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17. Februar 2022 | Worte des Bewegungsleiters | 

Durchsichtigmachung: „hellsichtig – tiefsichtig – weitsichtig“


Unsre Welt entzaubert, entmythologisiert, das Firmament verdichtet, die Sterne wegradiert. (Foto: pixabay.com)

Unsre Welt entzaubert, entmythologisiert, das Firmament verdichtet, die Sterne wegradiert. (Foto: pixabay.com)

Liebe Leserinnen und Leser des Bündnisbriefes,
liebe Mitglieder und Freunde der Schönstatt-Bewegung!

„Die Welt ist voller Götter“

Die Aussage, dass alles voller Götter sei, wird Thales von Milet (6. Jahrhundert vor Christus) zugeschrieben. Er steht am Übergang von einer mythischen Sicht der Welt zu einer philosophischen Sicht. Wir würden es vielleicht eine wissenschaftliche Sicht nennen. Obwohl er anfängt nach den Ursachen zu fragen, wie etwas entsteht, überwiegt bei ihm das Staunen über die Kräfte der Natur.

Ein Magnet war für ihn etwas Beseeltes. Anders konnte er sich nicht erklären, dass er Eisen anzieht. Nach zweieinhalb Jahrtausenden ist aus dem menschlichen Erforschen eine Welt geworden, die zwar so komplex und kompliziert ist, dass kein einzelner Mensch mehr alles begreifen oder wissen kann, aber gemeinsam verbindet uns der Eindruck, dass wir, die Menschen, an sich alles wissen und verstehen können.

Wenn wir nachts den Sternenhimmel über uns anschauen, dann können wir immer noch staunen, aber kann man darin Nähe Gottes erleben? Wenn wir heute besondere Momente und Erfahrungen mit Gott in Verbindung bringen, dann ist das nicht mehr so unmittelbar. Wir haben sofort das Anliegen, es in Einklang zu bringen mit unserer selbstverständlichen und innerweltlichen Sicht von allem. Ob man bei dem Wort „Bewahrung der Schöpfung“ irgendwie Nähe Gottes miterlebt? Praktisch macht es wohl oft keinen Unterschied, ob man von „Schutz der Umwelt“ oder „Bewahrung der Schöpfung“ spricht. Alltäglich ist es nicht, dass unsere Sicht der Dinge über den irdischen Horizont und das menschliche Verstehenkönnen hinausreicht. Hautnah Gott spüren, unmittelbar von seiner Nähe ergriffen sein, sich von ihm angesprochen und gerufen erleben, ja vielleicht sogar von ihm herausgefordert sein: das gibt es natürlich. Aber es ist eine Sache der persönlichen Deutung und der eigenen Gedanken über die Welt und das Leben. Es ist eher unpassend oder auf jeden Fall nicht leicht, mit anderen über eine derart persönliche Sicht von Erfahrungen zu sprechen. In unserem allgemeinen Sprechen ist so eine persönliche Glaubenserfahrung eben ein Gedanke, eine Idee, die einem ja wichtig sein kann, aber eben kein realer Bezugspunkt für alle.

In Frankreich wurde unter der Überschrift Laizität und durch eine rigide Trennung von Religion und Staat alles gläubige Deuten in den privaten Bereich verdrängt. Das Erleben des Alltags ist bei uns nicht so anders. Das Lied „Entzaubert“ aus dem Musical Gottesspiel (s. S. 12) beschreibt und kritisiert diese Einstellung zum Leben mit den Worten: „begrenzte Sicht – Himmel dicht – himmlische Ruh – Vorhang zu“.

Wenn wir laufen, wenn wir atmen: begrenzte Sicht.
Wenn wir feiern, wenn wir tanzen: Himmel dicht.
Wenn wir denken, wenn wir fragen: himmlische Ruh.
Wenn wir schreien, wenn wir schweigen: Vorhang zu.

Unsre Welt entzaubert, entmythologisiert,
das Firmament verdichtet, die Sterne wegradiert.

Durchsichtigmachung

Für Pater Kentenich war es die wichtigste Aufgabe für eine christliche Alltagsspiritualität, täglich zu üben, wie die Ereignisse meines Lebens, die Personen und Begegnungen, die inneren Anregungen und die äußeren Verhältnisse durchsichtig werden auf Gott und auf seine Weichenstellungen und Wünsche hin. Das Leben selbst soll in einer persönlichen und gemeinsamen Spurensuche zu einem lebendigen Gespräch mit Gott werden. „Durchsichtigmachung“ ist ein ungewohntes Wort. Die Aufgabe selbst, die das Wort beschreibt, ist ungewohnt für ein geistliches Leben. Zu sehr hat sich eine traditionelle und gesellschaftlich verankerte Verkündigung des Glaubens daran gewöhnt, dass man die Wahrheiten des Glaubens eben hören und annehmen muss, um sie dann im eigenen Leben umzusetzen. Vom Suchen und vom Wagnis des Glaubens war weniger die Rede. Beim heiligen Benedikt, dem Vater des abendländischen Mönchtums, denkt man eher an seine Regel des Klosterlebens, als daran, dass er die Aufgabe eines Mönches darin sieht, „Gott zu suchen“. Und Ignatius von Loyola hat es programmatisch formuliert: „In allem Gott suchen, finden und lieben“.

Für Pater Kentenich ist „Durchsichtigmachung“ einerseits seine Weltanschauung, andererseits ist es eine dauernde aktive Bereitschaft, die Einladungen Gottes auch konkret zu beantworten.

„hellsichtig – tiefsichtig – weitsichtig“

Oberflächlichkeit und auch das andauernde Getriebensein und von unendlich vielen Eindrücken Berieseltwerden ist wie ein dauernder Schleier, der den freien Blick verhindert.

Es braucht Übung und die Gaben des Heiligen Geistes, um tiefer, klarer und weiter zu sehen:

Inmitten des vielfältigen Miteinanders die Freundschaft.
Inmitten der Ausgelassenheit die Freude.
Inmitten meiner Einsamkeit das Staunen.
Inmitten der oberflächlichen oder vorläufigen Liebe die Treue.
Inmitten der Begeisterung die Verantwortung und Verlässlichkeit.
Inmitten der Sexualität die Fähigkeit zur Hingabe und Liebe.
Inmitten der religiösen Gefühle die eigentliche Gottesbegegnung.
Inmitten der vielen Wünsche die Stimme der Berufung.
Inmitten von Enttäuschungen die Gewissheit über den eigenen Weg.
Inmitten meiner Schwächen die echte Menschlichkeit.
Inmitten meiner Unsicherheit das Vertrauen auf Gottes Begleitung.

Jahresbitte 2021/2022 der Schönstatt-Bewegung in Deutschland (Foto: pixabay)

Jahresbitte 2021/2022 der Schönstatt-Bewegung in Deutschland (Foto: pixabay)

Antworten „in Freiheit aus Liebe“

Das Wichtigste für die Spiritualität des Liebesbündisses, die Schönstatt prägt, ist es, dass aus allen Erfahrungen und Deutungen konkrete Antworten erwachsen. Erst wenn wir uns zu Antworten bewegen lassen, die im Alltag sichtbar werden, erst dann durchbrechen wir die Gedankenblasen, in denen sich unser Leben und vor allem oft unser Glaube abspielen. Wenn wir nicht nur in Gedanken und der Absicht nach „Ich“ sagen, sondern wenn wir handeln und uns einlassen.

So wird aus „Durchsichtigmachung“ ein Dialog mit Gott, ein fragender, suchender und antwortender Dialog. Es geht um ein Wachsen in der Hingabe. Mit ganzem Herzen, mit Leib und Seele antworten ist das Ziel und gleichzeitig der Weg. Dabei sind zwei Worte wichtig, die vielleicht zu selbstverständlich klingen. Es geht um ein Antworten „in Freiheit aus Liebe“. Beides – die Freiwilligkeit und dass das Herz wirklich beteiligt ist – sorgt dafür, dass der geistliche Weg des Liebesbündnisses fruchtbar und gesund bleibt. In vielen Schönstatt-Heiligtümern und Hausheiligtümern steht dafür als Symbol ein Krug. Es gehört zusammen, dass man Bitten und Geschenke in den Krug legt. Hingabe und Vertrauen lassen die Gottesbeziehung wachsen.

Die Schritte in diesem alltäglichen Leben mit Gott beschreibt ein kleiner Gebetsvers aus den Gebeten, die in Dachau in Gefangenschaft entstanden sind:

“Wir sehen väterlich dich stehn still hinter jeglichem Geschehn,
umfassen dich mit Liebesglut, gehn froh zu dir voll Opfermut.” („Himmelwärts“ S. 77)

Ich wünsche Ihnen viele „durchsichtige“ Erfahrungen in Ihrem Alltag und im Blick auf Ihr Leben

P. Ludwig Güthlein
Schönstatt-Bewegung Deutschland

Redaktionsschluss: 18. Januar

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