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2. November 2023 | Worte des Bewegungsleiters | 

... in den Rissen ... schaffst du Raum


Jahresmotto 2023/2024 der Schönstatt-Bewegung Deutschland (Motiv: Hanna Grabowska)

Jahresmotto 2023/2024 der Schönstatt-Bewegung Deutschland (Motiv: Hanna Grabowska)

Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Mitglieder und Freunde der Schönstatt-Bewegung!

… in den Rissen

November und Herbst unterstreichen mit dem Fallen der Blätter und dem tristen Wetter die Gedenktage rund um die Sterblichkeit des Menschen: Allerseelen am Beginn des Novembers und Totensonntag am letzten Sonntag im Kirchenjahr vor dem ersten Adventssonntag. Dieses Gedenken verbindet sich mit einer gewissen Nachdenklichkeit und stillen Besinnlichkeit. Durch den Überfall auf Israel und den beginnenden Krieg ist dies alles von Raketen- und Bombenexplosionen übertönt. Nachrichten und Kommentare sprechen eine Sprache, die den Schock widerspiegeln: Entsetzlich, unerträglich, unmenschlich, Rache, Vergeltung, auslöschen, Hass, Vernichtung. Und auch die Worte Flächenbrand und Weltkrieg gehören dazu.


Käthe Kollwitz: Mutter mit dem toten Sohn (Foto: jensjunge, pixabay)

Käthe Kollwitz: Mutter mit dem toten Sohn (Foto: jensjunge, pixabay)

Bei der Neugestaltung des Mahnmals für die Opfer der Kriege kam eine Bronzestatue in den sonst leeren Innenraum der neuen Wache in Berlin, die angesichts von „Krieg und Gewaltherrschaft“ (so die Inschrift am Boden der Gedenkstätte) nur das stumme Leid zum Ausdruck bringt. Die Statue – eine Vergrößerung des Originals – heißt „Mutter mit dem toten Sohn“ von Käthe Kollwitz. Die Künstlerin hat die Plastik in den Jahren 1937/38 angefertigt und verarbeitet darin den Tod ihres Sohnes Peter, der im Ersten Weltkrieg gefallen ist. Oft wird sie auch als Pietà bezeichnet.

Wir erleben die Eigendynamik von Hass und Gewalt, die wir mehr für ein Thema des Geschichtsunterrichts gehalten haben und betrachten wollten. „Aus dem Herzen der Menschen“ kommt Bosheit, wie Jesus sagt (Mk 7,21-22), viel schlimmer, als wir es wahrhaben wollen.

Ich weiß nicht, wie weit die Eskalation sich entwickelt haben wird, wenn diese Zeilen in den Druck gehen und erscheinen. Das Leid, das Hass und Gewalt hervorbringen, ist immer das Leid von ganz konkreten Menschen. Und jeder Einzelne, dessen Leben von Hass und Gewalt zerstört wird, zeigt uns unsere Ohnmacht an der Schwelle des Todes.

Paulus beschreibt in diese Situation hinein eine ganz eigene Art von gläubiger Erfahrung: „Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch noch Raum; wir wissen weder aus noch ein und verzweifeln dennoch nicht; wir werden gehetzt und sind doch nicht verlassen; wir werden niedergestreckt und doch nicht vernichtet. Immer tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar wird. Denn immer werden wir, obgleich wir leben, um Jesu willen dem Tod ausgeliefert, damit auch das Leben Jesu an unserem sterblichen Fleisch offenbar wird“ (2 Kor 4,8-11).

… schaffst du Raum

Wir stehen nicht über den Ereignissen und Entwicklungen dieser Wochen. Und das gilt auch für die agierenden Personen. Seien es Politiker oder Militärs. Natürlich stecken hinter jeder einzelnen Tat auch einzelne Menschen. Aber aus der Addition entsteht eine größere und unberechenbarere Dynamik. Ob das auch für die Addition der guten Taten gilt? Kann das stille Mahnmal von der Mutter mit dem toten Sohn Kraft entwickeln? Kann das Stille stärker sein als das Laute? Auch auf diese Fragen gibt jeder von uns einzeln und immer wieder neu seine Antwort. Wie ist das mit der Bosheit im eigenen Herzen, solange sie niemand sieht? Im Vergleich ist das doch alles nicht so schlimm, oder? Jesus kritisiert in dem Zitat, das ich anfangs gebraucht habe, neben Bosheit und Mord auch „böse Gedanken, Diebstahl, Habgier, Hinterlist, Neid, Überheblichkeit und Lästern“ (Mk 7,21-22). Angesichts von Addition und Eigendynamik ist vielleicht doch jeder von uns wichtig. Ohnmacht weckt schnell Machtfantasien: „Mit Gewalt all dem ein für alle Mal ein Ende bereiten“.

Jesus ist den Weg der Ohnmacht gegangen. Nicht als Spielball der Kräfte um ihn herum. Im Gebet mit seinem Vater im Himmel ist seine Antwort gewachsen: „Nicht, was ich will, sondern was du willst“ (Mk 14,36). Gebet – „die Bitte des Kindes zum Herzen des Vaters“ (Dietrich Bonhoeffer) – ist die Antwort auf die Frage, wie stark das Leise sein kann. „Das Gebet ist die sanfte und heilige Macht, die wir der teuflischen Kraft von Hass, Terrorismus und Krieg entgegensetzen“ (Papst Franziskus).

In einem Text über das Gebet aus dem Jahr 1944 während des Zweiten Weltkriegs und während seiner Gefangenschaft im KZ formuliert unser Gründer: „Christus hat es versprochen: ‚Alles, worum ihr den Vater in meinem Namen bittet, wird er euch geben.‘ Darum dürfen wir das Gebet die größte Großmacht auf Erden, eine kosmische Allmacht nennen. Es ist mächtiger als die Macht des Geldes und der Wissenschaft, wirksamer als die Gewalt der Waffen und die schöpferische Kraft des Genies. Mit einem Worte: Seine Wirksamkeit übersteigt die Macht aller natürlichen Faktoren, mag man sie einzeln nennen oder zusammenfassen. Sie können nur natürliche Wirkungen hervorbringen. Das Gebet vermag dasselbe in seiner Art auch in Bewegung zu setzen. Es entscheidet den Krieg – oft mehr als Waffen ... Nichts gibt es in der natürlichen Ordnung, was es uns nicht vermitteln kann. Darüber hinaus greift es hinein in die übernatürliche Ordnung und holt ihre Güter herein in Menschheits- und Menschenleben“ (Unterweisungen über das Gebet, Kentenich 1944).

Schon in der Anfangszeit Schönstatts entstand eine besondere Gebetsströmung. Die Schönstätter im Land wollten ihren Alltag und ihren Beruf in innerer Verbindung mit dem Heiligtum verrichten und berichteten konkrete Gebetsanliegen nach Schönstatt. Die, die hauptberuflich in Schönstatt gearbeitet haben, sollten diese Anliegen ins Heiligtum bringen. Man sprach damals vom „marianischen Ehrendienst“, sich für dieses Gebet Zeit zu nehmen.

Darauf bezieht sich Pater Kentenich im weiteren Verlauf des Textes: „Nur wer die Macht des Gebetes richtig einzuschätzen weiß, ahnt die große Bedeutung unseres marianischen Ehrendienstes für Wohl und Wehe der ganzen Familie. Wir nennen ihn gerne ihre liebende und betende Macht und bringen damit treffend zum Ausdruck seine Stellung im Gesamtgefüge der Familie, seine Aufgaben und unsere Erwartungen. Die Art, wie jede Generation ihn wertet, ist ein untrüglicher Maßstab für Art und Grad ihrer übernatürlichen Einstellung. Als Kinder unserer Zeit verfallen wir leicht der Gefahr der Vergötzung der Arbeit und des Betriebs. Der Ehrendienst ist dagegen ein wirksames und dauerndes Gegengewicht, das nicht stark genug betont und mobilisiert werden kann ... Weil die heutige Welt die Großmacht des Gebetes aus ihrer Rechnung ausgeschaltet hat, deshalb ist sie aus den Angeln gehoben. Nur die Rückkehr zum Gebete kann sie retten. Das alles regt uns an, unsere Liebesansprüche durch eifriges Bittgebet immer wieder geltend zu machen: für unsere Familie und ihre Fruchtbarkeit, für ihre Sieghaftigkeit im Streite der Zeit, für kanonisierbare Heilige aus ihren Reihen, für den rechten Gebrauch der Freiheit bis zum Ende der Zeiten, für brauchbare Berufe, für gute Eltern und Vorgesetzte, für die Sendung Schönstatts in Welt und Kirche ...

Ich habe diese deutlichen Hinweise auf die Bedeutung des Gebets in diese Überlegungen hineingenommen, weil sie in der Situation des Krieges und der Gefangenschaft entstanden sind. Lasst uns dem Gebet Raum geben für uns und den Frieden in der Welt.

Zuversicht risk it! Das Motto der „Nacht des Heiligtums“ macht es uns deutlich: Zuversicht als Perspektive unseres Jahresmottos ist keine „Schön-Wetter-Verzierung“. Es ist ein Risiko. Aber es ist ein Risiko, das ein Fundament hat. Es hat das Fundament des Liebesbündnisses mit der Gottesmutter. Es hat das Fundament einer gläubigen Lebenserfahrung.

Mit herzlichen Grüßen vom Gnadenort Schönstatt

P. Ludwig Güthlein
Schönstatt-Bewegung Deutschland


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