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16. November 2018 | Miteinander für Europa | 

Zwischen Tradition und Aufbruch – Miteinander für Europa beschäftigt sich mit der Situation der Kirchen in Tschechien


Schwester M. Lioba Ruprecht, Schönstätter Marienschwestern, moderierte einen Teil des Vormittages (Foto: Brehm)

Schwester M. Lioba Ruprecht, Schönstätter Marienschwestern, moderierte einen Teil des Vormittages (Foto: Brehm)

Hbre. Am 15. November 2018 hat im Mariapoli-Zentrum der Fokolar-Bewegung in Prag, Tschechien das 19. Treffen des internationalen Trägerkreises von Miteinander für Europa in froher Atmosphäre begonnen. 170 Vertreterinnen und Vertreter aus 22 Nationen und 53 Gemeinschaften und Bewegungen aus verschiedenen Kirchen haben sich zu der dreitägigen Veranstaltung in der tschechischen Hauptstadt zusammengefunden um gemeinsam den weiteren Weg des Netzwerkes zu beraten.

Thematische Impulse

Der zweite Tag der Begegnung von Miteinander für Europa in Prag sollte den Teilnehmenden einen genaueren Blick auf die Situation des Glaubens und der christlichen Kirchen in Tschechien ermöglichen. Daher gab es neben vielen Möglichkeiten zum persönlichen Austausch und zum Gespräch in kleineren und größeren Gruppen drei größere thematische Impulse.

Jaroslav Sebek, Historiker und Mitglied des Instituts für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik (Foto: Brehm)

Jaroslav Sebek, Historiker und Mitglied des Instituts für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik (Foto: Brehm)

Aus der Informationswüste in den Informationsdschungel

Jaroslav Sebek, Historiker und Mitglied des Instituts für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, sprach zunächst zum Thema „Die katholische Kirche in der Tschechischen Republik und die Herausforderungen der heutigen turbulenten Zeit“. Die Flüchtlingskrise sei für die Zukunft der europäischen Integration ein grundsätzlicher Prüfstein geworden, an dem unterschiedliche Konzepte aufeinanderprallen „und wieder steht hier symbolisch Ost gegen West“, so Sebek. Ein Problem der heutigen Zeit sei die von den sozialem Medien mitbewirkte „Kommunikationsverkapselung“. „Während in der Zeit des Kommunismus bei uns eine Informationswüste herrschte, bewegen wir uns heute in einem Informationsdschungel.“ Das Ergebnis sei das selbe, Orientierungsverlust und eine größere Anfälligkeit für Manipulation sowie Misstrauen gegenüber allem und jedem. Besonders schwierig sei, dass in einer solchen Situation auch die Repräsentanten der Kirche nach Orientierung suchten und keine klaren Worte zur Mitgliedschaft Tschechiens in der Europäischen Union zu sagen hätten.

Pavel Fischer, Senator im Tschechischen Parlament (Foto: Brehm)

Pavel Fischer, Senator im Tschechischen Parlament (Foto: Brehm)

Die Vielfalt der europäischen Völker, Sprachen und Kulturen respektieren und fördern

Pavel Fischer, Senator im Tschechischen Parlament, beschrieb ebenfalls die aktuelle Situation Tschechiens und stellte aus Gesellschaftspolitischer Sicht die Herausforderungen dar. Er betonte die Wichtigkeit der emotionalen Identifikation mit einer persönlichen gesellschaftlichen Erfahrung. Sie entstehe in einem konkreten Sprach- und Erfahrungsraum. Die Einheit Europas gehe nur über das Ernstnehmen aller lokalen Identifikationsvorgänge und der einzelnen Menschen, mit denen man gemeinsam unterwegs sei. Die Vision eines geeinten Europas könne nur entstehen, wenn die Politik Subsidiarität beachte und die Vielfalt der europäischen Völker, Sprachen und Kulturen respektiere und fördere.

Tomas Halik, tschechischer Soziologe, Religionsphilosoph und römisch-katholischer Priester (r) im Gespräch mit Pater Heinrich Walter, Schönstatt-Bewegung, der einen Teil des Nachmittages moderierte (Foto: Brehm)

Tomas Halik, tschechischer Soziologe, Religionsphilosoph und römisch-katholischer Priester (rechts) im Gespräch mit Pater Heinrich Walter, Schönstatt-Bewegung, der einen Teil des Nachmittages moderierte (Foto: Brehm)

Die Kirche muss sich auf einen Weg mit den Suchenden einlassen

Tomas Halik, tschechischer Soziologe, Religionsphilosoph und römisch-katholischer Priester, stellte im Rahmen seines Beitrages zur religiösen Situation in seinem Heimatland in einem großen Bogen die geschichtliche Entwicklungen der Tschechischen Kirche bis in die heutigen Tage dar. Dabei wurde deutlich, dass der Versuch der Kirche, den gestern gelebten Glauben für das heute und die Zukunft anzubieten, gescheitert ist. Die traditionelle Volkskirche habe heute keine Kraft mehr, weil ihre Biosphäre immer mehr verschwinde. Die Religion habe heute weitgehend keinen Einfluss mehr auf den Stil des Denkens der heutigen Generation. Diese lebe im neuen Kosmos des Internets. „Die neue Generation ist nicht bereit, die Religion ohne Argumente zu ‚empfangen‘ nach dem Stil: ‚Friss Vogel oder stirb!‘“. Heute sei die Kirche herausgefordert sich vor allem auf die Suchenden einzustellen. Diese seien sozusagen die größte Diözese. Nachdrücklich betonte Halik: „Die Zukunft der Kirche hängt an ihrer Bereitschaft, mit den Suchenden zu kommunizieren, die Suchenden zu begleiten.“ Es brauche eine Kirche, die die Fragen der Suchenden höre und annehme und auch nicht mit einfachen Antworten abzuspeißen versuche. Der Glaube dürfe keine Ideologie der präzisen Antworten sein, sondern es gehe darum, die Menschen zu begleiten und mit den Suchenden einen Weg zu gehen. Weil jeder die Frage nach dem Sinn habe, müsse die Kirche auch für alle da sein, nicht nur für die Frommen. Halik lud die Zuhörer ein, mutig zu sein und die anderen, die auf anderen Wegen die Wahrheit suchen, ernst zu nehmen und mit ihnen einen Dialog zu führen.

Gebetszeit (Foto: Brehm)

Gebetszeit (Foto: Brehm)

Kulturelles Abendprogramm mit Weinprobe aus Mähren (Foto: Brehm)

Kulturelles Abendprogramm mit Weinprobe aus Mähren (Foto: Brehm)

Gebet und Weinprobe

Der reich gefüllte Tag endete mit einer Gebetszeit, in der alle Überlegungen und Themen des Tages und die Zukunft Europas vor Gott gebracht wurden. Daran schloss sich ein festliches Abendessen mit kulturellem Programm in Form einer Weinprobe an, die Mitglieder der Schönstatt-Bewegung Tschechiens vorbereitet hatten.

Der dritte Tag des Treffens ist mehr strategischen und praktischen Fragen gewidmet und wird sich u.a. mit der Frage beschäftigen, wie der 9. Mai zu einer öffentlichen "Gebets-Bewegung" des Miteinander-Netzwerkes werden kann, welche konkreten Schritte dazu unternommen werden können und wie auch die Europa-Wahl einbezogen werden kann. Außerdem stellen sich die Teilnehmenden der Frage, wie der Ur-Impuls des Verstehens und der Versöhnung in die nationale und konfessionelle Zerissenheit eingebracht werden könnte.


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