Nachrichten
Wir stehen hier und staunen
Jahresbitte 2021/2022 der Schönstatt-Bewegung in Deutschland (Foto: pixabay)
Liebe Mitglieder und Freunde der Schönstatt–Bewegung,
liebe Leserinnen und Leser von www.schoenstatt.de,
„Wir stehen hier und staunen“ lautet ein Liedtitel aus dem neuen Musical von Wilfried Röhrig. In der 2. Strophe heißt es da: „Du bist ein Geschenk des Himmels, bist nicht nur von dieser Welt. Du bist ein Himmelsbote, der uns von Gott erzählt.“ Wer den Zusammenhang des Liedes mit der Geschichte des Musicals nicht kennt, meint vielleicht, dass es sich um einen Ausschnitt aus einem Weihnachtslied handelt. In den meisten Weihnachtsliedern und vor allem in fast allen Krippendarstellungen richtet sich ja der Blick auf das göttliche Kind.
Weihnacht (Foto: Gerd Altmann, pixabay.com)
Das Kind in der Krippe wird zur Mitte des Geschehens. In dem Staunen über die Geburt Jesu vermischt sich das gläubige Staunen über die Menschwerdung des Sohnes Gottes, die unser Begreifen übersteigt, mit einer unmittelbaren Freude, das jedes kleine Kind in den meisten Menschen auslöst.
In dem Musical hat das Staunen zunächst gar nichts Weihnachtliches. Es geht um ein junges Paar, das nur über ihr neugeborenes Kind staunt. Ihr Staunen trifft sie als Eltern tiefer und ergreifender, als jede noch so kostbare Krippendarstellung es könnte. Und doch wird wie von selbst dieses menschliche Staunen durchsichtig auf den Himmel: „Du bist ein Geschenk des Himmels … In dir liegt ein Geheimnis, ein Zauber, der uns bannt. … Du bist ein Himmelsbote, der uns von Gott erzählt. … Du bist eine Verheißung, ein Anruf, der uns gilt.“ In jeder dieser Aussagen geht es um das, was die Eltern in ihrem Kind erleben. Und gleichzeitig passt jedes Wort auch auf das Geheimnis von Weihnachten.
Von der abendländischen Philosophie sagt man, dass sie ihren Anfang hat, dass der Mensch staunt. Dass der Mensch staunt über die Welt in ihrer Vielfalt, über sein eigens Existieren und über die Freiheit und die Möglichkeiten, in denen er sein Leben gestaltet. Und auch dieses Staunen kann durchsichtig werden hin auf den Schöpfer von allem. Glaube und Gotteserfahrung brauchen ein „hörendes Herz“. Sich berühren lassen – oder auch stärker sich betreffen und sogar erschüttern lassen – gehört zu vielen Bekehrungsmomenten, die Menschen erleben dürfen. Eine innere Lebenseinstellung, in der ich sozusagen ohne Pause ausgerichtet bin und mich dafür engagiere, dass meine Vorstellungen, Ideen und Verpflichtungen sich erfüllen, ist wie ein Leben in einem Raum, in dem alle Türen und Fenster geschlossen sind. Da gibt es keine Möglichkeit und auch keine Zeit dafür, dass das Leben durchsichtig wird auf Gott hin.
Welt so erleben können, dass sie durchsichtig wird, ist entscheidend. Dieser Lernweg beginnt in jeder Begegnung unseres Lebens. Sobald ein Kind das Gesicht seiner Mutter erblickt, beginnt Beziehung und wächst Bindung. Schon in den neun Monaten davor beginnt die Erfahrung von Wärme und Gehaltensein und die Stimme der Mutter wird zu einem vertrauten Ton. Pestalozzi, der einflussreiche Schweizer Pädagoge, beschreibt den Dialog der Augen als die Quelle guten Wachsens und Sich-Entfaltens: „Jede gute Erziehung erfordert, dass zu Hause die Mutter von den Augen des Kindes, von seinem Munde und von seiner Stirn jeden Wechsel seines seelischen Zustandes abliest.“ Denn „nur das Gute, das in uns ist, kann uns zu dem Bessern helfen, das uns mangelt“. Das Hin und Her von Aufeinander-Reagieren ist ein gleichzeitiges Nehmen und Geben.
Zwischen aktiv und passiv
Die deutsche Grammatik kennt zwei Arten von Sätzen: eine Aussage kann aktiv sein („Ich baue ein Haus.“) oder passiv („Das Haus wird gebaut.“). Nicht nur über Dinge machen wir passive Sätze, auch über Menschen und über uns selbst. „Ich spreche“ – „ich werde angesprochen“. In der Grammatik manch anderer Sprachen gibt es eine dritte Form. Im Griechischen spricht man von „medium“. Zu den beiden Aussagen „ich erziehe“ und „ich werde erzogen“ kommt eine dritte hinzu, die dann im Deutschen übersetzt wird mit „ich lasse mich erziehen“. Da kommen aktive Bereitschaft und passives Geschehenlassen zusammen. Der Soziologe Hartmut Rosa hat immer wieder aufmerksam gemacht, dass in der modernen Art, wie wir heute leben, kein Raum bleibt für dieses „Dazwischen“. Entweder sind wir Macher und Täter, die die Welt um uns formen und verändern oder wir sind die, auf die eingewirkt wird, sind Betroffene und Opfer von dem, was an uns geschieht.
Mit den modernen Möglichkeiten schwankt der Mensch zwischen Allmachtsfantasien und Ohnmachtsangst gegenüber dem unplanbaren Schicksal. Hartmut Rosa beschreibt verschiedene Situationen, die wie Türen sind hinein in einen Raum, in dem man das „Dazwischen“ erleben kann. Beim Tanzen gibt es ganz selbstverständlich ein gleichzeitiges Führen und Geführtwerden und auch ein Geführtwerden vom Sich-Führenlassen des anderen. Die harmonische Gleichzeitigkeit des Tanzes bildet ein Ganzes.
Mit dem Wort „Werktagsheiligkeit“ ist ein Buch und ein Pfeiler unserer schönstättischen Spiritualität benannt. Es geht dabei um ein harmonisches Ganzes des Lebens überhaupt. In der Einleitung des Buches Werktagsheiligkeit wird sie beschrieben als „die gottgefällige Harmonie zwischen affektbetonter Gott-, Werk- und Menschengebundenheit in allen Lagen des Lebens“. Im Blick auf die Schöpfung und auch im Blick auf die Ökologie des Menschen wissen wir längst, wohin uns ein von Machbarkeit getriebener Umgang mit den Ressourcen der Schöpfung gebracht hat. Wir wissen, dass wir vieles anders und besser „machen“ müssen als bisher. Wir brauchen aber auch eine veränderte Haltung. Wir brauchen auch eine grundsätzlich vorsichtigere und bewahrendere und ehrfürchtigere Grundhaltung in unserer Beziehung zu den Dingen und zu den Menschen. In diesem Sinn spricht Pater Kentenich vom wiedergewonnenen Kindessinn als Schlüssel, um die Herausforderung der Zeit zu bestehen.
Damit das Leben durchsichtig wird
„Du bist ein Geschenk des Himmels, bist nicht nur von dieser Welt. Du bist ein Himmelsbote, der uns von Gott erzählt.“ Ganz einfach ist dieser Moment. Im Anschauen des Kindes öffnet sich der Blick auf die Größe und das Geheimnis des Lebens und auch auf die Größe und das Geheimnis Gottes selbst. Bei all dem vielen, was inzwischen zu Weihnachten gehört und Hektik und Anstrengung entfaltet, hat Weihnachten trotzdem nicht seine Kraft, sein inneres Geheimnis und seine innere Größe verloren.
An jedem Weihnachtsfest haben wir noch einmal die Möglichkeit, etwas neu zu erleben oder auch nachzuerleben: Den Lernweg jedes Kindes, der mit den ersten Blicken und dem ersten Angeschautwerden beginnt.
Ob es möglich ist, die vielen Wünsche zum Weihnachtsfest zu verbinden mit dem Gedanken „du bist ein Geschenk des Himmels“? Ich glaube, wenn wir so Weihnachtsgrüße verschicken können, dann sind wir wahrscheinlich noch reichlicher beschenkt als die, denen unsere Wünsche gelten.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen eine frohe und gesegnete Weihnachtszeit!
P. Ludwig Güthlein
Schönstatt-Bewegung Deutschland
Wir stehen hier und staunen – Text aus dem Musical „Gottesspiel“ von Wilfried Röhrig, © rigma Musikverlag, Viernheim