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18. August 2020 | Worte des Bewegungsleiters | 

Ein Charisma neu entdecken, ist eine geistliche Herausforderung


Jahresmotiv 2020 der Schönstatt-Bewegung in Deutschland (Grafik: Maria Kiess / POS Brehm)

Jahresmotiv 2020 der Schönstatt-Bewegung in Deutschland (Grafik: Maria Kiess / POS Brehm)

Liebe Mitglieder und Freunde der Schönstatt–Bewegung,
liebe Leserinnen und Leser von www.schoenstatt.de,

die Sommer- und Ferienzeit ist ja normalerweise eine gemütliche Zeit. Zeitungen und Journalisten sprechen manchmal auch von der „Saure-Gurken-Zeit“. In diesem Jahr ist es aber anders als sonst. Das neue Coronavirus bestimmt unser Verhalten und hat uns zum Nachdenken gebracht. Man sagt heute, wenn man einmal ein neues Verhalten 30 Tage lang eingeübt hat, dann bleibt etwas von dieser eingeübten Veränderung auch weiterhin wirksam.

Ein Stoß, der uns auf eine neue Bahn bringt

Hinter dem Stoß, den Corona uns allen und vielen Bereichen versetzt hat, fangen wir an, neue Aspekte für den Neustart nach Corona zu sehen. Wir können nach Gewinnern und Verlierern der Krise fragen und doch merken, dass wir alle etwas verlieren, wenn uns darauf keine solidarische Antwort gelingt.

Gewohnte Sicherheiten fallen weg und wir entdecken, was auch in einer Krise trägt. Es sind die kleinen Netzwerke und nicht die globale Wirtschaft, die an Bedeutung gewinnen. „Mehr Land, weniger Stadt“, wurde diese Erkenntnis einmal in einem Kommentar zu Corona genannt. Wir freuen uns über die technischen Kommunikationsmöglichkeiten und gleichzeitig schätzen wir es mehr und bewusster, wenn persönliche Begegnungen wieder möglich werden. Von Angesicht zu Angesicht und ohne Maske: Wir spüren, wie wichtig solche Beziehungen und Gespräche sind. Ein neues Verhältnis zwischen Mensch und Natur kann entstehen. Wir merken, dass wir die Natur nicht beherrschen können. Wir müssen gesunde Lebensbedingungen vielmehr schützen. Im Blick auf die Umwelt ebenso wie im Blick auf Lebensrhythmus und Lebensstil. Jeder von uns kann diese Liste selber weiterdenken. Selbstverständlich wird nicht einfach alles anders sein als vor Corona. Aber Corona steckt als Erfahrung in uns, und in uns wird etwas anders sein.

Klima Maria (Text: Ludwig Güthlein)

Als kleine marianische Betrachtung habe ich in diesem Monat noch einmal die Situation des Pfingstsaals ausgewählt. Maria, die den Heiligen Geist als die große Veränderung ihres persönlichen Lebens erfahren hat, ist mittendrin in der jungen Gemeinde der Christen als die Geisterfahrung als ein gemeinsames Erlebnis geschieht. Als Überschrift steht über der Betrachtung „Gemeinsamkeit schaffen“. Ich denke, wir haben das Sprechen Gottes durch die Zeichen der Zeit erst dann wirklich herausgehört, wenn aus persönlichen Überlegungen auch ein Miteinander, ein Austausch und eine gemeinsame Ausrichtung hervorgehen.

Ein zweiter Stoß und Anstoß: Pater Kentenich neu entdecken

In den letzten Wochen sind ganz sicher viele von uns erschrocken über die verschiedenen Zeitungsmeldungen, die von Vorwürfen gegen Pater Kentenich sprechen und auf vatikanische Archivakten verweisen. Auf S. 9 ist ein Gespräch mit Pater Angel Strada abgedruckt, der über viele Jahre am Seligsprechungsprozess von Pater Kentenich gearbeitet hat. Er kann Klärungen geben und doch bleiben Fragen und Verunsicherung. Auch wenn wirklich schon viel überprüft und untersucht wurde, ist es gut, dass alle Anfragen erneut untersucht werden. Das wird seine Zeit brauchen.

Aber schon jetzt stellt uns diese Situation ganz persönlich vor die Frage, welche Bedeutung Pater Kentenich für mich hat und welche Meinung bisher in mir gewachsen ist. Wem kann ich glauben? Was sagt meine Erfahrung mit ihm, so wie ich ihn und seine Botschaft bisher kennengelernt habe?

Die Umstände vieler Ereignisse, die Sprache von Dokumenten, unterschiedliche Zeugnisse und Berichte: Vieles weist zurück ins letzte Jahrhundert. Für eine heutige Generation ist es eine wirkliche Herausforderung, Kentenich in die Bedingungen von damals einzuordnen und den Menschen Kentenich neu zu entdecken. Vielleicht sind die anstößigen aktuellen Fragen ein Anstoß, ganz bewusst mit den Fragen, die uns heute bewegen, ihn neu zu entdecken. Vielleicht ist die Zeit gekommen, dass manche geschichtlichen Schalen abfallen und wir die bleibenden Beiträge seiner Sendung erkennen. Eine alte Marienschwester in Chile sagte kürzlich bei einem Interview mit innerer Ruhe und Überzeugung: „Pater Kentenich ist nicht aus Glas. Er ist ein Fels. Man kann auf ihn schlagen. Er hält das aus.“

Ich würde diese Zuversicht für uns heute so formulieren: Nur das, was im Blick auf ihn und im Blick auf Schönstatt auch unseren heutigen Fragen standhält, wird für uns und für die Zukunft Relevanz behalten. Entdecken können wir das nur, wenn wir an unseren Fragen dranbleiben.

Gemeinsamkeit schaffen

Nur in vielen Gesprächen zwischen Generationen und zwischen Gemeinschaften unserer Schönstatt-Bewegung wird diese Spurensuche nach dem ganzen Kentenich fruchtbar. Es geht dabei auch um das Vertrauen zwischen uns. Jeder kann dazulernen und jeder kann etwas einbringen. Manche Vorwürfe gegen Pater Kentenich gehen ja in die Richtung, dass sich um ihn unselbständige und unfreie Menschen und Gemeinschaften entwickelt hätten. Diese Anfragen wird nicht er beantworten. Die Antwort auf diesen Vorwurf sind wir alle. Es kostet schon Mühe, sich eine eigene Überzeugung zu erarbeiten. Anstrengender wird es dann, wenn es darum geht, dafür auch einzutreten.

Ein Charisma neu entdecken, ist eine geistliche Herausforderung

Natürlich möchte man schnell Klarheit gewinnen, wenn es Anfragen und Kritik gibt. Und dafür müssen wir und auch Historiker tun, was man eben dafür tun kann. Wenn es jedoch bei Schönstatt um eine göttliche Initiative geht und um einen charismatischen Impuls, den Gott durch Pater Kentenich geben möchte, dann wird die Klarheit, die durch Studium gewonnen werden kann, nicht reichen. Es braucht ein geistliches Erkennen und ein geistliches Unterscheiden. Gerade durch menschliche Grenzen und durch Schwachheit hindurch zeigt sich in voller Weise das Wirken der göttlichen Gnade.

Im Jahr 1952, wo es ja um die Auseinandersetzungen ging, die jetzt besonders im Focus des Interesses stehen, schreibt Pater Kentenich in einem Brief: „Lassen Sie mich fragen: Weshalb lässt der liebe Gott sie [die Schönstatt-Bewegung] bald so bald so in den Schwebezustand stürzen, in den Zustand allseitiger Unsicherheit? Wenn Sie mich doch in diesem Punkte verständen! Ich frage nochmals: Weshalb Schwierigkeiten, weshalb Verfolgungen, weshalb Anfechtungen von Anfang an, weshalb neuerdings auch Prüfungen vonseiten der Kirche? Die Antwort gibt uns das Wesen unserer Familie. Sie lautet: Weil die Familie ein ausgesprochenes Vorsehungskind ist, kann sie nicht ohne große Schwierigkeiten existieren. Der Schwebezustand gehört einfach zu ihrer gottgewollten Seinsstruktur. Von dem Augenblick an ist etwas nicht in Ordnung, fehlt uns etwas Wesentliches, wo Kämpfe und Schwierigkeiten abflauen und aufhören. Unsere Sorge beginnt da, wo man uns kampflos umjubelt; nicht aber da, wo uns der Wind um die Ohren pfeift.“

Als Text klingt das ja ganz gut, aber wenn man dann mitten in solchen Auseinandersetzungen steht, dann ist es doch nicht so einfach. In dem Brief geht es jedoch weiter: „Ich frage nochmals: Weshalb diese ewige menschliche Unsicherheit und Ungeborgenheit? Die Familie soll sich ihres Ursprungs ewig bewusst bleiben und gleichsam gezwungen werden, ihre Hoffnung letztlich auf Gott, auf die Gottesmutter zu setzen. Das Wort: mater, pater habebit curam (Die Mutter, der Vater wird Sorge tragen) soll ihr unverlierbar eingeprägt werden.“

Ganz unterschiedliche Anstöße zur Erneuerung bewegen uns. Stöße und Anstöße können zu einem Impuls nach vorne werden. Für ein Segelschiff auf dem Meer ist die Windstille tödlicher als ein Sturm.

Mit herzlichem Gruß aus Schönstatt vom Heiligtum der Gottesmutter

Ihr

P. Ludwig Güthlein
Schönstatt-Bewegung Deutschland


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