Nachrichten

16. Juni 2023 | Deutschland | 

JKI-Online-Seminar zu Geschichte und Bedeutung der „Epistola perlonga“


Online-Seminar des JKIs zur Geschichte und Bedeutung des Briefes vom 31. Mai 1949 (Grafik: Brehm)

Online-Seminar des JKIs zur Geschichte und Bedeutung des Briefes vom 31. Mai 1949 (Grafik: Brehm)

Hbre. Ein Text des Schönstattgründers, Pater Josef Kentenich, der bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg Themen behandelte, die in der gegenwärtigen kirchlichen Landschaft im Zentrum des Interesses stehen, war Gegenstand des ersten Online-Seminares „Zur Sache …“, welches das Josef-Kentenich-Institut (JKI) am 4. Juni 2023 angeboten hat.

„Epistola perlonga“ oder „Brief vom 31. Mai 1949“ – zwei Titel für denselben Text

Bei der „Epistola perlonga“ oder auch – nach dem Absendedatum des ersten Teiles – „Brief vom 31. Mai 1949“ wie dieser umfangreiche Text genannt wird, handelt es sich um das Antwortschreiben Pater Josef Kentenichs auf den Bericht von Weihbischof Dr. Bernhard Stein aus dem Jahr 1949, den dieser nach seiner Visitation des Schönstatt-Werkes verfasst hatte. Die im Text sich manifestierenden Positionen Kentenichs zu Spannungsfeldern wie Amt und Charisma, Freimut und Gehorsam oder zentralistische Führung „von oben“ versus föderative Strukturen „von unten“ führten zur Auseinandersetzung mit der damaligen Kirchenleitung und – in der Folge einer weiteren „apostolischen“ Visitation – schließlich zur Trennung Kentenichs von seiner Gründung.

Prof. Joachim Söder, Aachen, der derzeit gemeinsam mit Prof. Manfred Gerwing, Eichstätt, an einer kritischen Edition der „Epistola Perlonga“ arbeitet, nahm die über 60 teilnehmenden Personen in drei Schritten in ein erst einmal trocken anmutendes Thema hinein: Unter historischer Perspektive stand zunächst die Frage im Zentrum, wie es zum Antwortschreiben Kentenichs kam. Im zweiten textkritischen Teil stellte Söder neue Erkenntnisse zur Rezeptionsgeschichte des Textes dar und widmete sich schließlich in einem dritten Teil der Frage, welche Bedeutung der Epistola Perlonga heute zukommt.

Zur Vorgeschichte des Schreibens

Für die Teilnehmenden war es interessant zu hören, dass der Epistola Perlonga bereits eine inhaltliche Auseinandersetzung vorausging. Auf die Anklagen Erzbischof Conrad Gröbers (Freiburg) vom Januar 1943, dass Schönstatt einen ‚Staat im Staate‘ bilde, eine eigene Dogmatik und Aszetik verfolge sowie eine eigene Sprache verwende, hatte Pater Kentenich 1944 noch aus dem KZ Dachau mit den Studien „Schönstatt und Fatima“ und „Schönstatt als Gnadenort“ geantwortet. Das wurde offensichtlich im Raum der deutschen Bischofskonferenz so nicht wahrgenommen, weshalb im August 1948 die Forderung an den Trierer Bischof gestellt wurde, die Vorwürfe gegen Schönstatt zu klären. Pater Kentenich, der sich immer eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Kirche gewünscht hatte, war schließlich überrascht, dass stattdessen am 14. Februar 1949 eine bischöfliche Visitation angekündigt wurde, die schon am 19. Februar 1949 durch den damaligen Trierer Weihbischof Dr. Bernhard Stein begann. Als ihn – in Südamerika weilend – der Visitationsbericht erreicht, konstatiert der Schönstatt-Gründer, dass der Visitator offensichtlich den innersten Kern des schönstättischen „Systems“ nicht verstanden hat.

Theologie und Philosophie der Erst- und Zeitursache um die Psychologie ergänzen

Dieser innerste Kern des schönstättischen „Systems“, so Söder im Rahmen des Online-Seminares, betreffe die „Psychologie der Zweitursachen“. Dabei gehe es darum, dass Gott durch freie Zweitursachen bis ins innerste, sogar unbewusste Seelenleben der Menschen (psychologisch) hineinwirke. Durch Spiritualität und gelebtes Leben in der Schönstatt-Bewegung solle das praktisch werden. Kentenich selbst formuliere dieses Anliegen so: „Unsere zentrale Aufgabe besteht darin, die Theologie und Philosophie der Erst- und Zeitursache zu ergänzen durch die Psychologie.“ (JK 1965/12.07: Rom-Vorträge, 128) Das sei „das Grandioseste, Originellste, wohl auch am weitestgehenden Ausgebaute, was wir [die Schönstatt-Bewegung] der Zeit und Welt zu schenken haben.“ (JK 1967/ 09.04: Oberkirch, PLE 15, 226)

In der Epistola Perlonga, die in den Monaten Mai bis Juli 1949 in fünf Lieferungen in Trier eintrifft, versucht Josef Kentenich im Sinne einer wissenschaftlichen Klärung Weihbischof Stein ausführlich dieses System darzustellen und damit die im Visitationsbericht festgehaltenen Kritikpunkte richtig zu stellen bzw. zu entkräften.

Ausschnitt aus der Epistola Perlonga (Foto: Ausschnitt aus der Präsentation)

Ausschnitt aus der Epistola Perlonga (Foto: Ausschnitt aus der Präsentation)

Diskurs zur Macht – zur heutigen Bedeutung der Epistola Perlonga

Prof. Söder greift im Blick auf die heutige Bedeutung der Epistola Perlonga zwei der strittigen Themen auf. Ausführlich werde das Thema „Macht“ angesprochen. Kentenich vertrete die Position, Macht von Gott her und auf ihn hin zu denken, was Auswirkungen auf die Einschätzung amtlicher Autorität gegenüber charismatischer Autorität mit sich bringe, die Frage nach dem Gehorsam bzw. dem Freimut des Christen stelle und was sich im Spannungsfeld Zentralismus gegen Föderativismus auswirke. Im „Brief vom 31. Mai 1949“ schreibt Kentenich: „In dem Zusammenhang sei darauf aufmerksam gemacht, dass dem „Bericht“ [gemeint ist der Visitationsbericht. Anm. d. Red.] ganz allgemein das Bestreben eignet – das aus der Situation heraus verständlich ist – die amtliche bischöfliche Autorität – bewusst oder unbewusst – auf Kosten jeder anderen überbetont in den Vordergrund zu stellen. Anderswo ist bereits darauf hingewiesen worden, dass solches Unterfangen im Prinzip bedenklich ist: Wird einmal letzte metaphysische Begründung des Gehorsams verwischt und verlagert, so wird früher oder später jede – auch bischöfliche und päpstliche – Autorität unbarmherzig in den Auflösungsprozess hineingezogen.“

(Foto: Ausschnitt aus der Präsentation)

(Foto: Ausschnitt aus der Präsentation)

Wie sehr sich Kentenichs Auffassung hier vom offensichtlich sachkundigen Leser der Epistola Perlonga, der im Original mit Tinte kritische Anmerkungen hinterlassen hat, unterscheidet, kann, wie Prof. Söder anschaulich berichtet, an dieser Stelle aus der Bemerkung „Nego paritatem!“ (Ich verneine die Parallelität zwischen der einen und der anderen Autorität!) abgeleitet werden. Kentenichs Warnung vor einer mechanistischen Trennung von Erst- und Zweitursache auf der (psychologischen) Lebensebene wird hier greifbar.

Radikaler Gestaltwandel des Glaubens und der Kirche als Morgenrot einer neuen Zeit

Ein zweites, heute relevantes und bereits in der Epistola Perlonga angesprochenes Thema betreffe den radikalen Gestaltwandel des Glaubens und der Kirche. Söder formuliert von Kentenichs Antwortschreiben her die These: Von den kirchlichen Strukturen und den traditionellen Formen des Glaubensvollzugs wird (fast) nichts so bleiben, wie wir es kennen. Heute seien drei globale Trends zu benennen, die diese These stützen: Das Widerstreiten der beiden Extreme „Belonging without believing“ (dazu gehören ohne zu glauben) und „Believing without belonging“ (glauben ohne dazu gehören zu wollen) führe in der letzten Konsequenz zu einer radikalen Entinstitutionalisierung. Der Gegensatz zwischen Selbstoptimierung und Selbsttranszendierung bewirke eine radikale Personalisierung und die Spannung zwischen „Post-Christlich“ und „Post-Säkular“ werde in der Konsequenz ganz neue Formen religiöser Praxis hervorbringen. Offensichtlich habe Kentenich diese Entwicklung erahnt und in ihr nicht nur den Zusammenbruch von Bestehendem, sondern auch eine Chance für einen neuen Aufbruch gesehen. Im Brief vom 31. Mai 1949 schreibt er dazu: „Wir haben die Zeit immer nicht nur als Zusammenbruch aufgefasst, sondern auch als Aufbruch, nicht nur als Katastrophe und Ende, sondern auch als Übergang zu einer neuen Welt mit geheimen Wachstumsgesetzen, als Aufgang zu einem hellen neuen Morgenrot, zu einer neuen Zeit, zu neuen Siegen der Braut Christi, seiner Kirche. Alles Gären und Brodeln deuten wir als Gestaltwandel des Gottesreiches hier auf Erden.“

Ausschnitt aus der Epistola Perlonga (Foto: Ausschnitt aus der Präsentation)

Ausschnitt aus der Epistola Perlonga (Foto: Ausschnitt aus der Präsentation)

Weitere JKI-Online-Seminare sind bereits geplant

Nach dem erfolgreichen Auftakt der JKI-Online-Seminar-Reihe „Zur Sache …“ an dieser Stelle der Hinweis, dass bereits zwei weitere Abende geplant sind, an denen eine kostenfreie Teilnahme (Spende erwünscht) möglich ist:

  • 24. September 2023 (18:00 – 19:30 Uhr)
    Die Apologia pro vita mea – eine Verteidigungsschrift mit Provokationspotential
    Im November 1951 unterschrieb Pater Kentenich im Heiligen Offizium ein Dekret, das seine Trennung vom Ort und Werk Schönstatt bewirkte. In diesem Zusammenhang wurde ihm zugesichert, dies sei eine administrative Maßnahme, es liege nichts Strafwürdiges vor. Als sich trotzdem Gerüchte und Anschuldigungen im Blick auf seine sittliche Integrität hielten, formulierte er 1960 die Rechtfertigungsschrift „Apologia pro vita mea“, die er unmittelbar an den Trierer Bischof Matthias Wehr adressierte, aber auf Rat des Münsteraner Bischofs Michael Keller niemals absandte. Im September 1960 schreibt Pater Kentenich, die Studie solle nach seinem Tod „von der Wahrheit über Schönstatt und seinen Gründer Zeugnis ablegen, nachdem man mich zu Lebzeiten zum Schweigen verpflichtete. Was dem Lebenden verwehrt worden ist, wird man dem Toten schwerlich verweigern können.“
  • 14. Januar 2024 (18:00 – 19:30 Uhr)
    Ganz Mensch sein – die Welt des Kindesexamens
    Das sogenannte Kindesexamen ist eine aszetische Übung, um die Haltung des „Kindseins vor Gott“ zu vertiefen. Seit den Anschuldigungen gegen P. Kentenich steht es in besonderer Kritik. Betrachtet man jedoch das religionspädagogische System Schönstatts in der Gesamtschau, kommt dem Kindesexamen außerordentlich praktische Relevanz zu: Es will dazu beitragen, ganz Mensch zu werden. Angesichts des radikalen Gestaltwandels von Glaube und Religion in der Gegenwart, gewinnt gerade diese Dimension eine immer größer werdende Bedeutung für eine authentische Gottesbeziehung.

Anmeldung per E-Mail an sekretariat@j-k-i.de


Top