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1. September 2022 | Worte des Bewegungsleiters | 

Miteinander Gott hören – auch wenn es mich stört


Miteinander Gott hören (Motiv: Maria Kiess, Freising)

Miteinander Gott hören (Motiv: Maria Kiess, Freising)

Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Mitglieder und Freunde der Schönstatt-Bewegung!

Ein Prophet, der wegläuft

Wir alle kennen die Geschichte aus der Heiligen Schrift vom Propheten Jona. Es fällt ihm nicht schwer, Gott und seinen Auftrag zu hören. „Mach dich auf den Weg und geh nach Ninive, der großen Stadt …“ (Jona 1,2). Er hat keine Zweifel, was Gott von ihm möchte. Es passt aber ganz und gar nicht in seine eigenen Vorstellungen. Er kennt das Leben und weiß, dass es nur Schwierigkeiten bringt, wenn man andere zum Umdenken, zu einer Bekehrung und zu einer Änderung ihres Verhaltens aufrufen soll. Je klarer ihm sein Auftrag wird, umso weiter versucht er, davor wegzulaufen. In der Jona-Geschichte flieht der Prophet mit dem Schiff über das Meer. Gott selbst muss eingreifen und ihn zurück ans Ufer und auf den Weg nach Ninive bringen.

Ein großer Fisch verschlingt ihn und spuckt in wieder am Ufer aus. Wenn wir uns jetzt damit beschäftigen würden, dass es doch so einen Fisch gar nicht gibt …, dass drei Tage einfach unmöglich sind …, dass so eine märchenhafte Erzählung doch nicht stimmen kann … – dann hätten wir genug Material, um zu diskutieren, und brauchten uns mit den eigenen Erfahrungen des Weglaufens nicht zu beschäftigen. Wie schaut das bei mir aus, wenn mir eine Sache zu ungemütlich wird? Kopfschmerzen oder Bauchschmerzen? Andere wichtige Termine? Andere könnten das sowieso besser als ich? Auf jeden Fall muss man sich noch etwas länger und kritischer damit auseinandersetzen? … Man kann nicht nur das Hören auf die Anregungen Gottes einüben. Noch leichter ist es, Muster für das Überhören und Unentschiedenbleiben zu entwickeln.

Das beschäftigt mich auch im Blick auf unser Jahresmotto „miteinander Gott hören“. Zuerst kommt mir immer die Frage, wie das wohl geht: „Gott hören“? Viel Unsicherheit ist damit verbunden. Welche innere Anregung ist vom Heiligen Geist und welche nicht? So vieles ist gleichzeitig richtig und wichtig. Sich klar werden, ist schon schwer. Und dann auch noch mit einem gläubigen Mut und einer gläubigen Sicherheit wirklich einen Schritt ins Handeln zu tun, bleibt da leicht auf der Strecke. Bis heute sind die Erfahrungen des heiligen Ignatius von Loyola richtungsweisend für das, was man in der spirituellen Tradition der Kirche die „Unterscheidung der Geister“ nennt. Eine grundsätzliche Bereitschaft zu einer ehrlichen Offenheit steht dabei am Anfang. Es geht bei dieser Offenheit um eine Bereitschaft, auf Leichtes und Schweres, Angenehmes und Unangenehmes zuzugehen und unterschiedlichste Konsequenzen für sich selbst anzunehmen.

Unsere Jahresausrichtung „miteinander Gott hören“ sollte uns nicht verleiten, das Überlegen und Nachspüren zum Dauervorgang zu machen. Echt, lebensecht und schöpferisch wird dieses „Gott hören“ erst dann, wenn es mit konkretem Tun verbunden ist. Es reicht nicht, die Türen zu sehen, die Gott uns öffnet. Ohne Schritte durch die Tür hindurch, ohne neue Initiativen bleibt eine solche Spiritualität unfruchtbar.

Gott hören, auch wenn es mich stört

Der Prophet Jona wurde auf recht ungemütliche Weise zurückgeschubst in seinen Auftrag: Die Seeleute haben ihn mitten im Sturm aus dem Schiff ins Meer geworfen. Schließlich ist er dann doch den Weg in die große Stadt gegangen. Halbbewusste Voreinstellungen bestimmen uns oft mehr als klare Einsicht und grundsätzliche Überzeugungen. Kann man es lernen, Gott auch dann sprechen zu hören, wenn etwas nicht nach meinen Plänen läuft? Wenn es nicht nur unangenehm ist, sondern wenn mich Schicksalsschläge schwer treffen? Es ist schöner von der Liebe Gottes zu sprechen als von seinen Unbegreiflichkeiten.

Der 15. September ist im Gottesdienstkalender ein Gedenktag an die Schmerzen im Leben der Gottesmutter. In ihrem Leben spiegelt sich das Kreuz Christi. Deshalb folgt dieses Gedenken direkt dem 14. September, dem Fest Kreuzerhöhung. Nachdem die Konstantinische Basilika über dem Heiligen Grab eingeweiht war, wurde in ihr am 14. September 335 zum ersten Mal das Kreuzesholz zur Verehrung gezeigt. Daraus ist dieses Fest entstanden. In der Verehrung sollen wir nicht nur Zuschauer bleiben. Es geht darum, wie sich das Leben Jesu in meinem Leben spiegelt.

In meiner Kaplanszeit erzählte mir ein älterer Mann, wie er in jugendlichen Jahren sehr unternehmungslustig war. Eines Tages hatte er einen schweren Motorradunfall. Eine Schulter wurde zertrümmert. Es musste ein Metallstück eingesetzt werden, um sie zu stabilisieren. Seine Familie und seine Freunde und auch er selbst waren geschockt von dem schweren Unfall. Er bekam viele Besuche im Krankenhaus, und auch der Pfarrer kam bei ihm vorbei und hat sich mit ihm unterhalten. Er hörte sich die ganze Geschichte an und sagte nach einiger Zeit: „Ja, das ist jetzt wirklich ein starker Einschnitt. Und alle reden jetzt von einem schlimmen Unglück, das Sie getroffen hat. Ich möchte Ihnen jedoch sagen, dass ich auch glaube, das ist nicht nur ein Unglück, das ist jetzt für Sie eine besondere Gnade Gottes“. „Ich war ärgerlich und wütend“, sagte der Mann. „Wie kann der Pfarrer nur so reden. Aber das Wort von der besonderen Gnade Gottes ging mir nicht aus dem Kopf“. In den stillen Stunden seiner Genesungszeit hat er mit einem bewussteren Blick auf sich und sein Leben geschaut. Die Schulter heilte, aber immer wieder erinnerte ihn die ein oder andere Bewegung an das Stück Metall, das in der Schulter bleiben musste. „Ich habe damals wirklich angefangen, bewusster und verantwortlicher zu leben. Das Wort des Pfarrers ist mit mir gegangen, und heute, 50 Jahre nach dem Unfall, sage ich“ – und dabei klopfte er mit der anderen Hand auf die verletzte Schulter –, „das ist in all den Jahren meine Antenne zum Himmel gewesen. Sie hat meinen Glauben und mein Hören auf Gott viel realer werden lassen.“

Wie wir auf Schicksalsschläge reagieren, hat viel damit zu tun, wie realitätsmächtig unser Glaube ist. Gibt es einen Sinn in meinem Leben, den ich mir nicht selbst geben kann?

Beim Gedächtnis der Schmerzen Marias wird als Evangelium die Stelle mit der Weissagung Simeons im Tempel bald nach der Geburt Jesu vorgelesen. Simeon spricht davon, dass Jesus zum Zeichen des Widerspruchs und abgelehnt werden wird und direkt zu Maria sagt er: „und deine Seele wird ein Schwert durchdringen“ (Lk 2,35).

Ist so ein Verheißungswort über mein Leben eine zusätzliche Last oder eine Kraftquelle? Simeon spricht diese Verheißung aus, nachdem er die große Freude bezeugt hat, die ihm der Anblick Jesu, der Anblick des neugeborenen Messias bedeutet: „Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast.“ (Lk 2,29-31) Den Schmerz, die Fragen und Zweifel, die Sehnsucht nach Tröstung und das Jammern kann und soll man nicht überspringen, wenn einen Schweres trifft. Und doch bleibt etwas von der Zuversicht wach, die das Heil in Jesus für uns bedeutet.

Es geht um Voreinstellungen

Auch im „miteinander Gott hören“ können Voreinstellungen darüber entscheiden, wie das Hören, das Klären und das Antworten wirklich gelingt. Eigentlich weiß ich längst selbst das Wichtigste und brauche die Meinung der anderen nicht, kann genau so viel verhindern, wie das Verschweigen meiner eigenen Sicht der Dinge, weil ich mich für unwichtig halte oder weil mich die anderen ja doch nicht richtig ernst nehmen und mir widersprechen werden. Zuhören ohne Interesse ist vielleicht höflich und doch unfruchtbar. Scharfsinnige Diskussion bringt andere eher zum Verstummen, als dass es den Willen zu einem gemeinsamen Weitergehen freisetzt. Ich glaube, zum „miteinander Gott hören“ passt die Seligpreisung Jesus von den reinen und lauteren Herzen: „Selig, die rein sind im Herzen; denn sie werden Gott schauen.“ (Mt 5,8)

Am fruchtbarsten werden gemeinsame Überlegungen und gemeinsame geistliche Gespräche dann, wenn aus jedem Gespräch eine praktische Antwort wird, ein konkreter gemeinsamer Schritt. Und wäre er auch noch so klein.

P. Ludwig Güthlein
Schönstatt-Bewegung Deutschland


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