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1. März 2022 | Worte des Bewegungsleiters | 

Aufgebrochene Seelenlandschaften


Er wird dich den Weg  aus der Dunkelheit  in das  Licht  führen. Sir 17,26 (Foto: pixabay.com)

Er wird dich den Weg  aus der Dunkelheit  in das  Licht  führen. Sir 17,26 (Foto: pixabay.com)

Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Mitglieder und Freunde der Schönstatt-Bewegung!

Aufgebrochene Seelenlandschaften

Wenn man das Bild mit der ausgetrockneten Landschaft betrachtet, kann man gar nicht glauben, dass aus dieser wieder Nahrung und blühende Pflanzen herauswachsen können. Und wenn sich die eigene Seele so ausgetrocknet anfühlt, dann möchte man sich gar keine Bilder voller Lebensfreude vorstellen. Zu weit ist die eigene innere Situation weg von Freude und Lebendigkeit.

Manchmal frage ich mich, wie in diesen Wochen und Monaten die innere Seelenlandschaft unserer Kirche ausschaut. Und ich meine es nicht als abstrakte Gesamtheit, wenn ich das Wort Kirche benütze. Ich meine die vielen Menschen und das, was sie bewegt, die sich zu dieser Kirche dazugehörig fühlen. Ich meine die ganz verschiedenen Erfahrungen und Schicksale, die verschiedenen Betroffenheiten, Verantwortungen und Mitgestaltungsbereitschaften, die vielfältige Kritik und die Sprachlosigkeit: so unterschiedlich und vielfältig es die Einzelnen auch erleben, so geht es doch sehr vielen in einer Weise unter die Haut, wie wir das bisher kaum erlebt haben.

Der Missbrauchsthematik in der Kirche kann niemand aus dem Weg gehen. Die österliche Bußzeit steht vor uns, und doch wissen wir gar nicht, wie man sich auf den Weg hin zum Osterfest und hin zu einem erneuerten österlichen Glauben machen kann. Schicksalsschläge, gesundheitliche und leidvolle Einbrüche in unserem Leben können viele Warum-Fragen auslösen. Schmerzvollen Verlust kann man nicht durch ein paar gute Gedanken verarbeiten und überwinden. Es braucht Verarbeitung, es braucht Zeit und es braucht auch das gläubige Fragen und Ringen, wie das ist mit Gottes Nähe in solchen Etappen des Lebens und ob ich ihm noch vertraue, dass er den Weg weiterführt und die Tür zum Licht wieder öffnet.

Das Lied aus dem Musical bringt solche Fragen ins Wort: „Wozu nur die Tränen, der Schmerz und der Tod? Bin ich, wenn’s Ende kommt, geborgen in Gott? … Woher nur die Fragen, der bleibende Rest, der sich, egal auch wie, nicht auflösen lässt?“

Meine Seele dürstet – Text aus dem Musical  „Gottesspiel“ von Wilfried Röhrig, (© rigma Musikverlag, Viernheim)

Meine Seele dürstet – Text aus dem Musical  „Gottesspiel“ von Wilfried Röhrig, (© rigma Musikverlag, Viernheim)

Wenn Leid und Schicksalsschläge verbunden sind mit Schuld und Versagen und der Beschädigung von anderen, dann kommt eine besondere Hilflosigkeit dazu. Leid kann man teilen, aber mit Schuld ist das anders. Schuld vereinzelt, Schuld trennt voneinander und macht einsam. Normalerweise sind wir gut geübt in vielen Situationen und besonders, wenn es um uns selbst geht, entschuldigende Gründe zu finden. Wenn man aber nicht mehr drum herumreden kann und will, dann weiß man nicht, wo man nach Antworten suchen soll. Eine schuldige Seelenlandschaft hat alle Fruchtbarkeit verloren. Wer kann und muss da etwas in Ordnung bringen? Ohne Korrektur kann es nicht gehen. Vieles wird dazu in der aktuellen Debatte getan und gefordert, geplant und zugesagt, angeboten und zurückgewiesen. Mir scheint, dass das die Seelenlandschaft des kirchlichen Lebens nur teilweise erreicht. Ich weiß nicht, ob uns die christliche Erlösungswirklichkeit mehr aufgehen kann.

Ich glaube aber, dass in uns ein neues Verstehen wach wird für Erlösungsbedürftigkeit. Wir brauchen Kraft und Klugheit und Ausdauer, um wirklich aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Und wenn es uns gelingt, vieles besser zu machen, Strukturen und Muster zu verstehen und weiterzuentwickeln: Haben wir dann schon beantwortet, was Gott mit seiner Kirche erreichen möchte?

Das Richtige sagen und tun, keine Fehler mehr machen, für alles die passenden Regelungen finden … So notwendig das ist, so glaube ich doch nicht, dass dadurch das Evangelium neu zum Leuchten kommt.

Bekehrung ist vor allem Hinkehr

Sören Kierkegaard, ein dänischer Philosoph, Theologe und religiöser Schriftsteller, betonte, dass das Christentum keine Lehre und kein System sei, sondern eine Lebensvermittlung: „Folglich ist es (da das Christentum keine Lehre ist) nicht gleichgültig, wer es vorträgt, wenn er nur (objektiv) das Richtige sagt. Nein, Christus hat keine Dozenten eingesetzt – sondern Nachfolger.“ Kein Christ, keine Seelsorgerin und kein Seelsorger, kein Bischof und kein Papst kann sich herausdividieren aus der Jüngerschaft und Zeugenschaft für das Evangelium. Mit seinen Fehlern und Menschlichkeiten, seinem Engagement und seinem eigenen gelebten Glauben ist ein jeder Verkünder des Evangeliums. Erst wenn dadurch Jesus selbst erfahren wird, dann kann die Frohe Botschaft die Gegenwart verwandeln und zum Leuchten bringen.

Die Abkehr vom falschen Tun ist wichtig und doch ist das Wichtigere die Hinkehr zu Jesus Christus selbst. Er, der auferstandene Herr, der uns zur Freundschaft mit ihm einlädt, ist die Blickrichtung und der Weg. Die Demut der Schuld sollte bei allem Bemühen nicht zu einer angestrengten Selbsterlösung werden. Wieder könnte unser menschliches Tun im Mittelpunkt stehen.

Wir bekennen die Gottesmutter Maria als „voll der Gnade“. In der Tradition und den Gebeten der Kirche wurden ihre Heiligkeit und ihr Glaube hochgepriesen. Und doch hat die Theologie sich Mühe gegeben, dass man das nicht als ihr Verdienst verstehen soll. Im Hinblick auf die Erlösungsgnade Jesu Christi wurde sie vor Sünde und Schuld bewahrt. Sie ist die Ersterlöste und Vollerlöste.

Natürlich gibt es die Sehnsucht nach Fehlerlosigkeit. Nachfolge Jesu ist jedoch anders. Jede Not und auch jede Schuld soll uns enger zu ihm führen. Das ist ein demütiger Weg und gleichzeitig ein froher und befreiter Weg.

Stehen in göttlichem Licht

Ich glaube, wir haben in diesem Jahr eine besondere Fastenzeit vor uns. Das Wort aus dem Buch Jesus Sirach gibt die richtige Antwort auf die vertrocknete und aufgebrochene Seelenlandschaft. „Er wird dich den Weg aus der Dunkelheit in das Licht führen“ (Sir 17,26). Mehr mit Gott rechnen. Mehr auf ihn bauen. Ich glaube, das ist die richtige Ausrichtung für unseren diesjährigen Weg hin zum Osterfest. „Die Bruchstellen unseres Lebens können und sollen zu den Einbruchstellen der Gnade werden“, hat unser Gründer Pater Kentenich oft gesagt. Das war nicht gelernte Theologie, sondern Lebenserfahrung.

Und das gilt für alles, was wir an Brüchen und Zusammenbrüchen zu bewältigen haben. Das Auf und Ab der Coronaentwicklungen geht über die durchschnittlichen Alltagsbelastungen hinaus. Die politischen Polarisierungen belasten Familien und Gemeinschaften. Die wirtschaftlichen Entwicklungen und die ökologischen Aussichten sind angespannt. Gedanken im Blick auf die Zukunft der Kinder machen nicht nur nachdenklich, sondern schaffen Besorgnis und Unsicherheit. Zuversicht und Licht liegen nicht in „mehr Bemühung“, sondern in „mehr Hingabe“.  Meine ganz persönliche Lebenssituation ist der Ort, wo es um das Wachsen meiner Hingabe geht. Die kleinen Maschen des Alltags stricken „aus Liebe“ und mit einem heldenhaften Vertrauen, dass ich nicht das Ganze überblicken muss, das ist unsere Nachfolge Jesu. Gerade weil die Betroffenheiten tiefer gehen, als wir verkraften. Das Ganze hat der Vater in der Hand.

Die dunkelste Stunde im Leben Jesu ist auch die Stunde seines größten Vertrauens und seiner größten Hingabe an den Vater. Mit lauter Stimme ruft er: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ (Lk 23,46). Da berühren sich Karfreitag und Ostern.

Ich wünsche Ihnen gesegnete Wochen,

P. Ludwig Güthlein
Schönstatt-Bewegung Deutschland


Leitartikel aus dem Bündnisbrief der Schönstatt-Bewegung Deutschland
Redaktionsschluss: 18. Februar 2022

Jahresbitte 2021/2022 der Schönstatt-Bewegung in Deutschland (Foto: pixabay)

Jahresbitte 2021/2022 der Schönstatt-Bewegung in Deutschland (Foto: pixabay)


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