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18. Februar 2020 | Worte des Bewegungsleiters | 

Klima Maria - Widerspruch und Solidarität


Jahresmotiv 2020 der Schönstatt-Bewegung in Deutschland (Grafik: Maria Kiess / POS Brehm)

Jahresmotiv 2020 der Schönstatt-Bewegung in Deutschland (Grafik: Maria Kiess / POS Brehm)

Liebe Mitglieder und Freunde unserer Schönstatt–Bewegung,
liebe Leserinnen und Leser von www.schoenstatt.de,

Protestklima

Bei dieser Überschrift „Protestklima“ fühle ich mich hin- und hergerissen. Aus unterschiedlichsten Ländern und Zusammenhängen kennen wir die Bilder von friedlichen Protesten und auch von gewalttätigen Ausschreitungen.


Die Wende in unserem Land, wie wir sie vor 30 Jahren erlebt haben, hätte ohne die unübersehbaren Bürgerproteste einfach nicht stattgefunden.

Den Unmut und die Wut der Gelbwestenproteste in unserem Nachbarland Frankreich erschrecken mich und ich weiß, dass ich nicht genug Wissen über die Hintergründe habe, die sie auslösen.

Mit den Protesten in Chile, die mit mehreren gleichzeitigen Bränden in U-Bahnhöfen begonnen haben, geht es mir genauso. Es fällt mir schwer, solche Gewalt mit berechtigten Anliegen in Verbindung zu bringen. Aber auch da fehlt mir wirkliches Wissen um die Zusammenhänge. Und ich hoffe, dass Freunde und Bekannte dabei nicht zu Schaden kommen.

Die Proteste in Hong Kong und auch die Wahlen in Taiwan lassen mich spontan anders reagieren. Ich staune über den Mut der Studenten, die mit viel Zivilcourage gegenüber einer übermächtigen Staatsmacht Demokratie und Freiheitsrechte verteidigen.

Klima Maria (Text: Ludwig Güthlein)

Klima Maria (Text: Ludwig Güthlein)

Auch in unserem Land fällt eine Beurteilung nicht leicht. Arbeitskampf zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgebervertretern wirken wie gut bekannte Rituale um Kommastellen, die eben zum System gehören.

Proteste für den Schutz von Umwelt und Ressourcen werden mit Wertschätzung und Achtung kommentiert. Proteste für mehr rechtlichen Schutz des menschlichen Lebens in seinen Anfängen sind ein Ärgernis und werden als etwas Unangemessenes verurteilt.

Wie ist das mit dem Kampf für Anliegen und Werte in einer pluralistischen Gesellschaft? Wann sind Proteste notwendig und sogar eine ethische Pflicht? Widerspruch und Widerstand haben immer zwei Seiten. Unsere spontanen Reaktionen und Beurteilungen zeigen immer etwas von unserer eigenen inneren Wertskala.

Wenn diese Wertskala nicht nur vom Mitschwimmen mit Mehrheitsmeinungen bestimmt ist, dann braucht es echte eigene Überzeugungen. Und das Eintreten dafür braucht Mut und Solidarität mit denen, die sich dem Risiko von Repressalien aussetzen.

Eine eigene Meinung will gelernt sein

Vielleicht kennen Sie aus eigenem Erleben oder vom Zuschauen, wie ein Kind mit wütendem rotem Gesicht vor seinen Eltern steht. Mit aller Kraft macht es seinen Widerstand deutlich und wird sich nicht bewegen lassen zu tun, was andere gerade von ihm möchten.

Je nach Alter tröstet man sich damit, dass Trotzphasen zur normalen kindlichen Entwicklung gehören. Man spricht auch von Autonomiephase und Autonomiebestreben. Es ist ein Lernvorgang, seinen eigenen Willen wahrzunehmen, deutlich zu machen und durchzusetzen. Und umgekehrt gehört es zum Lern- und Reifungsweg eines Menschen, die Bedürfnisse anderer wahrzunehmen und zu respektieren: Zur Autonomie müssen auch Einfühlungsvermögen und Empathie hinzukommen.

Bei Gelegenheit spricht Pater Kentenich von der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Er formuliert dazu. „Als natürliches Ebenbild Gottes ist der Mensch das Wesen, das kraft innerer Anlage ich und du sagen kann und will und muss.“ Selbstbehauptung und Hingabe sind Fähigkeiten, die gelernt werden müssen. Und sie brauchen den gegenseitigen Ausgleich und die Orientierung an moralischen Werten.

In einem Klima von Polarisierung und Protest fehlt es schnell an beiden Seiten: Eine eigene Überzeugung zu haben ist schon anstrengend. Wer sie auch noch gegenüber einer anders ausgerichteten Umgebung vertritt, wird den Gegenwind zu spüren bekommen. Darum ist es von der anderen Seite her immer leichter, mit der Masse mitzuschwimmen und nicht aufzufallen. Schon in den Gründungsjahren Schönstatts im Studienheim war es daher eine wichtige Motivation Pater Kentenichs, geradezu zu trainieren, kein „Massenmensch“ zu sein, der „das tut, was die andern tun, nur weil es eben die andern tun“.

Widerspruch aus Solidarität und Mitverantwortung

Während meines Studiums habe ich in Gesprächen mit Pater Humberto Anwandter, einem chilenischen Schönstatt-Pater aus den Gründungsjahren unserer Gemeinschaft, einen Vorgang erzählt bekommen, der zeigt, wie wichtig für Pater Kentenich die eigenständige Meinung seiner Mitarbeiter war. Pater Humberto war ein Mann, der mit einem unglaublichen Detailwissen und einer besonderen Genauigkeit mit den Aussagen, Texten und Vorstellungen des Gründers vertraut war. Pater Kentenich bat ihn, ihm zu versprechen, ihm zu sagen, wenn er mit etwas nicht einverstanden sei. Er dürfe seinen Widerspruch nicht zurückhalten. Das sollte er ihm also ausdrücklich versprechen. „Und dann musste ich es später auch gelegentlich tun, was mir gar nicht leichtfiel.“

Sicher kennen wir diese Themen von beiden Seiten. Wir wissen, was es heißt, Stein des Anstoßes zu sein und Widerspruch zu erfahren. Und wenn es da um wichtige Überzeugungen geht, ist dies gar nicht leicht. Ganz ohne Verbündete und Gleichgesinnte hält man das auf die Dauer kaum aus. Und wir kennen die andere Seite, wo wir wissen, dass wir nicht einfach zuschauen dürfen, sondern Widerspruch und Protest ausdrücken müssen.

Entscheidend ist auf die Dauer die Echtheit der ganzen Person. Im Lukas-Evangelium, wo es darum geht, dass Jesus ein Zeichen des Widerspruchs sein wird, endet dieser Text auch mit dieser Perspektive: „So sollen die Gedanken vieler Herzen offenbar werden.“ (Lk 2,35)

Über Worte und Einzelaktionen hinaus soll unser Leben als Ganzes ein prophetisches Zeichen sein. Wer Klima wandeln will, kommt nicht darum herum, den Innenraum seiner Überzeugungen immer wieder zu reinigen und die eigene Echtheit im Reden und Handeln zu suchen. „Klima Maria“ als Atmosphäre, die wir in Schönstatt ausprägen wollen, hat besonders diese Entfaltung von Menschen und Gemeinschaften als Ziel.

Vom Urheiligtum in Schönstatt wünsche ich Ihnen einen gesegneten Weg durch die österliche Vorbereitungszeit

Ihr

P. Ludwig Güthlein
Schönstatt-Bewegung Deutschland


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