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26. Juli 2021 | Frauenkongress | 

Die Geschichte machtvoll beeinflussen – Gertraud von Bullion und die Frauenfrage heute


Gertraud von Bullion (Foto: Archiv)

Gertraud von Bullion (Foto: Archiv)

Alicja Kostka. Die Frauenbewegung Schönstatts veranstaltet in diesen Wochen und Monaten den „FrauenKongress deutschlandweit“ mit knapp 30 Veranstaltungen. Anlass für die ursprünglich im Jahr 2020 geplante Großveranstaltung in Schönstatt, Vallendar, ist die Erinnerung, dass seit 1920 auch Frauen die Spiritualität Schönstatts und das Heiligtum der Dreimal Wunderbaren Mutter als eine wichtige Botschaft für sich entdeckt haben und so fast von Anfang an den Weg der wachsenden Bewegung mitgestalteten. Den ersten Frauen war wichtig, ihre Erfahrung mit anderen Frauen zu teilen. Heute, verbunden im Liebesbündnis zwischen Himmel und Erde, staunen sie, was alles aus dem kleinen Anfang, aus ihrem Glauben und ihrem Einsatz über Jahrzehnte geworden ist. Ein großer Baum vieler Gemeinschaften über die Länder hinweg.

Auch Gertraud von Bullion, die sich als Türöffnerin in die Geschichte dieser Bewegung eingeschrieben hat, wird sich freuen. Bis heute bleibt sie etwas im Verborgenen – gemäß ihrem Wunsch, „ein Stein tief im Fundament des Gebäudes des Apostolischen Bundes“ sein zu dürfen, unansehnlich für das menschliche Auge und doch das ganze Gebäude tragend. Dabei hatte sie als erste den Mut, selbstverantwortlich aktiv zu werden und den Frauen Anteil an der Sendung Schönstatts zu ermöglichen. Dafür hat sie sich eingesetzt und dafür hat es offenbar – bei vielen Gegenstimmen und Fragezeichen seitens der damals ausschließlich männlichen Mitglieder – eine junge Gräfin gebraucht.

Nach 100 Jahren – wieder die Stunde der Frau 

100 Jahre nach ihrem geschichtsträchtigen Schritt schlägt wieder die Stunde der Frau. Diesmal liegt der Akzent wohl stärker auf der Beteiligung der Frau am Mitentscheiden und verantwortlichen Leiten in der Kirche. Papst Franziskus setzt da konkrete Zeichen und nimmt diese Stimmen der Zeit – und der Frau – ernst. Der Gründer Schönstatts, Pater Josef Kentenich, sprach schon in den 30er Jahren davon, dass die Frau machtvoll die Geschichte beeinflussen soll, dass diese nicht nur von Männern geschrieben wurde und geschrieben werden kann. Auch nicht die Geschichte und die Zukunft der Kirche. Gerade hier steht Gertraud von Bullion als „ausgezeichneter Fall“ mit ihrem Mut und ihrem konkreten Agieren. Sie war überzeugt, dass der Apostolische Bund von Schönstatt als „Führungsgemeinschaft“ auch für Frauen geöffnet werden müsse. Sie setzte sich dafür ein, nicht konfrontativ, sondern kooperativ – den Intuitionen des Gründers entgegenkommend – und sie ermöglichte einen entscheidenden Sprung.

„Es gab einmal eine Zeit, da meinte die breite Öffentlichkeit, Geschichte würde nur von Männern gemacht. Das ist verkehrt. Auch die Frau hat Geschichte gemacht und soll heute mehr denn je die Schicksale der Welt machtvoll beeinflussen“.(Hervorhebung: Autorin)

J. Kentenich Festvortrag zum 8. Dezember 1930.

Mit einer Weite des priesterlichen Herzens – die Kirche vor Ort lebendig machen

Auch ihr war die Sehnsucht nach Priestertum nicht fremd, wenn sie einem befreundeten, angehenden Priester und ihrem späteren Biograf, Nikolas Lauer, gestand, sie beneide ihn um seinen Beruf und das „predigen dürfen“. Wie viele Menschen könne man durch diesen Dienst für Christus gewinnen! Gertraud von Bullion hat ihre Berufung als Frau in der Kirche wahrgenommen und sie hat diese Kirche vor allem von innen her mitgestaltet. Auch wenn sie nicht direkt in und an den Strukturen der Kirche beteiligt war, was damals nicht in Frage kam, so brachte sie sich bewusst ein, damit die Kirche vor Ort lebendig und erfahrbar wird – ein Anliegen auch heute. Hier kann man ihre Sorge um eine Kapelle im Lazarett nennen für die Feier der hl. Messe, die Hinführung der Suchenden zum Geistlichen, wenn es um den Empfang des Sakramentes der Beichte oder der Krankensalbung ging. Sie war sich bewusst, dass die Eucharistie die belebende Mitte der Kirche ist. Für diese Mitte hat sie sich eingesetzt und sie „lebendig gemacht“, durch eine tiefe Sehnsucht danach, durch Anbetung, den „Schmuck“ des Allerheiligsten und durch das Hinführen zu diesem Sakrament. Wo sie war, entstand etwas Lebendiges, weil sie sich von innen her zu Christus und für Christus gedrängt gefühlt hat. Braucht nicht die Kirche heute dieses Gespür für das eigentlich Heilige? Mit Gertraud von Bullion und nach ihr sind viele Frauen diesen Weg gegangen, als selbstständige Persönlichkeiten, die Kirche vor Ort lebendig zu machen.

Aber auch das Mitentscheiden auf Augenhöhe mit den Verantwortlichen der damaligen Schönstatt-Bewegung, u.a. mit dem Pallottinerpater Michael Kolb, an dessen Seite sie eine erste Verantwortliche im Norden Deutschlands war, war ihr wichtig.

So war sie aktiv beteiligt an den Überlegungen, als es um die Kriterien der Aufnahme in den Apostolischen Bund ging. Sie setzte sich dafür ein, dass im entstehenden Bundesheim auch Frauen eine Heimat finden sollten. Sie bereitete Exerzitien und weitere missionarische Initiativen vor. So war sie an Vielem entscheidend mitbeteiligt in ihrer vornehmen und respektvollen Art.

Ein ausgezeichneter Fall auch für heute

In Gertraud von Bullion hat Gott gleichsam einen „ausgezeichneten Fall“ gesetzt, eine selbstverantwortlich handelnde Frau, die sich ihres Wertes bewusst war. Sie hat ihren Einsatz und ihr Wertgefühl in der Kirche nicht von Ämtern und Funktionen abhängig gemacht, sondern schenkte sich freigiebig den Aufgaben und Menschen, die gerade da waren und vor ihr standen. Eine missionarische Jüngerin – wie Papst Franziskus den Christen von Heute und für die Zukunft sieht. Die junge Gräfin verbindet in ihrer Berufung des engagierten Apostolates Laien und geweihte Menschen, mit denen sie im souveränen „Caritas Christi urget nos“ (Die Liebe Christi drängt uns) verbunden war. Caritativ und missionarisch hoch engagiert, ist sie bis heute schwer in konkrete Rahmen zu fassen. Ein echt „aristokratischer“ Geist – im besten Sinne des Wortes, zu dem auch Pater Kentenich die Menschen in seiner Begleitung führen wollte.

Alicja Kostka (Foto: privat)

Die Autorin, Dr. Alicja Kostka, stammt aus Polen und ist Mitglied im Schönstatt Frauenbund (Foto: privat)

Ein Stein tief im Fundament

In ihrem Sich-Verzehren – wie der Gründer Schönstatts, Pater Josef Kentenich, ihr Wirken nannte – ging sie so weit, dass sie nicht nur ein „Eckstein“ des neuen Gebäudes der Frauenbewegung, damals des Apostolischen Bundes, sein wollte, sondern „ein Stein tief im Fundament“, nicht zu sehen für das menschliche Auge. Und in ihrem Streben nach höchsten Idealen blieb sie ebenfalls bescheiden: „Wenn ich eine Heilige werden soll, so gib, dass niemand es merkt und ich am allerwenigsten“ – so ihr Wunsch.

Einhundert Jahre später bleibt sie immer noch eine verborgene Perle, ein verborgener Stein, dessen Wirkung nachhaltig für das ganze Gebäude der Bewegung bleibt. Und gleichzeitig ein sprechender Fall.

Ihr Seligsprechungsprozess vor 30 Jahren aufgenommen, ruht immer noch. Ist sie zu wenig bekannt? Kam ihre Botschaft noch nicht durch? Pater Kentenich selbst sagte, er stehe ehrfürchtig vor ihrer Größe und würde sich freuen „über diejenigen, die sich angeregt fühlen, mehr dafür zu sorgen, dass unsere Gertraud von Bullion in der Familie mehr anerkannt wird“.

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