Nachrichten

18. Januar 2021 | Worte des Bewegungsleiters | 

Von Hauptrollen und Nebenrollen


Jahresmotiv 2020/2021 der Schönstatt-Bewegung in Deutschland (Grafik: Maria Kiess / POS Brehm)

Jahresmotiv 2020/2021 der Schönstatt-Bewegung in Deutschland (Grafik: Maria Kiess / POS Brehm)

Liebe Mitglieder und Freunde der Schönstatt–Bewegung,
liebe Leserinnen und Leser von www.schoenstatt.de,

Mit seinem neuen apostolischen Schreiben hat Papst Franziskus einen unerwarteten und ungewohnten Akzent gesetzt. Er erinnert mit seinem Schreiben an den heiligen Josef, der vor 150 Jahren in besonderer Weise zum Patron der Kirche erklärt wurde.

Von Hauptrollen und Nebenrollen

Überrascht waren sicher viele. Vielleicht war auch bei manch einem die Überraschung mit dem spontanen Gedanken verbunden, ob es nicht wichtigere Themen gibt, als an den heiligen Josef zu erinnern. Jedes Jahr bei der Oscar-Verleihung wird mir immer wieder bewusst, wie viel schöner und treffender der Preis für die beste Schauspielerin und den besten Schauspieler „in einer Nebenrolle“ genannt wird. Im Englischen spricht man von der „supporting role“, von der „unterstützenden Rolle“. Bei dem Wort Nebenrolle klingt automatisch das Wort unwichtig mit, wenn man nicht ausdrücklich von eben einer „wichtigen“ Nebenrolle spricht. Ein „Unterstützer“ hat einen Beitrag zum größeren Ganzen. Ja, oft braucht die Hauptrolle unterstützende Begleiter, um überhaupt Hauptrolle sein zu können.

Papst Franziskus meint, dass in der Geschichte Gottes mit den Menschen sowieso eine ganz andere Gewichtung von Haupt- und Nebenrollen gilt. Die Heilsgeschichte beginnt mit der Geburt des göttlichen Kindes in recht prekären Verhältnissen. Die Mächtigen der Welt sind nicht seine Unterstützer. Schutz und Unterstützung bietet ein anderer. Der heilige Josef sagt ganz Ja zu der Aufgabe und zu dem Ort, den das göttliche Drehbuch ihm zugedacht hat.

„Der heilige Josef erinnert uns daran, dass all jene, die scheinbar im Verborgenen oder in der ‚zweiten Reihe‘ stehen, in der Heilsgeschichte eine unvergleichliche Hauptrolle spielen. Ihnen allen gebührt Dank und Anerkennung“, schreibt Papst Franziskus. Der Papst sieht dies auch als eine der großen Lehren der Pandemie: „In dieser Krise konnten wir erleben, dass unser Leben von gewöhnlichen Menschen – die gewöhnlich vergessen werden – gestaltet und erhalten wird, die weder in den Schlagzeilen der Zeitungen und Zeitschriften noch sonst im Rampenlicht der neuesten Show stehen, die aber heute zweifellos eine bedeutende Seite unserer Geschichte schreiben.“

Die ganzen Darlegungen über den heiligen Josef machen deutlich, wie viel davon abhängt, mit ganzem Herzen seine Lebensaufgabe zu erkennen und anzunehmen. Jedes Kapitel in dem Schreiben von Papst Franziskus vertieft das Thema und entwickelt, was es heißt, mit dem Herzen eines Vaters zu lieben.

Geliebter Vater – Vater im Erbarmen – Vater im Gehorsam – Vater im Annehmen – Vater mit kreativem Mut – Vater und Arbeiter, so lauten die Überschriften der einzelnen Kapitel.

Gebet: Papst Franziskus (Grafik im Bündnisbrief: Maria Kies Freising)

Gebet: Papst Franziskus, in "Patris Corde", Apostolisches Schreiben anlässlich des 150. Jahrestages der Erhebung des heiligen Josef zum Schutzpatron der ganzen Kirche (Grafik im Bündnisbrief: Maria Kies Freising)

Eine gutes Bild wird durchsichtig auf Gott

Sehr selbstverständlich geht Papst Franziskus in seinem Schreiben davon aus, dass vieles, was Jesus später verkündet, Erfahrungen widerspiegelt, die Jesus in seinem Heranwachsen machen konnte. Sein so eindeutiges Sprechen vom „guten Vater“ als Anrede Gottes hat auch solche Wurzeln. „Er (Josef) war für ihn (Jesus) wie ein Vater, der sein Kind an seine Wange hebt, sich ihm zuneigt und ihm zu essen gibt“ (vgl. Hos 11,3-4); oder „Jesus erlebte an Josef Gottes Barmherzigkeit: „Wie ein Vater sich seiner Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über alle, die ihn fürchten“ (Ps 103,13). Diese Durchsichtigkeit der menschlichen Erfahrung auf Gott hin hat in sich aber auch einen hohen Anspruch: „Unter allen Umständen müssen wir bei der Ausübung von Vaterschaft immer darauf achten, dass sie nie besitzergreifend ist, sondern zeichenhaft auf eine höhere Vaterschaft verweist“. So fasst Papst Franziskus dies gegen Ende seines Schreibens zusammen.

Eine so vielfältige Beschreibung von guter Väterlichkeit und ihren Bezug zur Gottesbotschaft Jesus, der uns helfen möchte, Gott „Abba“, guten Vater, zu nennen, habe ich schon länger nicht mehr gelesen. Wie kritisch oder ambivalent oder auch wie befreiend und sicher kann menschliche Väterlichkeit überhaupt sein? Auch in den Auseinandersetzungen um unseren Gründer geht der Kern der Kritik in diese Richtung. Mit neuem Interesse gehen wir allen Spuren und Zeugnissen nach und wollen das vollständige Bild unseres Vaters und Gründers noch besser kennen.

Der eigenen Erfahrung trauen und ins Gespräch kommen

Es ist gut, dass jetzt sehr bald von amtlicher Seite die historische Kommission durch die Diözese Trier eingesetzt wird und ihre Arbeit aufnehmen kann. Diese historische Klärung und Aufarbeitung wird angesichts der Materialfülle ihre Zeit brauchen. Jedes innere Bild, das wir heute von Pater Kentenich haben, ist ein Mosaik aus vielen Einzelaspekten und Erfahrungen. Wie bestimmend sind kritische und widersprüchliche Mosaiksteine für unser Verständnis von seinem Leben? Das aktuelle Suchen und das genauere Nachfragen sind ein großer Gewinn für uns alle. Je größer der geschichtliche Abstand zum Gründer unserer Bewegung wird, umso umfassender und differenzierter müssen die Berichte und Zeugnisse sein, um die ganze Person in den Blick zu bekommen. Und gleichzeitig geht es ja bei aller Sammlung von geschichtlichem Wissen und tradierten Erzählungen auch um die Frage der persönlichen Beziehung zu ihm: Was bedeutet Pater Kentenich für mich? Es geht um eine Intuition und Einschätzung. Was weckt Distanzierung und was begründet Vertrauen in seine Person und seine Inspirationen? Bewusster als bisher sind wir herausgefordert, die eigenen Reaktionen im Blick auf unseren Vater und Gründer wahr- und ernst zu nehmen.

Erfahrungen sind persönlich. Und doch klären sie sich durch Feedback und Reaktionen anderer. Daher brauchen wir ein offenes und lernbereites Gespräch zwischen allen Generationen und Gemeinschaften unserer Bewegung. Jeder kann dabei seine Fragen einbringen und auch seine Überzeugungen und die Perspektiven, die er sieht. Unterschiedliche Herangehensweisen werden aufeinandertreffen. Ich hoffe deshalb, dass wir viele solche Gesprächsräume finden und schaffen können. Ins Gespräch kommen und im Gespräch bleiben wird nicht immer leichtfallen. Ich glaube, es wird für die Zukunft Schönstatts ein entscheidender Lernschritt sein. Gerade Irritationen sind wichtig für eine neue Entscheidung und für eine größere Sicherheit.

Das Schreiben von Papst Franziskus ist ein wirklich guter Leitfaden, vor allem auch wegen der vielen biblischen Bezüge, die darin aufgezeigt werden. Die Orientierung am Bild des barmherzigen Vaters und des guten Hirten war auch das Bild, an dem unser Gründer immer selbst Maß nehmen wollte. Bei allen Erfahrungen mit den Grenzen und Schwächen von uns Menschen hat er nie die Achtung und die Zuversicht und die Ehrfurcht vor den Menschen verloren. Er war überzeugt, dass Gott uns zu einer echten tiefen Liebe berufen hat. Und er war überzeugt, dass uns Gott auch die Befähigung zu einer solchen Liebe gegeben hat. An Jesus lernen wir, dass der Weg jeder menschlichen Liebe auch vom Kreuz gezeichnet ist. Es gehört zur Mitte unseres christlichen Glaubens. Das Kreuz ist kein ärgerlicher Fehler im System. Es ist trotz aller Unbegreiflichkeit zur Quelle der Erlösung und zum Tor in die Vollendung geworden.

Ich wünsche Ihnen allen ein gesegnetes Jahr 2021

Ihr

P. Ludwig Güthlein
Schönstatt-Bewegung Deutschland


Top