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5. April 2010 | Leben pur | 

Wenn die Erde bebt: Ein persönlichen Zeugnis


P. Raúl EspinaP. Raúl Espina. Der 26. Februar war für mich ein sehr normaler Tag. Am Abend habe ich mit einigen angehenden Priesteramtskandidaten unserer Gemeinschaft in Santiago gesprochen. Wir unterhielten uns über verschiedene Themen. Dann bin ich ins Bett gegangen, nicht ohne vorher die wunderbare Nacht und den Vollmond zu betrachten und zu bewundern. Dann wachte ich plötzlich auf. Es bebt, sagte ich mir.

 

Innerlich sagte ich mir, ich soll die Ruhe bewahren. Es wird schon vergehen, es ist wieder ein Beben, wie du es schon unzählige Male erlebt hast. Diesmal täuschte ich mich. Ich bin aufgestanden, habe mich an alle Empfehlungen bezüglich eines Erdbebens erinnert: etwas Warmes und Schuhe anziehen. Dann, wenn möglich und wenn es sicherer ist als im Haus, schnell rausgehen und warten...

Chile después del terremotoIch war im zweiten Stock und alles bewegte sich, wie ich es noch nie erlebt hatte. Der Strom ging plötzlich weg und in der Dunkelheit habe ich den ersten Stock erreicht. Inzwischen staunte ich, wie ich schwankte von links nach rechts, als ich die Treppe hinunterlief. Gleichzeitig konnte ich Stimmen aufnehmen, das Zerbrechen von Glasscheiben und den unglaublichen und unverwechselbaren Lärm, der aus dem Inneren der Erde hervorkommt. Da habe ich Angst bekommen. Zwei Minuten fünfundvierzig Sekunden hat es gedauert.

Wie zerbrechlich das Leben ist

Wenn es so die Erde bebt, wie wir Chilenen am 27. Februar erlebt haben, stellt man fest. wie zerbrechlich unser Leben ist und wie wir der Natur ausgesetzt sind. Man denkt an alle Menschen, die man liebt, man denkt an alle Leute, die vielleicht in diesem Moment gerade ums Leben kommen, man denkt an Gott, der so eine Katastrophe zulässt... Ich dachte sofort an meine Eltern, die schon alt sind und allein wohnen, an meine Schwester und ihre Kinder, an meinen Bruder, der im siebten Stock eines Gebäudes wohnt, an meine neunzigjährige Oma, die oben in den Anden lebt... Es gab keine Möglichkeit zu telefonieren, das Telefonnetz war mehrere Stunden lang überlastet. Erst um sechs Uhr morgens konnte ich erfahren, dass es ihnen allen gut ging. Aber zu diesem Zeitpunkt wusste ich, wie schrecklich das Erdbeben in anderen Städten war. Dass sogar ein Tsunami die chilenische Küste erreicht hatte...

Iglesia en Chile después del terremotoHier ein kleines Zeugnis einer jungen deutschen Frau , die in dieser Nacht irgendwo in Santiago war. Sie erzählt, was sie nach dem Erdbeben erlebt hat: "Strom ist wieder da. Wasser auch - aber das sieht nicht so aus, als könnte man es trinken. Telefon, Fernsehen und Internet funktionieren in den Wohnungen nicht. Also gibt es keinen Kontakt. Es ist schwer herauszufinden, wie es anderen geht und zu Hause Bescheid zu geben, dass es mir gut geht".

Als ich erst am späten Abend vom Samstag, dem 27. Februar, die ersten Bilder sah, die durch das Fernsehen übertragen wurden, war mir bewusst, welche Schäden angerichtet waren, welches Leid die Leute getroffen hatte und wie praktisch 80% der Bevölkerung Chiles vom Erdbeben betroffen war. Sicherlich blieben mehreren von uns die Tränen zu dieser Stunde nicht erspart.

Die Kinder, die er nicht retten konnte

Neben den schrecklichen Erzählungen von den Überlebenden erfuhren wir auch, welche heroische Taten manche Menschen zustande gebracht haben. Im Gebiet des Tsunamis holte ein Landmann sein Pferd und machte sich auf dem Weg, Leute mit seinem Lasse aus dem Wasser herauszufischen. Er soll mehrere gerettet haben. Man fragte ihn, ob er deswegen glücklich sei. Er antwortete: er freut sich über die Überlebenden, aber wird nicht vergessen können das Schreien drei kleiner Kinder, die mitten im Wasser in einem Auto saßen, an das er nicht drankommen konnte...

Ich konnte auch miterleben, wie sich die Jugendlichen sofort am 27. Februar bei allen möglichen Hilfsorganisationen gemeldet haben. Als ob es das Selbstverständlichste sei, waren sie auf der Straße, um Hilfe anzubieten: Lebensmittel, Wasser, Kleidung haben sie gesammelt. Andere haben sich sofort auf dem Weg zu den verwüsteten Städten gemacht. Leider kam wenig von dieser unglaublichen Hochherzigkeit so vieler junger Menschen in den Medien.

Heute begleiten wir den Herrn auf seinem Kreuzweg, unserem Kreuzweg. Simon von Cyrene macht uns aufmerksam, dass wir unser Kreuz tragen, aber dabei auch anderen Menschen helfen sollen. Sehr oft wird unser Leben durch innere und äußere Beben erschüttert. Es scheint , als ob alles umfällt und zerstört wird. Vielleicht ist es gut so, damit wir spüren, dass unser Leben eigentlich Gott gehört. Er ist unser Fels und unsere Rettung. Auf ihn vertrauen wir, auch wenn der Weg durch das Kreuz gehen muss.

Ein Zeichen der Auferstehung

In Chile beginnt der Neuaufbau. Die Chilenen schauen auf die Zukunft hin. Eine bessere Zukunft. Könnten wir das nicht als ein Zeichen der Auferstehung deuten und so auch unser Leben unter diesem Zeichen stellen?

Der Vorsitzende der chilenischen Bischofskonferenz zog folgendes Fazit aus dem Erlebten: "Angesichts einer solchen Übermacht der Natur haben wir etwas zurückgewonnen, was im Herzen allen Menschen lebt: sich den anderen zur Verfügung zu stellen. Dies führt uns zum Wesentlichen, das nicht darin besteht, Güter im Übermaß zu sammeln, sondern in der Liebe, in der Hingabe und im hochherzigen Dienen an den Schwächsten."

Pater Raúl Espina aus der Generalleitung der Schönstatt-Patres gab dieses Zeugnis beim Kreuzweg am Karfreitag 2010.


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