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… von der neuen Insel Utopia
Jahresbitte 2020/2021 der Schönstatt-Bewegung in Deutschland (Foto: pixabay)
Liebe Mitglieder und Freunde der Schönstatt–Bewegung,
liebe Leserinnen und Leser von www.schoenstatt.de,
Der heilige Thomas Morus (England, 1478–1535) ist auch bekannt durch seinen Roman Utopia aus dem Jahr 1516. Der Untertitel des Buches lautet: „Ein wahrhaft goldenes Büchlein, nicht minder heilsam als unterhaltsam. Von der besten Verfassung des Staates und von der neuen Insel Utopia“. Der Roman entwirft das Bild einer unwirklichen, jedoch schönen, demokratischen und von Gleichberechtigung geprägten Gesellschaft. Heute steht das Wort Utopie für eine attraktive und wunderschöne Zukunftsvorstellung und manchmal mit dem Unterton von „zu schön, um wahr zu sein“.
Ohne eine Utopie, ohne die Vorstellung, wie man sich eine bessere – schönere, menschlichere, gerechtere, sozialere, gesündere und ökologischere – Situation der Gesellschaft vorstellt, fehlt die Kraft und der Schwung, sich mit Ausdauer für eine bessere Welt einzusetzen. „Die Zukunft gehört denen, die die größere Freude verkünden“, heißt es auf einer Spruchkarte.
Vor kurzer Zeit habe ich ein neues Wort kennengelernt, das gerade das Gegenteil zu einem guten, utopischen Gesellschaftsentwurf beschreibt. In den letzten Jahrzehnten kann man beobachten, dass immer häufiger Romane, Comic-Geschichten und Filme entstehen, die eine schlimme Zukunft und die Gesellschaft nach einer globalen Katastrophe beschreiben. In diesem Zusammenhang wird von „dystopischen“ Gesellschaften gesprochen. Ich musste erst nachschlagen, um das Wort zu verstehen, das eben das negative Gegenbild zu „utopisch“ meint. Man sagt, dass in Zeiten größerer Veränderungen Vorstellungen einer eher unheilvollen Zukunft zunehmen. Unsicherheiten gehen mit Befürchtungen einher. Das kann lähmen oder aufrütteln. Manchmal möchten Untergangsprophezeiungen motivieren, die schlimme Zukunft abzuwenden. Gespür für die Dramatik von Entwicklungen kann auch Verantwortung wecken.
Auf jeden Fall kann man über Zukunftsprognosen lange diskutieren. Eine sichere Einschätzung erwächst daraus eher nicht. Und aus einem Hin und Her von positiven und negativen Argumenten wächst selten Entschiedenheit, die kommende Zeit nach Kräften mitzugestalten.
Auch das Bild zu unserer Jahresbitte (siehe oben) hat mit einem Blick in die Zukunft zu tun. Über eine nebelige Landschaft hinweg blicken die Personen, die selber im Schatten stehen, auf einen lichtvollen Horizont. Was ist der Grund für solche Zuversicht?
Die Karte ist nicht das Ergebnis aus einer Abwägung von mehr optimistischen oder pessimistischen Argumenten. Die Karte möchte ein gläubiges Vertrauen zum Ausdruck bringen. Unser Gründer, Pater Kentenich, spricht im Blick auf seine Lebenserfahrung und im Blick auf die Schönstattgeschichte gelegentlich vom „Stehen in göttlicher Zuversicht“. „Göttliche Zuversicht“ rechnet mit den Gaben des Heiligen Geistes. Man könnte sogar sagen, das Leuchten des Horizontes kommt mehr aus dem inneren Leuchten, das die Gaben des Heiligen Geistes in Menschen bewirken.
Vom Denken über Hoffnung und Zukunft zur Erfahrung einer inneren Kraft
Die christlichen Tugenden Liebe, Glaube und Hoffnung können wir nur aus der Mitte des christlichen Glaubens selbst verstehen. Die heilige Edith Stein war vor ihrer Bekehrung zum christlichen Glauben und dem Schritt, sich taufen zu lassen, ein ausgesprochen wissenschaftlich denkender und arbeitender Mensch. Als erste weibliche Hochschulassistentin der Philosophie in Göttingen beschäftigte sie sich auch mit der Frage nach Wahrheit und Glaube. Es waren vor allem Begegnungen mit gläubigen Menschen, die sie besonders bewegten.
Eine unscheinbare kleine Begegnung hatte auf sie eine tiefe Wirkung. Bei einer Durchreise besichtigte sie zusammen mit einer Freundin den Frankfurter Dom. Eine Frau mit Einkaufskorb fiel ihr auf: „Wir traten für einige Minuten in den Dom, und während wir in ehrfürchtigem Schweigen dort verweilten, kam eine Frau mit ihrem Marktkorb herein und kniete zu kurzem Gebet in einer Bank nieder. Das war für mich etwas ganz Neues. … Hier kam jemand mitten aus den Werktagsgeschäften in die menschenleere Kirche wie zu einem vertrauten Gespräch. Das habe ich nie vergessen können.“*
Noch tiefer traf sie eine Begegnung mit der Frau eines Kollegen. Ihr Mentor und Freund Adolf Reinach war im Ersten Weltkrieg gefallen. Sie wollte die junge Witwe, Anne Reinach, besuchen und wusste nicht, was sie überhaupt sagen könnte. Johannes Hirschmann SJ berichtete aus seinen Gesprächen mit Edith Stein: „Der entscheidendste Anlass zu ihrer Konversion zum Christentum war, wie sie mir erzählte, die Art und Weise, wie die ihr befreundete Frau Reinach in der Kraft des Kreuzesgeheimnisses das Opfer brachte, das ihr durch den Tod ihres Mannes an der Front des Ersten Weltkrieges auferlegt war. In diesem Opfer erlebte sie den Erweis der Wahrheit der christlichen Religion und ward ihr geöffnet. Sie weilte damals nach dem Tode von Reinach in dessen Haus, um seinen Nachlass durchzusehen.“* Diese Begegnung war für Edith Stein ein „Hoffnungsfunke“, der sie die Worte und Inhalte des Glaubens, das Leben Jesu, sein Kreuz und seine Auferstehung als Kraft und wirksame Gegenwart erfahren ließ.
„Stella maris – Stern des Meeres“
Seit über tausend Jahren bringt ein Marienhymnus die Erfahrung zum Ausdruck, dass Maria gläubige Hoffnung und Zuversicht vermitteln kann. Im Gotteslob ist er in dem Lied „Meerstern, ich dich grüße. O Maria, hilf“ verarbeitet. Sterne waren in früheren Zeiten auf dem uferlosen Meer, wo es sonst keine Orientierungspunkte gibt, die entscheidenden Hilfsmittel zur Navigation. Strömungen und Stürme, die ein Schiff aufs Meer hinaustreiben konnten, hätten es unmöglich gemacht, den Weg nach Hause zu finden.
Oft schauen wir auf die Erlösung durch Jesus Christus wie auf ein Angebot oder eine Möglichkeit, die uns die Heilige Schrift offenbart und die von uns ergriffen werden muss. Ohne diesen Glaubensschritt in Freiheit aus der Tiefe des eigenen Herzens geht es nicht. Es ist der Auftrag und Sinn des Volkes Gottes zu jeder Zeit, diese Botschaft zu vermitteln und erfahrbar zu machen. In den Glaubensaussagen über Maria und in ihrer Verehrung – angefangen vom Magnifikat im Lukas-Evangelium und weitergetragen durch viele Gebete und Lieder bis heute – liegt das Bekenntnis zu einer tieferen, einer „sicheren Hoffnung“: Die Erlösungsgnade Jesu Christi ist nicht nur eine Möglichkeit, sie ist in Maria vollständig zum Ziel gekommen. Das ist die gläubige Zuversicht und der lichtvolle Horizont, die eine marianische Spiritualität prägen. Bei all ihrem Studieren und Suchen war es der konkrete Glaube in anderen Menschen, der für Edith Stein zum „Hoffnungsfunken“ wurde auf ihrem Weg zu ihrem persönlichen Glauben an Jesus.
Vielleicht gehört es zur Schönheit und zur Freude des Himmels, einmal staunen zu können über die uferlose Fülle von Begegnungen, in denen solche Hoffnungsfunken übergesprungen sind.
P. Ludwig Güthlein
Schönstatt-Bewegung Deutschland
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* Zitat aus: www.edith-stein.eu