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18. Juni 2018 | Worte des Bewegungsleiters | 

Ein Liebesbündnis, das weiterwächst


Jahresmotiv 2018 der Schönstatt-Bewegung in Deutschland (Grafik: POS Brehm)

Jahresmotiv 2018 der Schönstatt-Bewegung in Deutschland (Grafik: POS Brehm)

Liebe Mitglieder und Freunde unserer Schönstatt–Bewegung,

In „Entwicklung“ denken

Beim Aufräumen habe ich eine alte Polaroid-Kamera wiederentdeckt. Ein Umzugskarton voller Dinge, die ich nie vermisst habe und also wohl auch nicht brauche, hat sie zutage gefördert. Aus Neugier habe ich gesucht, ob es für diese Kamera noch Filme gibt, und war erstaunt, dass Polaroid-Fotos für manche Leute ein Hobby oder sogar Kult sind.

Es ist spannend, wie sich nach dem Fotografieren langsam das Bild entwickelt. Man kann zuschauen, wie die Konturen schärfer werden und die Farben sich ausprägen.

Entwicklungen im menschlichen Leben oder in der Gesellschaft sind langsamer. Meistens nimmt man das Entstehen eines neuen Gesamtbildes erst wahr, wenn man einen gewissen oft längeren Zeitraum überblicken kann.

Pater Kentenich schreibt (Foto: Archiv) Pater Kentenich schreibt (Foto: Archiv)

Pater Kentenich schreibt (Foto: Archiv)

Einzelveränderungen sind oft mit viel Diskussion, mit Aufregung und heftigem Streit verbunden. Das gesamte Bild zu erkennen und sogar daran mitzugestalten, erfordert eine eigene Intuition. Wenn es um Entwicklungen im Raum der Kirche, im Raum der Glaubensüberzeugungen oder der kulturellen Selbstverständlichkeiten geht, braucht es Menschen, die dafür eine besondere Begabung und sogar eine besondere Geistesgabe haben.

Pater Kentenich, den Gründer der Schönstatt-Bewegung, entdecken wir immer mehr als einen Deuter und Gestalter der Zeitentwicklung. Wenn wir heute, 50 Jahre nach seinem Tod, seine Weichenstellungen auf uns wirken lassen, staunen wir über seine prophetische Intuition.

Weiterwachsen unterstützen

Die reichen Zusammenhänge, die Schönstatt mit dem Liebesbündnis geschenkt wurden, konnten wir in „langsamer organischer Entwicklung nur jeweils stückhaft sehen und erobern“, sagt Kentenich (s. oben im Text aus dem Brief an Alex Menningen).

Im Liebesbündnis mit Maria wächst und soll wachsen eine religiöse Beziehungsfähigkeit, die ausreift zu einer gläubigen Ergriffenheit im Blick auf den dreifaltigen Gott. Das kleine Marienkapellchen im Tal Schönstatts hat gewissermaßen seine Vollendung gefunden im Bau der Dreifaltigkeitskirche auf Berg Schönstatt.

Kentenich war sich sehr bewusst, dass der marianische Ansatzpunkt der Spiritualität Schönstatts eine Einseitigkeit mit sich bringt. Er hatte sehr deutlich im Blick, dass eine organisch einseitige Betonung Lebenskraft weckt, dass aber andererseits die Weiterentwicklung entscheidend ist.

Das Weiterwachsen in der Spiritualität war ihm ein großes Anliegen. Weiterwachsen hat für ihn einen besonderen Akzent: Weiterwachsen hieß für ihn nicht, von einer Erfahrung und Betonung zur nächsten weitergehen. Weiterwachsen hieß für ihn vor allem „immer weiter werden“ im Sinne von Weitung. Immer mehr in die Zusammenhänge des Liebesbündnisses hineinwachsen. Heute sprechen wir vom Liebesbündnis mit Maria, mit Christus, mit Gott, miteinander, für und mit den Menschen unseres Landes. Auch wenn die Wurzel lebendig wirksam bleibt, weitet sich die Gesamtgestalt.

Kernbotschaft bezeugen und Kernerfahrung ermöglichen

Der Katholikentag 2018 in Münster war eine sonnige (!) Großbegegnung einer kaum zu überschauenden Fülle von thematischen Impulsen, gottesdienstlichen Gebeten und Begegnungs- und Kennenlern-Erfahrungen.

An den Stand der Schönstatt-Bewegung auf dem Schlossplatz in Münster kamen viele Menschen, Schönstätter und Nicht-Schönstätter, zusammen und ins Gespräch. Ein frohes, motivierendes Klima entstand. Den vielen Helferinnen und Helfern und allen, die Beiträge im Katholikentagsprogramm vorbereitet haben, gebührt ein großes „Dankeschön“.

Wenn man die vielen Zelte von Gemeinschaften, Projekten, Initiativen und Interessensgruppen nach einem Rundgang über den ganzen Schlossplatz auf sich wirken lässt, kommt man unwillkürlich zu der Frage, was diese Vielfalt zusammenhält oder auch: ob dieses vielfältige Nebeneinander einen Zusammenhalt hat.

Die großen Gottesdienste von Christi Himmelfahrt und vom Abschlusssonntag haben die geistliche Mitte, die vertikale Ausrichtung und Verbundenheit, für alle Teilnehmer erlebbar gemacht.

Die Frage bleibt, wie tragfähig diese Verbindung in der gläubigen Kernbotschaft und der geistlichen Kernerfahrung ist. Gelingt es den vielfältigen Gemeinschaften und Themengruppen, Menschen hineinzunehmen in die christliche Grundbegegnung mit Jesus, dem Auferstandenen und Gegenwärtigen, wenn sie diese nicht kennen oder noch nicht erfahren konnten?

Vorerfahrungen und Vorerkenntnisse

Ich bin überzeugt, dass es zu den grundlegenden prophetischen Intuitionen Pater Kentenichs gehört, besonders die Vorerfahrungen zu betonen. Die Klärung und Verteidigung aller Aspekte, die zum Bekenntnis des Glaubens gehören, sind eine immer notwendige Aufgabe. Für das Hineinwachsen in den Glauben sind heute oft sehr grundlegende menschliche und geistliche Vorerfahrungen entscheidend. Ohne Menschen, in denen eine menschliche und gleichzeitig geistlich-gläubige Reife gelungen erlebt wird, fehlen dem christlichen Glauben die tragfähigen Wurzeln für die Herausforderungen des Lebens.

Wie mir die Welt des Glaubens begegnet, ist oft und zunächst wichtiger, damit sich die Tür des Herzens öffnet, als die präzise Auseinandersetzung mit den Glaubensinhalten und die gedankliche Klarheit darüber. Auch da ist dann der Sinn für ein ganzheitliches Weiterwachsen entscheidend.

Hören und Antworten und Resonanzfähigkeit

Hartmut Rosa, Professor für Soziologie an der Universität Erfurt, sprach beim Katholikentag mit Nachdruck davon, dass eine Gesellschaft ihren inneren Zusammenhalt verliert, wenn die materialen Gegebenheiten einer Gesellschaft – Grundwerte, Institutionen, Kulturformen, demokratische Methoden … – nur äußerlich als gemeinsam festgehalten werden. Entscheidend für den Zusammenhalt einer Gesellschaft ist vielmehr die Art und Weise, wie Menschen in Beziehung treten. Sein zentrales Stichwort ist Resonanz. Es braucht ein Verhältnis von Hören und Antworten, das in der Mitte Raum hat für Sich-berühren-Lassen und ein Auf-sich-wirken-Lassen kennt. Das nennt er Resonanzfähigkeit. Begegnung bringt in mir etwas zum Schwingen und ermöglicht bei mir und beim andern Veränderung. Talkshow-Mentalität, Demokratie als Durchsetzungsmethode für Einzelinteressen zerstört die Resonanzfähigkeit ebenso wie mediale Überfülle ohne seelische Verarbeitungsräume. Hartmut Rosa sieht in der Religion einen entscheidenden Beitrag für ein fruchtbares Miteinander der Menschen. „Der Grund aller Religion ist ein Resonanzverhältnis und ein Versprechen. Ein Verhältnis zwischen Gott und Mensch, zwischen Kirche und Welt. Und es ist ein Versprechen, wie es beim Propheten Jesaja heißt: ‚Ich habe dich bei deinem Namen gerufen‘“, führte er in einem Statement aus. „Das bedeutet: Die Ressourcen des Glaubens müssen entdeckt werden.“ Seiner Überzeugung nach fördert und entwickelt ein solcher Umgang mit dem Glauben Resonanzfähigkeit „in der Kirche und in der Gesellschaft“.

Könnte nicht jeder Schönstätter ein ganzes Buch darüber schreiben, was das Liebesbündnis in ihm zum Schwingen gebracht hat und wie viel Resonanzsensibilität und Wachstum durch das Liebesbündnis mit Maria in sein Leben hineingekommen ist?

Ihnen allen herzliche Grüße vom Urheiligtum in Schönstatt

Ihr

P. Ludwig Güthlein
Schönstatt-Bewegung Deutschland


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