude, Freude, Freudentränen. – …
– Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen. – …
– Möge ich niemals von ihm getrennt sein.
– Er ist allein auf den Wegen zu bewahren, die im Evangelium gelehrt werden. …“
(Wikipedia, Mémorial, Blaise Pascal)

So real und wirklich in der Geschichte der Menschen der vielfältige Riss ist, so real und wirklich geschieht von Gott her Heil- und Erlösungsgeschichte.

Füreinander – in den Rissen

Die Geburt des Kindes vor mehr als 2000 Jahren in Bethlehem unter widrigen Bedingungen: Welche Glaubenserfahrung – die den Gott der Philosophen übersteigt – braucht es, um zum Kern des Weihnachtsfestes zu kommen? „Da geht einem das Herz auf“, sagte jemand spontan beim Blick auf das Bild am Anfang dieses Artikels. Ein Denker wie Blaise Pascal brauchte lange, bis ihm das Herz aufging für den menschlich-göttlichen Realismus in den Zeugnissen der Heiligen Schrift. Und es war ein ganz besonderer Moment, den er unbedingt festhalten wollte.

Gerade in den Rissen und Herausforderungen wollen wir Gott finden, der Räume eröffnet. Ich glaube, die Erfahrung von Miteinander und Füreinander in Momenten von Brüchen und Rissen kann uns das Herz aufgehen lassen und uns Türen öffnen. Das Geheimnis des Weihnachtsfestes ist das ganz besondere – und gleichzeitig ganz normal-menschliche – Miteinander Gottes mit uns Menschen. Das „Für uns“ Gottes geht hinein in alle unsere menschlichen Risse. Diese Überzeugung beschreibt der heilige Paulus im sogenannten Philipper-Hymnus (Phil 2,5-11):

„Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht:
Er war Gott gleich,
hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein,
sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave
und den Menschen gleich.
Sein Leben war das eines Menschen;
er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod,
bis zum Tod am Kreuz.
Darum hat ihn Gott über alle erhöht
und ihm den Namen verliehen,
der größer ist als alle Namen,
damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde
ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu
und jeder Mund bekennt:
Jesus Christus ist der Herr zur Ehre Gottes, des Vaters.“

Miteinander und Füreinander ist nicht kompliziert. Es ist wie das Jasagen der Gottesmutter. Es ist wie ihr Verwandtenbesuch. Es ist wie der Weg zum Tempel mit ihrem Kind. Es ist wie ihre Aufmerksamkeit, wenn beim Fest etwas fehlt. Es ist wie ihr Dableiben in der Stunde des Schmerzes. Es geschieht in kleinen Schritten. Es beginnt in jedem von uns.

Und doch hat es die Macht, dass uns das Herz aufgeht. Bei allen Beteiligten und sogar bei denen, die es sehen.

Ich wünsche Ihnen allen ein Miteinander- und Füreinander-Weihnachten

P. Ludwig Güthlein
Schönstatt-Bewegung Deutschland


Top