Nachrichten

8. Juli 2020 | Kommentar der Woche | 

Michael Maas: Keine Angst vor der Wahrheit


Brücke (Foto: pixabay.com)

Kommentar der Woche: Keine Angst vor der Wahrheit

Dir. Michael Maas | Freiburg ZfB (Foto: basis-online.net)

Dir. Michael Maas | Freiburg ZfB (Foto: basis-online.net)

 

 

 

08.07.2020

Michael Maas

Keine Angst vor der Wahrheit

Denkmalstürzen ist zurzeit angesagt. Das kam mir als erstes in den Sinn, als ich die Überschrift las, dass dem Gründer der Schönstatt-Bewegung Pater Josef Kentenich Machtmissbrauch und sogar sexueller Missbrauch an (zumindest) einer Marienschwester angelastet wird.

Als zweites dachte ich an das Wort „Schlagzeile“. Denn ja, das war für mich ein Schlag, was da so schwarz auf weiß in meinem Laptop zu lesen war. Wir haben ja in der Kirche in den letzten Jahren gelernt, mit schlechten Nachrichten aller Art umzugehen; aber das fand ich dann doch heftig. Es stand so unhinterfragbar da. In den Archiven des Vatikans lägen die Unterlagen, aus denen das hervorgehe, so heißt es in dem Artikel der Tagespost. Daran gäbe es nichts zu deuteln. Jetzt käme eben alles ans Licht, nachdem der Vatikan das Archiv aus der Zeit von Papst Pius XII. geöffnet habe.

Würde für mich nun alles zusammenstürzen, was mein Leben bisher ausgemacht hat? Denn was und wer ich geworden bin, habe ich im Wesentlichen Schönstatt zu verdanken. Meine Charakterbildung als Jugendlicher habe ich dort erfahren. Meine Berufung zum Priester habe ich in Schönstatt gefunden. Mein Leben jetzt als Diözesanpriester könnte ich mir nicht vorstellen, ohne die Gemeinschaft der Mitbrüder in der Schönstattbewegung. Und es sähe auch anders aus ohne die vielen Gläubigen in den Gliederungen Schönstatts, die – von der SMJ (Schönstatt-Mannesjugend) über die Familien bis hin zur Gottesdienstgemeinschaft am Heiligtum in Merzhausen – auch durch ihr Gebet und ihren Glauben meinen Glauben mitprägen und weiterführen. Ist das nun alles in Frage gestellt?

Ich war dann dankbar für die ersten Stellungnahmen des Generalpräsidiums und anderer, die diese Schlagzeilen ein wenig einordneten. Die von „bekannten Vorwürfen“ sprachen, die mittlerweile geklärt und ausgeräumt seien. Doch halt! War das wirklich alles so bekannt? Hat man von „Missbrauch“ im Kontext von Pater Kentenich in Schönstatt tatsächlich schon vorher gehört? Nun, das Wort selbst mag nicht gefallen sein und es war ja in den 1950er Jahren auch noch nicht so geläufig. Aber dass die Beziehung der Marienschwestern zu dem Gründer ihrer Gemeinschaft u.a. ausschlaggebend für seine Verbannung in das Exil nach Milwaukee war und damit auch die „Pädagogik Schönstatts“: Das war und ist in der Tat bekannt. Nachzulesen etwa in der sehr bemerkenswerten Biographie von Sr. Dorothea M. Schlickmann „Josef Kentenich – ein Leben am Rande des Vulkans“. Dort ist von starken Spannungen in der Schwesterngemeinschaft und Schwierigkeiten mit der Generaloberin ebenso die Rede (S. 231; 257/258) wie davon, dass Pater Tromp, der Visitator Schönstatts, meinte, dass der Gründer Schönstatts wie ein Despot in der Gemeinschaft herrschen würde (S. 245).

Pater Tromps Aussagen sind wiederum nun die Quelle im Vatikan, auf die sich die Vorwürfe stützen. In der genannten Biographie wird allerdings auch deutlich, dass von Seiten Schönstatts und der Marienschwestern Pater Tromp selbst wie ein Despot wahrgenommen und dass Pater Kentenich von ihm zu all diesen Vorwürfen nicht selbst befragt wurde. In dem Buch von Sr. Dorothea M. Schlickmann ist von den expliziten Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs keine Rede. Das scheint mir nachvollziehbar, weil in der Begründung des Vatikans. Pater Kentenich in das Exil zu schicken, dies keine Rolle gespielt hat. Intern – so die jetzige Quelle – lag dieser Vorwurf allerdings vor. Damit es zu einer Rehabilitation Pater Kentenichs durch den Vatikan kommen konnte, musste dieser Vorwurf doch wohl ausgeräumt worden sein.

Während ich diese Gedanken zu Papier bringe, merke ich: Ich bin dabei, mich auf eine gefährliche Fährte zu begeben. In geradezu kriminalistischer Manier beginne ich, Hinweise zu sammeln, die gegen die publizierten Vorwürfe sprechen können. Das soll meine Grundhaltung bestärken, dass an den Anschuldigungen nichts dran ist, weil ich aus so vielen Impulsen von Pater Kentenich in meinem Leben profitiert habe. Andere, die mit einer anderen Vorerfahrung an die Aussagen heran gehen, suchen wiederum aus der gegenteiligen Perspektive, was sie bestärken könnte. Gemeinsam ist allen, dass wir nur einen Bruchteil der Aussagen kennen. Auch die Autorin bezieht sich ausschließlich auf die Dokumente, die zur Verurteilung P. Kentenichs geführt haben und nicht, was zu seiner Rehabilitation beigetragen hat. Wie so oft, wenn derartige Vorwürfe im Raum stehen, reichen die Reaktionen von Vorverurteilung bis zur Abwehrhaltung. Das reicht dann von: „Die Kirche: da hab‘ ich so etwas eh schon vermutet“ bis hin zu: „Das kann ich mir gar nicht vorstellen. So eine Persönlichkeit.“ Ich merke, dieses Spiel möchte ich nicht mitspielen.

Mir wird klar: Ich will etwas anderes tun. Etwas, von dem ich denke, dass es Pater Kentenich selbst getan hätte. Er antwortete einem Mithäftling im Konzentrationslager in Dachau auf dessen Frage: „Wie werden wir hier wohl wieder herauskommen?“ mit der Gegenfrage: „Darauf kommt es gar nicht an. Die entscheidende Frage lautet: Wozu sind wir hier?“ Das Entscheidende, worauf es jetzt ankommt, scheint mir deshalb die Frage: „Wozu ist das alles jetzt geschehen? Zu welcher Erkenntnis will uns Gott durch diese Ereignisse führen?“

Eine solche Frage braucht Zeit und muss im geistlichen Austausch erwogen werden. Und doch zeichnet sich für mich schon etwas ab. Das Entscheidende ist jetzt nämlich die Frage, wie man von Seiten Schönstatts mit diesen Vorwürfen umgeht. Ich finde, es steht uns in Schönstatt gut zu Gesicht, offen zu sein. Alle Vorgänge, die mit den Anschuldigungen an Pater Kentenich zu tun haben und alles, was zu seiner Rehabilitation geführt hat, sollte von außen durch Experten analysiert werden. Ohne Angst vor der Wahrheit. Mittlerweile nehme ich wahr, dass dazu in Schönstatt bereits konkrete Schritte gegangen werden. Bischof Ackermann von Trier hat dazu eine neue Historikerkommission eingesetzt. Von Vertretern der Schönstatt-Bewegung wird dieser Schritt ausdrücklich begrüßt, und sie erhoffen sich, dass auf diesem Weg bezüglich Person, Leben und Werk ihres Gründers so bald wie möglich weitere Transparenz und Klarheit geschaffen werden kann. Das scheint mir in der Tat in die richtige Richtung zu führen. Dafür bin ich sehr dankbar. Es stärkt mein Vertrauen in das Handeln der Verantwortlichen und damit auch in die Aussagen des Generalpräsidiums.

Direktor Michael Maas
Leiter des Zentrums für Berufungspastoral, Freiburg

Quelle: www.basis-online.net
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung


Top