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7. Dezember 2021 | Inspiration | 

Im Dienen das Leben finden - eine (Neu)Entdeckung der Zeit


SERVIAM - wie Maria (Grafik: Hanna Grabowska)

SERVIAM - wie Maria (Grafik: Hanna Grabowska)

Alicja Kostka. Am 7.12.1920, am Vorabend des Hochfestes der Unbefleckten Empfängnis der Gottesmutter Maria stellte sich eine junge Gräfin, Gertraud von Bullion (1891-1930) aus Augsburg, in den Dienst der Entstehung der Frauenbewegung Schönstatts. Völlige Unwissenheit angesichts der möglichen Entwicklungen, hat diese Stunde geprägt und gleichzeitig ein Vertrauen und die Hoffnung, dass Maria, die Mutter Gottes, bei diesem Vorgang die zentrale Rolle spielen und als Hauptprotagonistin wirksam sein würde. An Marias Fiat – mir geschehe! – hat Gertraud von Bullion ihr Serviam – Dienen möchte ich! – orientiert.

Noch vor einigen Jahren war es überaus schwer, die Mitgründerin der Frauenbewegung Schönstatts mit ihrer Lebensdevise: Serviam – ich möchte dienen! – einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die auf Leistung orientierten Gesellschaften des Westens haben kaum einen Raum übriggelassen für diejenigen, die im freigiebigen Dasein für andere, die Erfüllung ihres Lebens finden wollen. Eine Dummheit in den Augen der Welt? Und doch weckt eine Mutter Theresa, die sich für die Ärmsten der Armen engagiert hat, große Bewunderung und Nachahmung. Junge Volontäre, die sich heute bedürftiger Menschen in Konfliktländern der Welt annehmen oder Geflüchteten einen neuen Start ermöglichen, überzeugen mehr als gesellschaftspolitische Deklarationen und Diskussionen. Steckt nicht im Kern eines jeden Menschen auch die Sehnsucht, für andere da zu sein, da sein zu wollen, ein „pro-existere“, welches auf den Ursprung des Menschen im trinitarischen Leben Gottes letztendlich verweist: ein Mit- und Ineinander der ewigen Liebe und Schöpferkraft? Daher überrascht es nicht, dass eine Rückkehr und Neuentdeckung dieser zutiefst menschlichen und zugleich evangelischen Haltung zu beobachten ist. Gertraud von Bullions bewusst gewähltes und gelebtes SERVIAM erinnert an diese Fähigkeit und Bestimmung des Menschen.

Ein unspektakulärer Dienst

Ihr Dienst war ein unspektakulärer: ohne erkennbare Tracht und ohne Fokussierung auf eine besondere Menschengruppe, ohne Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu suchen. Eine Frau, die für andere da sein möchte, aus eigener Tiefe schöpfend. Ein Dienst, der sich im Geben erschöpft, sich aber gerade darin auch findet. Eine Selbstreflexion der jungen Gräfin gibt ihre Einstellung deutlich wieder: „Ich habe eigentlich zwei Leidenschaften: die eine ist, allen Menschen zu helfen, jedem da, wo er es braucht; die andere: Gott überall geehrt und geliebt zu wissen.“ Ein frohmachender Dienst an Menschen und an Gott und eine gebührende Antwort auf Gottes Liebe zu uns Menschen. Eine dankbare Antwort, die aus dem Beschenkt-Sein überfließt.

Eine geschichtliche Bestimmung: Mitgründerin der Frauenbewegung

Merkwürdig ist es, dass diese junge Frau aus adeligem Hause, mit ausgezeichneter Ausbildung und überdurchschnittlichen Fähigkeiten, „nicht mehr“ aus ihrem Leben machen wollte, als es überreich zu schenken, dort, wo es notwendig war und so, wie die Vorsehung Gottes sie geführt hat. Aber vielleicht liegt gerade darin eine Botschaft? „Wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren“ – sagt Jesus. „Wer aber sein Leben verliert um meinetwillen“ – hingibt – „der wird es finden.“ (Mt 16, 25)

Offensichtlich war es Gertraud von Bullions Bestimmung, den Beginn der Frauenbewegung Schönstatts mitzugestalten. Eine ihrer Wegbegleiterinnen dieser Zeit, Sr. Anselma Bossert, Florencio Varela, Argentinien, bezeugt im Jahre 1992 über Gertraud: „Sie war von der Schönstattwelt wirklich geformt und verkörperte damals schon, was Herr Pater Kentenich später über das Sein der Frau ausgesagt und gekündet hat: Ganz Seele, ganz Reinheit, ganz Hingabe.“ Beim Frauenkongress 2021 aktualisierte Schwester M. Caja Bernhard in ihrem Impuls diese Begriffe mit: „Frausein mit der Zusage: Du“, „Frausein mit Herzensbegabung: Du wirkst“ und „Frausein mit Gestaltungskraft: Von innen her mehr bewegen“. „Gertraud hat vielleicht theoretisch das nicht gewusst, aber sie hat es gelebt und hat so gewirkt“, so Schwester Anselma weiter.

Eine Verkörperung des neuen Menschen in der neuen Gemeinschaft in der Anfangsstunde der Bewegung

Es war ihr wichtig, die Atmosphäre in der jungen Gemeinschaft der Frauen so mitzuprägen, dass Außenstehende sagen können: „Seht, wie sie einander lieben!“ Sie selbst war ein liebebeseelter Mensch, der mit schwesterlicher, schlichter Liebe vorausging. Schlussendlich schenkte sie ihr Leben, damit diese Gemeinschaft von Frauen wachsen konnte („Und wenn's mein Leben kostet, Bayern soll blühen!“). Schwester Anselma Bossert bezeugt weiter: „Soweit ich es erleben und aufnehmen konnte, hatte Gertraud vollständige Klarheit über Schönstatt, was damals nicht selbstverständlich war, weil ja praktisch und konkret noch nicht viel existierte.“ (Zeugnis vom 20.10.1992)

Wenn der Papst in „Gaudete et exultate“ über die Heiligkeit heute (Nr. 24) feststellt: „Hoffentlich kannst du erkennen, was dieses Wort ist, diese Botschaft Jesu, die Gott der Welt mit deinem Leben sagen will“, dann ist es bei Gertraud das Wort: Serviam – aus Liebe, mit Freude! - wie Maria. Darin hat sie das Leben gefunden.


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