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7. Juli 2020 | Causa Kentenich | 

Interview mit Pater Eduardo Aguirre, dem Postulator der Causa Kentenich


Pater Eduardo Aguirre, Postulator im Seligsprechungsprozess von Pater Josef Kentenich (Foto: privat)

Pater Eduardo Aguirre, Postulator im Seligsprechungsprozess von Pater Josef Kentenich (Foto: privat)

Hbre. Für Pater Josef Kentenich läuft ein Seligsprechungsprozess. Jetzt wird von einer in Rom wirkenden Historikerin behauptet, dass neue Dokumente aus den Vatikanischen Archiven, die erst seit kurzem zugänglich sind, ein anderes Licht auf den Schönstatt-Gründer werfen und ihn mit Machtmissbrauch und sexuellem Missbrauch in einem Fall in Verbindung bringen. Pater Eduardo Aguirre ist seit Februar 2017 als Postulator zuständig für das Kanonisierungsverfahren des Schönstatt-Gründers. Derzeit wegen der Corona-Pandemie in Costa Rica festsitzend, gibt er im Interview seine Gedanken zu den aktuellen Vorgängen wieder.

Pater Aguirre, die aktuellen Anschuldigungen gegen den Schönstatt-Gründer beziehen sich auf Vorgänge aus den 40er und 50er Jahren. Wie kam es damals zu diesen Vorwürfen? Und von wem und wem gegenüber wurden die Anschuldigungen denn konkret gemacht?

Pater Kentenich selbst hatte die Diözese Trier gebeten, eine Studie über Schönstatt anzufertigen: über die Spiritualität, die Pädagogik und die Struktur, damit der Beitrag, den Schönstatt der Kirche anbieten wollte, bekannt und vielleicht geschätzt würde. Anstelle einer Studie führte der Bischof von Trier durch seinen Weihbischof, Monsignore Bernhard Stein, eine kanonische Visitation (eine formelle kirchliche Untersuchung) durch.

Die Anschuldigungen, die die Forscherin als bisher unbekannt deklariert, wurden dem Visitator im Februar 1949 während dieser Visitation von einigen Marienschwestern vorgebracht, die sich bei ihm über Amtsmissbrauch und Gewissensmanipulation durch Pater Kentenich beschwerten.

Später hatten diese Anschuldigungen einen wichtigen Einfluss auf eine nachfolgende Apostolische Visitation, die vom Heiligen Offizium durchgeführt wurde. In Folge dieser zweiten Visitation bestimmte das Heilige Offizium als administrative Maßnahme das Exil Pater Kentenichs in Milwaukee, USA. Dieses dauerte 14 Jahre, bis er 1965 von Papst Paul VI. rehabilitiert wurde und nach Schönstatt zurückkehren konnte. In diesem Zusammenhang muss gesagt werden, dass die genannten Anschuldigungen nicht die einzige Ursache für das Exil Pater Kentenichs waren. Es ging auch um den pädagogischen Beitrag und die pädagogische Praxis Schönstatts und um wichtige Elemente seiner Spiritualität, die zu dieser Zeit von der Kirche noch nicht gut verstanden wurden.

Die Vorwürfe, um die es aktuell geht, sind vor einigen Jahren im Rahmen des Diözesanprozesses zur Seligsprechung Pater Kentenichs untersucht und während dieses Prozesses geklärt worden. Daher sind die Behauptungen und Anschuldigungen, die jetzt als neu bezeichnet werden, tatsächlich nicht neu.

Wie ist Pater Kentenich selbst mit den Anschuldigungen umgegangen?

Pater Kentenich war sich dieser Vorwürfe bewusst und reagierte darauf zunächst mit einer Schrift auf den Bericht des Visitators im Mai 1949, in der er seine pädagogischen Grundsätze und Praktiken, die er bei seiner Gründung anwandte, erläuterte. Als Voraussetzung für ein echtes Band der Liebe zu Gott betont er die Wichtigkeit der Pflege natürlicher Bindungen auf menschlicher Ebene. Aus diesem Grund verleiht er der natürlichen Familie, d.h. der Erfahrung gesunder und starker familiärer Bindungen, die für die Entwicklung der Persönlichkeit und ihrer sozialen Beziehungen entscheidend sind, eine entscheidende Bedeutung. In besonderer Weise betont er die Bedeutung der Vaterfigur sowie der kindlichen Bindung zu einem Vater auf der natürlichen Ebene als psychologische Grundlage für eine echte, affektive, vertrauensvolle und kindliche Beziehung zum Vater-Gott. Später greift Pater Kentenich diese Themen immer wieder neu auf, um den pädagogischen Beitrag zu bekräftigen, den Schönstatt für die Kirche unserer Zeit leisten will.

Gegen die Demütigungen und Verleumdungen seiner Person unternahm Pater Kentenich erst etwas, als er den Eindruck gewann, dass diese - vor allem im Bereich des sexuellen Missbrauchs - auch seiner Gründung schadeten. 1960 schrieb er ein Verteidigungsdokument, in dem er jeden derartigen Vorwurf zurückwies.

Die jetzt neu zugänglichen Dokumente aus den Archiven sollen belegen, dass Pater Kentenich, der sich ja nie in einem Verfahren selbst verteidigen konnte, eigentlich aus diesen Missbrauchsgründen von Schönstatt entfernt und ins Exil in den USA verwiesen worden sei. Wie sehen Sie den Grund für diese drakonische kirchliche Anordnung des damaligen Visitators Sebastian Tromp SJ?

Wie gesagt, diese Vorwürfe waren nicht der einzige Grund für das Exil von Pater Kentenich. Es gab auch Bedenken im Zusammenhang mit der Anwendung der Schönstattpädagogik. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang, dass der Visitator, Pater Tromp, keinen Dialog mit Pater Kentenich führte. Er hat ihn nicht um eine Erklärung seiner Handlungsweise gebeten. Er kam als Visitator, um Ordnung zu schaffen und Disziplinarmaßnahmen zu ergreifen. Er wollte Pater Kentenich sozusagen „auf Linie“ bringen. Es ist ja bekannt, dass Pater Tromp keine Person von „sanftem und dialogischem“ Charakter war. Er kam, um die Autorität der Kirche durchzusetzen. Mit verschiedenen Dekreten und Mitteilungen an die Marienschwestern untermauerte er seine Autorität. In der Absicht, sie von P. Kentenich zu „befreien“ forderte er von den Schwestern Gehorsam gegenüber seinen Anordnungen. Mir scheint, dass Pater Tromp, als er seine Aufgabe als Visitator übernahm, bereits mit der vorgefassten Meinung kam, dass Pater Kentenich rebellisch, stur und ein Diktator sei, der sich den Orientierungen des Bischofs von Trier nicht unterwerfen wolle.

Wie erklären Sie sich, dass gerade jetzt diese Vorgänge wieder aufgegriffen werden?

Wenn ich es richtig sehe, hat sich die Forscherin auf die Person von Pater Sebastian Tromp SJ spezialisiert und ist in diesem Zusammenhang in den Archiven des Heiligen Offiziums, die noch bis vor etwa 3 Monaten für die Öffentlichkeit nicht zugänglich waren, auf die Dokumentation gestoßen, in der die Anschuldigungen dieser Schwestern gegen Pater Kentenich festgehalten sind. Ohne die von ihr gefundenen Dokumente mit dem aktuellen Stand im Seligsprechungsprozess, der im Bistum Trier abläuft, abzugleichen, verkündet sie diese als Neuheiten, und präsentiert sie der Öffentlichkeit, als ob diese Vorwürfe bisher nicht bekannt und nicht schon ausgeräumt gewesen wären. Es ist mir unbegreiflich, warum sie als Historikerin so vorgeht, die Dinge so formuliert und die Realität des Seligsprechungsprozesses nicht miteinbezieht.

Der schmerzhafte Vorgang der Anschuldigungen an Pater Kentenich ist die eine Seite. Müsste die Schönstatt-Bewegung aber nicht ein Interesse haben, alle Vorgänge die zum Exil des Gründers geführt haben möglichst transparent und unabhängig aufzuarbeiten bzw. aufarbeiten zu lassen?

Ja, ich stimme zu, dass die Veröffentlichung dieser Anschuldigungen eine größere Transparenz bei der Klärung der historischen Fakten erfordert mit aller Wahrhaftigkeit, Objektivität und ohne den Versuch, etwas zu verbergen. Die Anschuldigungen, von denen die Forscherin spricht, haben damals den Verlauf der Visitationen und das Urteil der Visitatoren entscheidend beeinflusst. Aber wie schon gesagt, waren dies nicht die einzigen Gründe, die die Konfrontation Pater Kentenichs mit dem Heiligen Offizium ausgelöst haben.

Vielen Dank, Herr Pater Aguirre für das Gespräch.

Interview: Heinrich Brehm, PressOffice Schönstatt

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