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12. Oktober 2021 | International | 

Friedensglocken für Europa – ein Versöhnungsprojekt


Bischof Dr. Gebhard Fürst bei der Weihe der Friedensglocken in Aichtal-Grötzingen (Foto: dioezese_rs)

Bischof Dr. Gebhard Fürst bei der Weihe der Friedensglocken in Aichtal-Grötzingen (Foto: dioezese_rs)

Einst wurden in ganz Deutschland, auch in den ehemaligen „deutschen Ostgebieten“, von den Nationalsozialisten Glocken aus Kirchen zur Sicherung der Metallreserve entwendet und der Kriegsmaschinerie als Rohmaterial zugeführt. Ein Fünftel dieser Glocken entging der Zerstörung und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in westdeutschen Kirchen aufgehängt, auch etwa 1.300 Glocken aus den ehemaligen Ostgebieten. Am 24. September 2021 kam es auf Initiative der Diözese Rottenburg-Stuttgart zur Eröffnung des Projektes „Friedensglocken für Europa“, in dessen Rahmen die Rückgabe von Glocken nach Polen und Tschechien sowie die Herstellung von Ersatzglocken für die Kirchen in Deutschland organisiert wird. Die aus Polen stammende Schönstätter Marienschwester M. Faustina Niestroj, die von Bischof Dr. Gebhard Fürst als eine der Projektverantwortlichen berufen wurde, berichtet von dem Projekt.

Friedensglocken für Europa – eine Initiative, die Hoffnung weckt!

Sr. M. Faustina Niestroj. Mit der feierlichen Glockenweihe von zwei Glocken am 24. September 2021 in Aichtal-Grötzingen wurde der Auftakt des Projektes „Friedensglocken für Europa“ offiziell begangen. Dazu war Bischof Dr. Gebhard Fürst, Diözese Rottenburg-Stuttgart, zusammen mit Weihbischof Martin Dawid, Diözese Ostrau-Troppau, Tschechische Republik, und Bischof Jacek Jezierski, Diözese Elbing, Polen, in den nahe Nürtingen gelegenen Ort gekommen, in dessen Kirche „Maria Hilfe der Christen“ sowohl eine Glocke aus dem polnischen Frombork wie auch eine aus Píšt' in Tschechien geläutet hatten. Dass sich Glocken aus zwei Ländern in einer Kirche befanden, war in der Diözese Rottenburg-Stuttgart einmalig und führte zu der Entscheidung, diesen Ort als Startpunkt für das Friedensprojekt zu wählen.

Von links: Bischof Gebhard Fürst (D), Bischof Jacek Jezierski (PL), Weihischof Martin Dawid (CZ)

Von links: Bischof Gebhard Fürst (D), Bischof Jacek Jezierski (PL), Weihischof Martin Dawid (CZ)

Ein Friedensglocken-Paar: Links die neu gegossene Glocke und rechts die alte, die in ihre Heimat zurückkehren wird (Foto: Boczek)

Ein Friedensglocken-Paar: Links die neu gegossene Glocke und rechts die alte, die in ihre Heimat zurückkehren wird (Foto: Boczek)

Der Tag, an dem auch eine Delegation von neun Priestern aus der Erzdiözese Ermland teilnahm, bot Gelegenheit, Kontakte und Bande der Freundschaften zu knüpfen. Wertschätzung füreinander wurde geweckt. Die Tatsache, dass das Quartier der Gäste aus Tschechien und Polen im Schönstatt-Zentrum Liebfrauenhöhe war, ermöglichte auch eine Fühlungnahme mit dem geistlichen Wallfahrtsort und dem Schönstattzentrum. Für die Priester aus der Erzdiözese Ermland ergaben sich dabei auch Anknüpfungspunkte an den Mitgründer Schönstatts, Josef Engling, um dessen Bedeutung sie wussten und dessen Geburtsort Prositten im Ermland ihnen bekannt war.

Wie das Projekt begann

Bischof Dr. Gebhard Fürst wurde bei der Erneuerung des Geläuts des Rottenburger Doms St. Martin auf eine Glocke aus Schlesien aufmerksam. Es wurde Kontakt mit Gorzów Šlaski (Landsberg/Schlesien) geknüpft und die Glocke in die polnische Heimatgemeinde zurückgeführt. Miteinander feierten die Menschen aus Deutschland und Polen einen Festgottesdienst, der deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass der christliche Glaube der einen Kirche alte Feinde als Geschwister um den Tisch des Herrn bringt. „Vor Ort habe ich erfahren, was für eine große, emotional tiefgehende Bedeutung dieser festliche Akt für die Menschen hat“ so Bischof Fürst. „Wir Fremden aus Rottenburg wurden als deutsche Glaubensgeschwister und Freunde empfangen. Ich konnte erfahren, dass die leidvolle und ungerechte Geschichte dieser Glocke sie letztlich zu einem Symbol für Hoffnung, Völkerverständigung und Frieden gemacht hat.“

Deswegen ist das Projekt Friedensglocken für Europa von der Überzeugung getragen, dass der Glaube an Jesus Christus Verletzungen und Egoismen überwindet und eine Zukunft in Frieden und Geschwisterlichkeit nicht nur ermöglicht, sondern auch dazu verpflichtet. Diese Zuversicht entspringt zwar dem christlichen Glauben, die Intention des Projekts ist aber offen für jeden Menschen mit dem guten Willen, Mitmenschen verstehen zu lernen, sich vom Anderssein bereichern zu lassen oder es gegebenenfalls auch wertschätzend auszuhalten um sich wahrhaftig begegnen zu können.

Ein Netz der Einheit, des Vertrauens und der Begegnung – Vergangenheitsbewältigung mit Zukunftsorientierung

Im Vordergrund des Projektes steht das Miteinander der Völker Europas aufgrund der christlichen Botschaft und des Evangeliums. „Friedensglocken für Europa“ beinhaltet einerseits eine Art Vergangenheitsbewältigung, ist gleichzeitig jedoch stark auf die Zukunft ausgerichtet. Es geht um das Knüpfen eines Netzes der Einheit, des gegenseitigen Vertrauens und der Begegnung.

Um das Projekt „Friedensglocken für Europa“ genauer zu umschreiben müssen wir hier einige historische Fakten anführen. Auf die Initiative des Diözesanbischofs von Rottenburg-Stuttgart Dr. Gebhard Fürst hin sollten etwa 54 vom Krieg zurückgebliebene Kirchenglocken an ihre ursprünglichen Kirchtürme in die Gebiete im heutigen Polen und der Tschechischen Republik zurückgegeben werden. 75 Jahre nach Kriegsende und 55 Jahre nach dem historischen Brief der polnischen an die deutschen Bischöfe von 1965 mit dem markanten Satz „Wir bitten um Vergebung und wir gewähren Vergebung“, ferner 30 Jahre nach dem Briefwechsel der tschechischen und deutschen Bischöfe sollte ein kleines Stück weiter am gemeinsamen Haus Europa gebaut werden.

Die Verantortlichen des Projektes (von rechts): Prof. Dr. Hans Schnieders (Projektleiter), Bischof Gebhard Fürst, Frederic Kaminski, Sr. M. Faustina Niestroj, Roman Schmid (Foto: Boczek)

Die Verantortlichen des Projektes (von rechts): Prof. Dr. Hans Schnieders (Projektleiter), Bischof Gebhard Fürst, Frederic Kaminski, Sr. M. Faustina Niestroj, Roman Schmid (Foto: Boczek)

Die Geschichte der Glocken, die zurückgehen sollen

Am 15. März 1940 hatte Hermann Göring als »Generalfeldmarschall« und »Beauftragter für den Vierjahresplan« für das ganze Reich angeordnet, die »in Glocken aus Bronze und Gebäudeteilen aus Kupfer enthaltenen Metallmengen« zu erfassen und »unverzüglich der deutschen Rüstungsreserve dienstbar zu machen«. Die Bronzeglocken seien »anzumelden und abzuliefern«. Ziel war es, »die für eine Kriegsführung auf lange Sicht erforderliche Metallreserve zu schaffen«. Rund 100.000 Glocken wurden während des Krieges von der deutschen Rüstungsindustrie zu Waffen und Munition verarbeitet.

Doch einige Glocken überstanden auf dem zentralen Glockensammelplatz in Hamburg – damals zynisch Glockenfriedhof genannt – den Zweiten Weltkrieg. Sie wurden in den Jahren nach dem Krieg, so die regierungsamtliche Lesart von heute, an deutsche Kirchen ausgeliehen. Dabei wurde hin und wieder auch eine »evangelische Glocke katholisch und umgekehrt«, sagt Rainer Türmer, der im Bundesfinanzministerium unter anderem für finanzielle Kriegsfolgen und »offene Vermögensfragen« zuständig ist. Allein 1300 Glocken aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten rufen mit ihrem Geläut auch heute noch in vielen Gemeinden in der alten Bundesrepublik die Gläubigen zum Gottesdienst.

Alte und neue Friedensglocken

Die neuen Glocken erhalten als Zierde ein Motiv, das ihren Auftrag als Friedensglocke zu läuten ins Bild bringt  (Foto: Boczek)

Die neuen Glocken erhalten als Zierde ein Motiv, das ihren Auftrag als Friedensglocke zu läuten ins Bild bringt  (Foto: Boczek)

Für alle zurückkehrenden Glocken wird eine Ersatzglocke neu gegossen und mit Friedenssymbolik ausgeschmückt. Der Künstler Massimiliano Pironti schuf ein Motiv, das inspiriert und eine Botschaft vermittelt. Er selbst gibt die Erklärung zu seinem Werk:

„Die Glockenzier der Friedensglocken bringt den Glauben ins Bild: die beiden Tauben, die Strahlen, der Sternenkranz und das Gebet um Frieden sind aufeinander bezogen und bilden eine Einheit. Das Bild zeigt, wie Frieden gleichzeitig Aufgabe für die Menschen und Geschenk Gottes ist. Die Taube, die von oben kommt und der anderen den Ölzweig – das Symbol des Friedens – bringt, ist ein Sinnbild des Heiligen Geistes. Gott liebt sich im Heiligen Geist in die Welt hinein und bietet Beziehung an. Die von weiter unten kommende Taube antwortet auf dieses Entgegenkommen. In der Begegnung darf sie dankbar empfangen, gleich dem Menschen, der der Frohbotschaft mit gläubigem Vertrauen antworten darf. Die Begegnung der Tauben wird durch die Strahlen des Sternenkranzes dynamisch getragen. Die Strahlen sind Ausdruck des Vertrauens und der Freude auf den Frieden, der sich von der Begegnung und Annahme des Heiligen Geistes aus überallhin verbreitet und durch sein Zeugnis Mut verbreiten soll. Der Kranz aus zwölf Sternen hat viele Bedeutungen und steht für die Europäische Union, aber auch für Einheit, Harmonie und Vollendung in Frieden. Der Sternenkranz steht auch für Maria, die Mutter der Kirche. Der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen ist die Sorge um den Frieden aufgetragen.

Das Gebet im Sternenkranz ist ein Aufruf um Versöhnung und Frieden für Europa durch den Friedensfürsten Jesus Christus, unseren Herrn: EXORO RECONCILIATIONEM ET PACEM IN EUROPA PER DOMINUM NOSTRUM IESUM CHRISTUM PRINCIPEM PACIS.“

Die sakrale Kunst der Glockenzier und die Worte des Gebets berichten auf diese Weise von der Friedens­botschaft des christlichen Glaubens.


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