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1. August 2023 | Worte des Bewegungsleiters | 

Göttlicher Geschmackssinn


Miteinander Gott hören (Motiv: Maria Kiess, Freising)

Miteinander Gott hören (Motiv: Maria Kiess, Freising)

Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Mitglieder und Freunde der Schönstatt-Bewegung!

Bei einer Urlaubsreise kann man entdecken, dass die Küche anderer Länder anders schmeckt als das, was wir gewohnt sind. Schärfer oder süßer, das kann man schnell benennen. Genauere Beschreibungen werden irgendwann schwieriger. Obwohl man das Andersartige von Gerüchen und Geschmackswahrnehmungen schnell spürt, kann man es nicht so leicht auf den Punkt bringen. Im Blick auf unser Jahresmotto habe ich mich gefragt, ob es da auch so etwas gibt.

Auch wenn man auf Gott hören will, ist die Intuition einfacher als Erklärungen. Das lateinische Wort „sapere“ heißt: schmecken. Davon kommt das Wort „Sapientia“, was im Deutschen mit „Weisheit“ übersetzt wird. Und dieser Zusammenhang ist auch so gemeint. Weisheit ist Geschmack für das Gute, Wahre und Schöne.

Das ganze Jahr beschäftigt uns schon die Überschrift „miteinander Gott hören“. Ob in dieser Zeit der Geschmackssinn am Göttlichen gewachsen ist? Das Göttliche unter den vielen Eindrücken herauszuschmecken, beginnt ja, bevor man darüber ins Reden oder gar ins Argumentieren kommt. Paulus spricht von den Früchten des Geistes, an denen die göttliche Mitwirkung sichtbar wird. In seiner Aufzählung geht es um Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung (Gal 5,22). Über jede einzelne Frucht lässt sich etwas sagen. Es gibt aber auch etwas Gemeinsames, was man spürt, wenn man alles zusammen auf sich wirken lässt. In manchen Auslegungen wird diese Gemeinsamkeit in einem Bild zum Ausdruck gebracht. Alle einzelnen Früchte sind wie die Weinbeeren einer Weintraube, die ihre Lebenskraft vom Weinstock bekommt. Und für die Heilige Schrift ist es nahe liegend, darin Jesus zu sehen, der ja von sich genau das sagt, dass er der Weinstock ist und die innere Lebenskraft seiner Jünger. Er ist die Quelle der geistlichen Fruchtbarkeit, um die es im Reich Gottes geht. Eine Gemeinsamkeit liegt also in der Quelle. Aber noch etwas haben diese Früchte des Heiligen Geistes gemeinsam. Sie alle haben eine positive Wirkung. Wo man diese Früchte erlebt, entsteht ein Raum, in dem man sich gerne aufhält. Gleichzeitig wird man angeregt, selbst in Richtung dieser Früchte zu wachsen. Die besseren Kräfte in jedem von uns werden geweckt. Aus diesen Wirkungen darf man auf die göttliche Quelle zurückschließen.

Ich glaube, das kann uns im Blick auf unser Jahresmotto helfen. Ist miteinander Gott hören ein Thema, um darüber zu reden oder ist es ein Raum, in dem das Positive mehr Nahrung bekommt als das Negative? Kommt in mir so ein Wachstum in Gang, auch schon bevor bei allen Fragen die gleiche Wahrheit gefunden wird?

Hohe Dauersensibilität, wenn es um Bewertungen geht

Es ist ein Kennzeichen unserer Zeit, dass wir aufmerksamer werden für alles, was mit Abwertung, Ausgrenzung und Diskriminierung zu tun hat. Das ist geradezu ein Geschmack am Kritischen. Schon ein leichter Hauch von Missbilligung schafft unüberwindbare Blockaden. Man spricht davon, dass auch Mikro-Diskriminierungen erkannt und überwunden werden sollen und müssen. Wegen dieser hohen Sensibilität wird die Jugend manchmal als Generation Schneeflöckchen bezeichnet. Auch das klingt schon nach einer Abwertung. Es gibt aber auch ernstere Überlegungen. Haben wir nicht alle den Druck und den Wunsch nach einer dauernden Bestätigung von außen? Es ist paradox. Je mehr wir unsere Aufmerksamkeit auf unsere Einzigartigkeit und unseren Wert richten, umso mehr machen wir uns abhängig von den Bewertungen und Erwartungen anderer und steigen ein in ein andauerndes Angetriebenwerden von sich steigernden „Rankings, Ratings und Evaluierungen“. Wir leben nicht aus der Überzeugung und dem satten Besitz eines bereits gegebenen Wertes in uns – etwa Menschenwürde oder Gotteskindschaft –, sondern wir müssen das permanent von außen erwarten, bekommen, verdienen oder einfordern. „Der narzisstische Ruf treibt ja die Individuen im Wettbewerb an durch die Aussicht, diesem zu entgehen. Er treibt sie an durch das Versprechen der Einzigartigkeit. … Vom Wettbewerb erhoffen wir Heil. Als ob der Wettbewerb uns bergen könnte aus der Gefahr, die er selbst bedeutet – und uns jene Geborgenheit geben könnte, die er selbst verhindert.“ So beschreibt Isolde Charim in dem Buch „Die Qualen des Narzissmus“ (Wien 2022) den Teufelskreis, wenn wir so sehr mit uns und unserem Selbstwert beschäftigt sind, dass wir uns gerade deswegen dem permanenten Vergleichen mit anderen unterwerfen. Sie beendet ihr Buch übrigens mit der Feststellung, dass dieser Weg eine Sackgasse ist.

Königin, weil „voll der Gnade“

Im August feiern wir die Feste „Mariä, Aufnahme in den Himmel“ (15. August) und „Maria Königin“ (22. August). Es geht um die Vollendung des Menschen in Gott und durch Gott. „Voll der Gnade“ (Lk 1,28) ist das Wort, das Gott über das Leben Marias spricht. Die vielen gekrönten und geschmückten Marienbilder und mit Gold gemalten Ikonen wiederholen auf sinnfällige Weise dieses Wort.

Papst Franziskus krönt das Gnadenbild "Maria Knotenlöserin" (Foto: Videoausschnitte)

Papst Franziskus krönt das Gnadenbild "Maria Knotenlöserin" (Foto: Videoausschnitte)

Papst Franziskus hat im Jahr der Pandemie ein Bild der Knotenlöserin Maria gekrönt. Immer wenn ihn die Nöte der Menschen besonders ergreifen, drängt es ihn hin zu ihr. Das konnte man erleben nicht nur in der Pandemie, sondern auch im Blick auf das vielfältige Leid der Kriege und der Geflüchteten. Je größer die Not ist, umso wichtiger wird das Erlösungswort „voll der Gnade“. Maria ist als Person ein Raum, in dem der Geschmack am göttlichen Gnadenwirken wächst. Im Blick auf sie wächst in uns der Sinn für die gottgeschenkte Würde jedes Menschen. Dieser Geschmack am Göttlichen ist die Tür, die uns Jesus geöffnet hat, heraus aus dem Hamsterrad endloser Selbstverbesserung und Unterwerfung unter die Bestätigungserwartungen vonseiten all derer, die mit uns im gleichen Rad um die Wette laufen.

Wie sehr diese Hinwendung zur Gottesmutter ein emporziehendes Klima schafft, durfte ich oft erleben. In der Schönstatt-MJF hat sich der Brauch entwickelt, dass man, wenn man der Gottesmutter eine Krone schenkt, auch eine kleine Krone zurückgeschenkt bekommt. Die kleine Krone ist eine Erinnerung, die Grundausrichtung auf das Positive, das Wert- und Würdevolle immer wachzuhalten. Es ist Zeichen für das Versprechen, ein entschiedenes Ja zur eigenen Art und zur eigenen Würde im Alltag zu leben.

Eine Bereitschaft zu einem solchen wertorientierten Lebensstil finde ich schon sehr beachtlich. Etwas anderes geht mir aber noch mehr nach. Immer wenn ich so eine kleine Krone überreichen durfte, durfte ich in besonders offene und strahlende Augen schauen. In Anlehnung an die Abkürzung MTA für „Mater ter admirabilis – Dreimal Wunderbare Mutter“ (der Titel der Gottesmutter in Schönstatt) ist die kleine Krone aus den Buchstaben RTA geformt. Diese stehen für „Regina ter admirabilis – Dreimal Wunderbare Königin“. Einmal durfte ich einer alten Schönstätterin eine solche kleine RTA-Krone schenken. Auch in ihrer Jugend wurde die Gottesmutter mit einer solchen Krone gekrönt, aber es gab den Brauch noch nicht, dass man eine kleine Krone als Gegengeschenk bekam. Als sie davon hörte, hat sie sich eine gewünscht. Als ich sie ihr geben konnte, waren das die gleichen offenen und strahlenden Augen wie bei den jungen Frauen. Und auch die portugiesische Schönstatt-MJF hat auf den Einladungsflyern zu ihrer internationalen Begegnung beim Weltjugendtag die RTA-Krone nicht vergessen.

Bei unserem Jahresmotto miteinander Gott hören habe ich meistens zuerst das gemeinsame Suchen nach Antworten und nach den Führungen Gottes im Blick. Vielleicht ist aber ein gemeinsamer Raum, in dem der Geschmack am Göttlichen wächst, noch viel wichtiger. Was hindert uns eigentlich daran, miteinander ins Gespräch zu kommen, welche derartigen Erfahrungen wir schon gemacht haben, auch über Generationen hinweg?

P. Ludwig Güthlein
Schönstatt-Bewegung Deutschland


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