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21. Oktober 2017 | Oktobertreffen2017 | 

Vortrag: „Eure Söhne und eure Töchter werden Propheten sein.“ Apg 2,17 - Denkanstöße 50 Jahre danach


„Eure Söhne und eure Töchter werden Propheten sein.“ Apg 2,17
Denkanstöße 50 Jahre danach

Schwester M. Veronika Riechel, Schönstatt

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21.10.2017

Gliederung

1

Vom „Tag 1“ und Gründer-Spirit

2

Pater Kentenich – eine Persönlichkeit mit „Mehrwert“ oder: Brennender Dornbusch

  • Der produktive Weg, eine Autorität anzuerkennen
  • Charisma des Gründers und die Gnade, an diesem Charisma teilzuhaben

3

Pater Kentenich und wir – die Art, wie der Heilige Geist in Schönstatt wirkt

  • WIR, nicht ich
  • „Erkenntnisquelle und Saatfeld“

4

Verheißung und Orientierung:

 „Eure Söhne und eure Töchter werden Propheten sein.“ Apg 2,17

  • Sohn und Tochter sein
  • Propheten sein
  • Söhne – Töchter – Propheten: miteinander

 

 

 

1
Vom „Tag 1“ und Gründer-Spirit

 

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses Oktobertreffens,

der erfolgreiche Amazon-Gründer Jeff Bezos braucht nur wenige Worte, um seine Taktik zu erklären, wie man einen Milliardenkonzern aus dem Nichts aufbaut.

Das wichtigste Stichwort lautet „Tag 1“. Erfolgreiche Firmen dürften den Gründer-Spirit nie verlieren. Andersfalls drohe eine Perspektive mit durchaus dramatischen Zügen: der Tag 2. „Tag 2 bedeutet Stagnation. Dann folgt Bedeutungslosigkeit. Dann folgt unerträglicher, qualvoller Niedergang … Darum muss es immer um Tag 1 gehen.“[1]

Drive und Dynamik zu halten sei leicht für Start-ups und schwer für Konzerne, aber nicht unmöglich, sagt Bezos. „Wir können die Form und Fähigkeiten eines Großunternehmens haben und trotzdem den Spirit und das Herz einer kleinen Firma. Aber wir müssen uns dazu entscheiden“[2], schreibt er. Worauf es ankommt: Der eigenen ursprünglichen Intuition zu trauen und – nicht so sehr den Umfragewerten, sondern – den neuen Bedürfnissen der konkreten Menschen und den großen Trends der Zeit wach zu begegnen – mit Leidenschaft.

Den „Tag 1“ wachhalten, nie den Gründer-Spirit verlieren. Fast 50 Jahre nach dem Tod des Gründers fragen wir, wie das für uns geht. Wie können wir – bei allen Grenzerfahrungen und Einschränkungen, die wir augenblicklich erleben – ein Schönstatt schaffen, das vital ist, das hineingreift in die Kirchen- und Zeitgeschehen und Menschen von heute hilft, dass ihr Leben gelingt?

Diese Frage hat Pater Kentenich offenbar sehr früh bewegt. Schon 1939 erwähnt er in einem Vortrag: Man sagt, 50 Jahre nach dem Tod eines Gründers fängt seine Gründung an, die „schiefe Ebene“ zu beschreiten. Es ist die Zeit, in der die Generation abtritt, die mit dem Gründer das Werk gebaut hat, die deshalb auch nach seinem Tod in seinem Sinn weiterarbeiten konnte. – Pater Kentenich fügt aber sofort hinzu:

„Und wir müssen nun dafür sorgen, dass nach 50 Jahren erst der rechte Höhengang beginnt.“[3]

Dieser spannende Augenblick ist jetzt gekommen. Vielleicht ist da die neue Jahresparole der Schönstatt-MJF ein Wink des Heiligen Geistes an uns alle: „Gipfelstürmer – gehst du mit?“ Es liegt auch in unserer Hand, ob das Schönstatt der Zukunft diesen „Höhengang“ wagen kann, ob es die Kraft hat, Feuer zu zünden in unserer Kirche und Gesellschaft.

2
Pater Kentenich – eine Persönlichkeit mit „Mehrwert“ oder:       
Brennender Dornbusch

Im Oktoberbrief 1949 denkt unser Gründer über große Menschen nach, die schöpferisch gewesen sind, die „kraftvoll ins Räderwerk der Zeit eingegriffen, … sie inspiriert und umgestaltet“ haben, die „nicht bloß Handlanger und Baustein, sondern Architekt und Baumeister am künftigen Gesellschaftsbau“ waren. Pater Kentenich meint hier nicht Unternehmensgründer, Politiker, Wissenschaftler. Er hat den tiefergehenden Einfluss vor Augen, der von Menschen ausgeht, die das Eigentliche – Gott – gebracht haben, die für ihre Zeit Gottesboten waren.

Er schreibt:

„Gott ist es allein, der den brennenden Dornbusch großer Persönlichkeiten anzündet ... Sie sind ein besonderes Gottesgeschenk an die Menschheit. Es kann erbeten, es kann verscherzt und abgelehnt werden: immer aber bleibt es ein freies Geschenk des Himmels an die Erde. Wehe der Zeit, die sich ihrer unwürdig macht, die ihre Propheten steinigt oder nicht hören will, die ihre Schuhe nicht auszieht und sich nicht ehrfürchtig beugt vor ihrer Größe und ihrer Sendung!“[4]

Unser Gründer hat bei diesen Worten wohl kaum an sich gedacht. Aber im geschichtlichen Abstand zeigt sich durchaus, dass sie auf ihn zutreffen. Er ist für seine Gründung der „brennende Dornbusch“, den Gott entzündet hat. Ein Gottesgeschenk. Von ihm kommt das Feuer des Anfangs – und auch des immer neuen Anfangs. Der Gründungsspirit – das, was den Tag 1 ausmacht – ist der Gründerspirit. Die Vitalität und Originalität Schön­statts wird durch die Verbundenheit mit dem Gründer gesichert.

  • Der produktive Weg, eine Autorität anzuerkennen

Brennender Dornbusch, das sagt also zunächst: Unser Gründer ist für uns nicht einfach ein großer Mensch, der etwas zu Zeitfragen zu sagen hat und Wegweisung geben kann. Er ist für uns als Schön­stattfamilie mehr.

Um dieses „Mehr“ auszuloten, eine kleine Überlegung, die ich inhaltlich der Politologin Antje Schrupp[5] verdanke. Sie bringt sie im Kontext von Ausführungen zum Feminismus, ihre Gedanken lassen sich aber auch für unser Thema auswerten:

Große Menschen haben so etwas wie einen „Mehrwert“, ein „Mehr“ an Geist, an Können, an Persön­­lichkeit. Das kann bei der Umgebung zwei Reaktionen wecken, die gleichermaßen destruktiv wirken.
Einerseits Neid, der die Größe des andern nicht stehen lassen kann. Das kann sich ganz subtil äußern, indem ich versuche, den anderen kleiner zu machen, zu korrigieren ... Wer neidisch auf menschliche Größe reagiert, nimmt sich die Möglichkeit, durch diese Größe zu wachsen.            
Genauso schlecht ist es aber, wenn die Reaktion blinde Bewunderung ist, die das Gegenüber so sehr „in den Himmel“ hebt, dass jegliches Eigenurteil aussetzt.

Die produktive Haltung, die zwischen diesen beiden Klippen hindurchführt, ist es, die Autorität dieser Persönlichkeit anzuerkennen. Wobei der Begriff „Autorität“ für die Genera­tion der Jetzt-Zeit durchaus positiv besetzt ist, keineswegs mehr – wie bei den 68er – mit Druck oder Angst verbunden. Wer sich in der politischen Landschaft umsieht, beobachtet geradezu ein Bedürfnis nach Autorität, nach durchsetzungsstarken, klugen Anführern, oder in der Kirche einen Hunger nach geistlicher Autorität, nach echten Zeugen des Glaubens, die Halt und Orientierung bieten.

Autorität ist eine Beziehungsqualität. Dass ein Mensch für mich zur Autorität wird, zeigt sich darin: Dieser Mensch ist für mich nicht einfach ein Ratgeber unter vielen, sondern ich halte mich an ihn. Im Gewoge der Meinungen orientiere ich mich an ihm, ja, mache mich von ihm abhängig. Und diese Abhängigkeit hat etwas Befreiendes. Sie lässt mich wachsen.                                                 
„Er ist glaubwürdig.“ So fasste eine junge Akademikerin ihren Eindruck zusammen, als sie nach einigen Wochen in Milwaukee nach Deutschland zurückkam und gefragt wurde: Wie ist Pater Kentenich? Später, so sagt sie, sei ihr auch bewusst geworden, was es war, dass man ihm so restlos vertraute: Er gab in allem dem Vatergott den Vorrang. Seine Lebenshaltung war, den Willen des Vaters im Himmel anzubeten.         
Ganz ähnlich beschreibt Pater Fleischlin, ein Schönstattpater aus der Schweiz, es einmal: „Wenn einer, der da eine Hölle von Dachau durchgemacht hat, der so viele Jahre Exil durchlebt hat und dann von der Liebe Gottes spricht und von der wunderbaren Führung Gottes in jedem einzelnen Leben, wer so darüber reden kann, der hat wirklich eine Gotteserfahrung gemacht, auf die ich mich verlassen kann. … Er hat Gott erlebt, er hat ihn erfahren und gibt uns Anteil an dieser seiner Gottes­erfahrung. Und das möchte ich einfach gern sagen, das hat meinem Priesterleben durch all diese Jahre Halt und Orientierung gegeben.“

Natürlich wünschen wir uns, dass Pater Kentenich für noch viel mehr Menschen als bisher zu einer Kapazität wird – in seiner Pädagogik, in seiner Zeitdiagnostik, in seinen pastoralen Neuentwürfen.                 
Aber für uns, seine Familie, ist er mehr: Er ist die Autorität, der wir aus gutem Grund folgen.          
Dieser Grund ist ein übernatürlicher. Es ist seine Berufung durch Gott, ist sein Charisma, und unsere Berufung, an diesem Charisma teilzuhaben.

  • Charisma des Gründers und die Gnade, an diesem Charisma teilzuhaben

Dass unser Gründer von Gott eine besondere Gnade erhalten hat – einen neuen Weg des Christseins zu zeigen und zu gehen, das christliche Menschenbild heute zum Strahlen zu bringen –, das ist das eine. Brennender Dornbusch!    
Aber sind wir uns bewusst, dass es auch eine besondere Berufung ist, diesem Gründer zu folgen und an seinem Charisma teilzuhaben? Zu Schönstatt berufen zu sein bedeutet auch, in eine Beziehung zum Gründer zu treten. Die Wurzel dieser Beziehung ist nicht notwendig Sympathie. Es ist eine objektive Tatsache: Durch das Liebesbündnis vom 18. Oktober 1914 ist Pater Kentenich zum Vater seiner Schön­stattfamilie geworden. Er ist die „dritte Kontaktstelle“ im Liebesbündnis.

Bei seiner Predigt zur Eröffnung des Kentenich-Jahres sagte Pater Catoggio:     

„Wir haben in der Schönstattgeschichte lebensmäßig die Erfahrung gemacht, dass der Vater und wir zusammengehören. Die Vaterströmung und ihre vielfältigen Ausdrucksformen – Mariengarten, Kindesakte, Gefolgschaftsströmung und viele andere Formen eines Bündnisses mit dem Gründer – sind ein deutliches Zeugnis davon … Eines möchte ich unterstreichen: Die Bindung an unseren Vater und Gründer ist nicht zunächst eine gefühlsmäßige, affektive Zuneigung, sondern zunächst und viel mehr eine gläubige Bindung, sie wurzelt im Glauben, dass wir durch Gnade Gottes berufen sind, am Charisma, am Gründergeist Pater Kentenichs teilzuhaben.“[6]

Als Vater konnte und kann er nur mit seiner Familie seine Sendung erfüllen. „In den Plänen Gottes habe ich wohl nie existiert ohne Sie und Sie nie ohne mich. Gott hat uns von Ewigkeit gesehen in einem tiefen Liebesbündnis“, so sagte er. Deshalb „mögen Sie verstehen, wie dankbar ich Ihnen sein muss, dass Sie auf diese Pläne eingegangen sind“[7].

Beleuchten wir noch ein wenig, wie sich das gezeigt hat.

3
Pater Kentenich und wir – die Art, wie der Heilige Geist in Schönstatt wirkt

  • WIR, nicht ich

Das „Wir“ zwischen dem Gründer und uns ist von Anfang an wirksam. Schon bei seinem Amtsantritt als Spiritual sagte er den Schülern: „WIR wollen uns selbst erziehen ...“ – und legt nach: Wir, nicht ich, ich werde rein gar nichts tun ohne euch.                                                            
Das war nicht einfach eine kluge pädagogische Strategie des jungen Spirituals. Es war das WIR einer Vaterschaft, die sich immer in Einheit sieht mit der Gefolgschaft.   
Diese Grundhaltung hat ihn geprägt bis zum Ende seines Lebens. Gott will nicht, so sagt er, „dass ich die Aufgabe löse ohne Sie“[8]. Ein Wort dafür ist: Mitgründer.

Vielleicht haben Sie sich auch schon einmal gefragt: Was war es denn, was damals die Einzelnen motiviert hat, mit Leidenschaft alles für Schönstatt zu geben? Angefangen von Josef Engling über Gertraud von Bullion, Maria Laufenberg, Pater Reinisch, Karl Leisner, Schwester M. Emilie, Mario Hiriart und viele andere „Schönstatthelden“ mehr, bekannte und unbekannte. Was war es, was der jungen Gründung ihre Dynamik, aber auch die Sendungslust und Strahlkraft gab, die andere anzog? Was machte Schönstatt zu einem Zuhause, wo man gern hinkam und mit Freuden so viel an Zeit und Kraft investierte?       
Ich glaube, das Geheimnis war dieses Erleben einer neuen Familie, war die Art, wie man als Einzelner angenommen war, sich einbringen konnte und gebraucht wurde für die großen Ziele Schönstatts. Dieses Klima verdichtete sich da, wo unser Gründer als Vater in der Mitte war.                      

Ein paar Zeugnisse können etwas von dem Klima vermitteln:

Es war ein Klima, in dem der einzelne Mensch zählte. Die erste Frage unseres Gründers war nie: Wo kann ich diese Person für Schönstatt brauchen? Sondern: Wie kann diese Person wachsen, ihre Berufung entfalten? Eine junge Frau, die Pater Kentenich in Milwaukee besuchte, erwartete, er würde sie als Führerin fürs Apostolat schulen, sie von Charakter­fehlern befreien, damit sie besser für Schönstatt wirken könne. „Und genau mit diesen Sachen kam ich bei Herrn Pater überhaupt nicht an … Er sagte sehr klar, er wolle die ihm Anvertrauten nicht für eine bestimmte Aufgabe erziehen. Er wolle, dass sie von innen heraus neu werden.“

Wo unser Vater war, entstand ein Klima, in dem Verschiedenheit nicht störte, sondern zum Plus wurde. Jeder war in seiner Art gefragt. Ein kleines Zeugnis dazu: „Wenn man zu ihm kommt, dann kommt es eben ganz darauf an, was man für ein Mensch ist und was man für eine Natur und für eine Veranlagung hat. Und dieser Veranlagung des Einzelnen und dieser Natur des Einzelnen passt sich unser Vater natürlich an. Und folglich erlebt ihn jeder auch irgendwie anders.“ So entfaltete sich ein Klima der Sendungsfreude, weil jeder in seiner Art gefragt war. Dahinter stand die große Ehrfurcht unseres Vaters vor jeder Schön­stattbe­rufung. Er hat Mitarbeiter gesucht – aber in einer ganz freien Weise: Ich habe mir jeden Einzelnen von der Gottesmutter erbeten, so sagte er.

Und schließlich noch ein Zeugnis, wie unser Vater auch die Lust an der geistigen Auseinan­dersetzung weckte und förderte:

„Ich habe nie einen Menschen erlebt, welcher derartig offen und weit war wie unser Vater … Wenn Sie mit ihm gesprochen haben und auf irgendein Thema kamen, so hatte er darüber gelesen, er kannte den Mann von früher oder wusste von Beziehungen, die er hatte. Er wusste, was der denkt oder früher gedacht hatte. Er war wirklich im Gespräch mit allen geistigen Strömungen … Ich war fasziniert, wie er einerseits von Schönstatt her, von seiner ureigenen Denkweise und vom Liebesbündnis her alles Geschehen beurteilt hat; aber andererseits war er ganz und gar weit. Er hat grundsätzlich die Offenheit für alle und für alles gehabt; aber das Fundament unseres Liebesbündnisses, das stand für ihn felsenfest.“

Also das Klima einer befreienden geistigen Weite und damit die Einladung zur geistigen Auseinandersetzung mit ihm. Unser Vater hat immer wieder betont: „Ich kann mit keinem etwas anfangen, der nur Ja-Nicker ist“[9]. Oder positiv gesagt: „Ich kann nur selbstständige Menschen brauchen – religiös selbstständig, aber auch wissenschaftlich selbstständig“[10]. Er konnte geradezu provozieren, wo er den Eindruck hatte, jemand setzt sich zu wenig selbstständig mit seinen Gedanken auseinander.

In der Nähe unseres Vaters entstand das Klima einer Familienhaftigkeit, die alle Kraft mobili­sierte für die gemeinsame Sendung. Unserem Vater ging es nie um seine Person, er sah sich mit der Familie als Werkzeug der Gottesmutter.                                                                               
Eine unserer ersten Bewegungsschwestern erzählte, sie sei Novizin gewesen, als Herr Pater aus dem KZ Dachau zurückkam. Sie hatte ihn vorher nicht kennengelernt und konnte nicht begreifen, weshalb man auf einmal so viel Aufhebens um den Gründer machte.                          
Sie schrieb Pater Kentenich, sie könne nicht werden wie die anderen Schwestern, denn sie sei ja nicht seinetwegen in die Gemeinschaft eingetreten, sondern wegen der Welterneuerung. Einige Tage später begegnete Pater Kentenich der Novizin. Er wechselte einige Worte mit ihr und sagte dann, anspielend auf den Brief, lächelnd und ernst zugleich: „Wir beide erneuern zusammen die Welt!“

Unser Vater hat sich durch das „Wir“ in eine Reihe gestellt mit seiner Familie. Salopp gesagt: Er war ein Teamplayer erster Güte. Doch zugleich war er die väterliche Autorität, die allen Halt gab und alles zusammenhielt.                                                                                   
Im Blick auf das Werden und die Entfaltung Schönstatts sagt er mit Nachdruck:

„Das ist immer ein gemeinsames Werk gewesen! Wenn Sie nur einmal sich an die Vorgründungsurkunde erinnern, (da) steht am Schluss sehr eindeutig, was wir an sich erstreben sollten: Ich würde selber nichts unternehmen, ohne dass alle mitarbeiteten … Das ist und bleibt ein Gemeinschaftswerk! Und zwar ein ganz ausgesprochenes, ob es sich handelt um die Erkenntnisquelle und mehr noch oder sich handelt um die Durchsetzung.“[11]

Rückblickend auf sein Leben hat unser Gründer dieses „Wir“ im Aufbau Schönstatts einmal so beschrieben: Seine Mitarbeiter, alle, die zu Schönstatt berufen waren, seien für ihn immer „Erkenntnisquelle und Saatfeld“[12] gewesen.                                                                                             

  • „Erkenntnisquelle und Saatfeld“

Erkenntnisquelle: Die Anregungen, die Fragen, die Begabungen der Einzelnen regten ihn an, ständig neu zu fragen: Was will Gott durch diesen Menschen, durch dieses Anliegen in Schön­statt verwirklichen? Wozu ist dieser Mensch zu Schönstatt berufen?                                               
Dadurch ist alles in Schönstatt geworden.

Nur ein Beispiel: Die ganze Welt der Filialheiligtümer ist z. B. entstanden, weil im Krieg die Missionsschwestern in Uruguay ein originalgetreues Heiligtum bauten. Sie spürten, dass sie ohne Heiligtum den Leuten Schönstatt nicht richtig nahebringen konnten.                                                     
Daran erkannte unser Vater die Bedeutung von originalgetreuen Filialheiligtümern und erlebte, dass die Gottesmutter dort dieselbe Wirksamkeit entfaltet.

Erkenntnisquelle waren die Einzelnen für unseren Vater auch da, wo es galt, den Geist und den Lebensstil der einzelnen Schönstattgemeinschaften zu entfalten. Pater Kentenich tat nichts „am grünen Tisch“, sondern beobachtete, hörte, fragte und zeigte dann Grundlinien auf, nach denen die Mitglieder ihre Lebensordnung entfalten konnten.                                                                               
Auch seine spezifische Pädagogik, seine Anleitungen zum Geistlichen Leben usw. sind ausnahmslos gewachsen aus diesem Wir.                                                                                  
Was er im Blick auf unsere Schwesternfamilie sagte, gilt für ganz Schönstatt: „Meine Aufgabe hat immer nur darin bestanden, im Hintergrund zu stehen, zu wachen, zu hören, zu beobachten. So auch hier. Eines Tages war das fertig.“[13]

Die, die mit Pater Kentenich lebten, haben ihn nicht nur für sein Wirken inspiriert, sondern seine persönliche Entwicklung beeinflusst.

„Sie selber haben einen ungemein starken Einfluss gehabt auf meine eigene persönliche Entwicklung.“[14]

Das ist ein großes Wort, es zeigt, dass er sich den Seinen gegenüber wirklich als Vater erlebte, der von seinen Kindern auch geprägt und erzogen wird.

Seine Familie war für unseren Gründer nicht nur die große Erkenntnisquelle, sondern er nennt sie auch das „Saatfeld“, in das er entsprechende Anregungen und Zeitantworten einsenkte. Er säte in seiner Familie Saatkörner aus und wartete, was davon aufging.                              
Auch das lässt sich von Anfang an beobachten: Nach dem Gründungsvortrag am 18. Oktober tat er nichts, um den Sodalen die Bedeutung dieser Stunde zum Bewusstsein zu bringen. Er wartete ab, ob die Saat aufgeht. Pater Menningen kommentierte später: „Das ist der Mann der großen Geduld, der endlos lang warten kann, wenn ein Saatkorn ausgestreut worden ist … Herr Pater hat in der Zeit bis 1918 nicht einen einzigen Vortrag über den 18. Oktober gehal­ten.“[15] Dabei war Pater Kentenich sich sehr bewusst, wie einschneidend der 18. Oktober 1914 war. Er sagte später, als er die Gründungsurkunde niedergeschrieben habe, da habe er gewusst, mit diesem Vortrag beginnt etwas ganz Neues und eine ganz neue Welt ist am Entstehen.       
Unser Gründer sagt von sich selbst, er habe immer gewartet, bis in der Familie „irgendwie etwas innerlich aufgenommen, verarbeitet, von der Gnade betaut wurde“[16]. Wenn er aber wahrnahm, dass die Familie etwas aufgenommen hat, hat er alle Kraft investiert, um den Lebensstrom zu fördern.

Vieles, was er durch seine Worte an Saaten in die Familie hineingegeben hat, ist zu seinen Lebzeiten nicht aufgegangen. Er hat damit gerechnet, er konnte sagen: Ich spreche nicht nur für die, die jetzt leben, sondern für spätere Generationen. Er vertraute auf den Heiligen Geist, der zur rechten Zeit die rechten Menschen zu Schönstatt beruft, die seine Worte für ihre Zeit entschlüsseln können. Die dann auch das Prophetische seiner Diagnosen viel wacher wahrnehmen, weil die Zeit für diese Antworten gekommen ist.

Dazu braucht es Köpfe und Herzen, die ganz heutig sind, die aber eben auch in innerer Fühlung stehen mit dem Gründer und wittern, was sich in oft harmlos klingenden Worten verbirgt. Beides gehört eben zusammen.     
Damals wie heute gilt: Wir, nicht ich! Wir mit unserem Gründer.    
Worauf es ankommt: mitwirken, mitgestalten, mitgründen. Das Mit ist wichtig. Mit Pater Kentenich zusammenwirken. Das ist sozusagen die schöpferische Grundformel. Es ist ähnlich wie beim Radsport: Sich in den Windschatten eines Großen, in den „Drive“ des Heiligen Geistes begeben.  
Pater Kentenich und wir – das ist die Art, wie der Heilige Geist in Schönstatt wirkt. Das haben wir zu Lebzeiten unseres Gründers erfahren und das muss auch heute, 50 Jahre nach seinem Tod, wirksam werden.

In diesem Zusammenhang fiel mir ein Wort aus der Heiligen Schrift ein: „Eure Söhne und eure Töchter werden Propheten sein.“ (Apg 2,17)                                                                                           
Petrus verwendet diese Verheißung des Propheten Joel in seiner Pfingstpredigt.           
Wie klingt es, wenn wir dieses Wort auf uns als Schönstattfamilie hin hören?

4
Verheißung und Orientierung:                                              
„Eure Söhne und eure Töchter werden Propheten sein.“
Apg 2,17

Ein erstes Stichwort:

  • Sohn und Tochter sein

Ein Jesuit erzählte mir einmal: Wenn ich nach Rom komme, besuche ich zuerst das Grab des heiligen Ignatius. Er möchte die Nähe seines Gründers suchen und sich daran erinnern: Ein guter Jesuit kann ich nur sein, wenn ich ein treuer Sohn des heiligen Ignatius bin.                                     
Ähnlich gilt von uns: Alle, die das Liebesbündnis geschlossen haben, sind im Sinn der Sendung „Söhne und Töchter“ Pater Kentenichs.                                                                 
Die Frage ist, wie kann ich mit ihm in eine Beziehung kommen, ihn als anwesend und wirksam in meinem Leben, in meiner Arbeit erfahren?                                                     
Es gibt eine ganze Spannbreite von Intensitäten, wie man mit ihm verbunden sein kann und will. Vom ausdrücklichen Versprechen der Gefolgschaft oder dass ich Pater Kentenich bitte: ‚Sei mein Vater, mein Seelenführer‘, bis hin zu einem mehr indirekten Kontakt, weil mir etwas von Schönstatt gefällt. Es ist ja sein Schönstatt. – Im Folgenden einige Zugangswege:

Ihn konkret einschalten

Viele Menschen sind „Freunde Pater Kentenichs“, erleben ihn als väterlichen Führer einfach da­durch, dass sie immer wieder seine Hilfe erbitten und erfahren. Die Veröffentlichungen des Sekretariates Pater Kentenich zeigen, wie Menschen allein dadurch oft fähig werden, ihr Leben und Lebenskrisen besser zu bewältigen und unmittelbarer an das Eingreifen Gottes in ihr Leben zu glauben. Dass Pater Kentenich selbst für den Park­platz in der Stadt sorgen kann, mag trivial wirken. Aber eigentlich zeigt das, wie unmit­telbar sich das Zusammenleben mit der jenseitigen Welt gestalten kann. Wir erleben ihn in derselben väterlichen Sorge wie zu seinen Lebzeiten, wo er bei den Einzelnen die kleinsten Dinge im Blick hatte.
Vor allem sollten wir auch oft genug an ihn unsere Bitten für die Zukunft Schönstatts herantragen und uns mit ihm besprechen: ‚Es ist dein Werk, jetzt sorge …‘ / ‚Wie würdest du jetzt handeln?‘ – Solche Fragen und Bitten bleiben nicht unerhört. Sie geben dem Gründer vom Himmel aus Wirkmöglichkeiten.

Die Person und Lebensgeschichte unseres Gründers als Antwort auf die eigene Lebenssituation entdecken

Pater Kentenich selbst hat wenig von sich gesprochen, und doch hat er uns als Familie immer wieder Einblick gegeben in seine innersten Erfahrungen: Die Meilensteine Schönstatts sind nichts anderes als Verdichtungspunkte in der Lebensgeschichte unseres Vaters. Es ist spannend, sich mit den einzelnen Meilensteinen zu befassen und zugleich zu fragen: Wo finde ich das in meinem Leben? Wo ist bei mir im Blick auf Schönstatt oder auf mein Christsein ein Glaubenssprung, ein Wagnis dran, so wie am 18. Oktober 1914 bei unserem Gründer? Wo ist mein 20. Januar, eine Erfahrung, wo ich von innen her anders entscheiden muss, als es mir meine Umgebung nahelegt, wo ich einen Schritt tun muss, der unsinnig scheint – weil da eine Anregung des Heiligen Geistes ist? Wo ist mein 31. Mai, eine Situation, in der ich Farbe bekennen, die Stirn bieten muss für eine Überzeugung, auch wenn die Konsequenzen nicht angenehm sind?          
Es gibt in unserer Bewegung manche berührenden Beispiele, wie ein solches Eintauchen in die Lebensgeschichte des Gründers manchen von uns grundlegende Weichenstellungen brachte. Ich kenne einen Priester, der in seiner Pfarrei schweren Missverständnissen ausgeliefert war, auch im Blick auf den Bischof, und darunter sehr gelitten hat. Die Art, wie unser Vater die Milwaukeezeit durchgestanden hat, hat ihm geholfen, nicht bitter zu werden, sondern einen guten Weg zu finden.

Augen- und Ohrenzeugen begegnen

Auch wenn wir Pater Kentenich nicht selbst erlebt haben, können wir ihm doch in Menschen begegnen, die durch ihn geprägt wurden. Und wenn es inzwischen schon meist per Video oder Buch ist ...

Davon können wir noch viel mehr gebrauchen! Und sind wir nicht alle Augen- und Ohrenzeugen seines Wirkens heute? Müssten wir uns nicht noch mehr erzählen, wie wir ihn heute erleben?

Vaterlesung

Es geht um Gründerlesung in persönlicher Interessenperspektive. Welches Wort ist für mich, weckt in mir eine Resonanz? Ein Ehepaar erzählt, dass sie den Tag immer mit einem Text von Pater Kentenich beginnen und in der Atmosphäre dieses Wortes das vor ihnen Liegende angehen.

Für Schönstatt leben und arbeiten

Jedes Engagement für Schönstatt bringt uns dem Grün­der näher, selbst wenn es nicht bewusst in Verbindung mit ihm geschieht.

Den Ort seines Heimgangs berühren

Als deutsche Schönstatt-Bewegung haben wir gegenüber den anderen Ländern ein großes Privileg: Wir haben die Gründerkapelle, den Ort seines Heimgangs, in unserer Mitte. Wer einmal erlebt hat, was es Pilgern aus Südamerika bedeutet, einmal im Leben hier zu sein, der bekommt ein Gefühl für die Gnade dieses Ortes. Manche kommen bei einer Zwischenlandung vom Flughafen Frankfurt mit Taxi für eine Stunde nach Schönstatt, um einmal im Urheiligtum und in der Gründerkapelle zu sein.

Dies sind nur einige Anregungen, die uns unserem Gründer näherbringen, uns aber auch helfen, ihn tiefer zu verstehen. Antonio Romano, ein italienischer Theologe, der sich intensiv mit Gründergestalten beschäftigt hat, schreibt: Unter den vielen Möglichkeiten, sich einem Gründer zu nähern, gibt es nur eine einzige, den Gründer zutiefst zu verstehen: nämlich ihn zu lieben.[17]

Wie sehr die Liebe ein tiefes Verstehen schenkt, zeigt ein kleines Zeugnis von Johannes Chrysostomus. Er ist ein Kirchenlehrer des 4. Jahrhunderts und beschreibt, was es ihm bedeutet, dem heiligen Paulus beim Lesen seiner Briefe zu begegnen. Wohlgemerkt, Paulus ist zu dieser Zeit rund 250 Jahre tot:

„Immer wenn ich aus den Briefen des hl. Paulus vorlesen höre …, freue ich mich an dem Klang der geistlichen Posaune. Ich gerate in Begeisterung und empfinde ein heißes Verlangen. Wenn ich die liebe Stimme vernehme, meine ich fast, ihn vor mir zu sehen und seine Erklärungen zu hören. Aber es bedrückt und schmerzt mich, dass nicht alle diesen Mann so kennen, wie er es verdient, sondern dass manche so wenig Kenntnis von ihm haben, dass sie nicht einmal die Zahl seiner Briefe genau wissen. Das kommt aber nicht von Wissensunfähigkeit, sondern weil sie nicht beständig mit diesem Heiligen vertrauten Umgang pflegen wollen. Denn auch wir verdanken unser Wissen ihm, wenn wir ein solches besitzen, nicht unserer Begabung und Geistesschärfe, sondern dem beständigen Umgang mit diesem Manne und unserer innigen Verehrung für ihn. Denn geliebte Menschen kennen vor allen andern gerade die gut, welche sie lieben, weil sie ihnen am Herzen liegen. Das will auch unser Heiliger ausdrücken, wenn er im Briefe an die Philipper sagt: ‚Es ist nur recht, dass ich so über euch alle denke, weil ich euch ins Herz geschlossen habe. Denn ihr alle habt Anteil an der Gnade, die mir durch meine Gefangenschaft und die Verteidigung und Bekräftigung des Evangeliums gewährt ist‘ (Phil 1,7).“[18]

Dass ein Chrysostomus sich so tief in Paulus einfühlen kann, zeigt einen hohen Grad der Seelenverwandtschaft. Nur ein Heiliger kann einen Heiligen verstehen.                               
Auch bei unserem Vater ist es so: Wir brauchen wenigstens die Sehnsucht nach Heiligkeit, die Bereitschaft, seinen Heiligkeitsweg zu gehen, um ihn in seiner eigentlichen Größe zu verstehen.

Das zweite Stichwort: Als Söhne und Töchter

  • Propheten sein

Um etwas zu bewegen, müssen wir nicht viele sein. Es kommt darauf an, ob wir glauben können, dass Schönstatt etwas Prophetisches hat und wir daran Teil haben. Es braucht ein „prophetisches“ Selbstbewusstsein. Was darunter zu verstehen ist, kann ein Wort von Pater Boll erschließen:

„Gerade wer vom Charisma Schönstatts überzeugt ist und wer sich dem Propheten Kentenich angeschlossen hat, kann einerseits das kostbare Erbe nicht zum billigen Tagespreis der gängigen Meinungen (‚das kann man heute nicht mehr so sagen‘) ver­schleudern. Das wäre Untreue und Verrat an den kommenden Generationen, denen dieser Schatz eigentlich gehört.           
Auf der anderen Seite aber braucht es mit noch größerer Entschiedenheit den geistlichen Mut, der Prophetie in ihrer Gegenwartsbedeutung und Zukunftsmacht zu trauen. Sie muss in einem geistlichen Vorgang aufgetaut werden durch Menschen, die im Geist des Propheten erspüren ..., was der Prophet heute durch seine Schülerinnen und Schüler sagen will.“[19]

Keine Frage, es ist nicht leicht, das Wort unseres Vaters zu verstehen und in die heutige Zeit zu stellen. Je größer die zeitliche Distanz wird, umso mehr kostet es Mühe, seine Sprache und sein Denken zu verstehen. Es ist noch viel Studium und wissenschaftliche Arbeit zu leisten. Andererseits erleben wir immer wieder: Wenn es gelingt, eine einzige Wahrheit in das aktuelle Leben der Menschen hineinzustellen, entfaltet das Wort unseres Gründers eine unglaubliche Kraft. Es kommt darauf an, es gleichsam zu „verflüssigen“, hineinzustellen in die gegenwärtigen Herausforderungen. Wohlgemerkt: Verflüssigen, nicht verwässern. Von Schönstatt her auf nagelneue Fragen Antwort geben, darauf kommt es an.

In diesem Sinn sind wir „kleine“ Prophetinnen und Propheten in jeder Situation, in der wir mit eigenen Worten und aus eigener Erfahrung eine ganz konkrete Wahrheit Schönstatts ins Leben stellen. 
Propheten sind die jungen Leute von der „Nacht des Heiligtums“, die Jahr für Jahr durch ihr Motto eine Wahrheit Pater Kentenichs ins Lebensgefühl ihrer Generation stellen und damit wirklich etwas verändern im Leben dieser jungen Menschen.                                                         
Prophet ist der Unternehmer, der aus den Impulsen Pater Kentenichs neue Wege der Unternehmenskultur sucht.    

Sind wir inzwischen nicht auch prophetisch in unserem Einsatz für das Leben, für Ehe und Familie, in der Art, wie wir neue Kirche bauen?                                                                
Es ist auch eine Geistesgabe, wahrzuneh­men und sich zu freuen, wo der Geist unter uns schon wirksam ist. Das gibt eine familienhafte Freude aneinander, ein echtes Start-up-Klima.        
Damit sind wir bei einem letzten Aspekt:

  • Söhne – Töchter – Propheten: miteinander

Auf den Plural kommt es an: Söhne – Töchter – Propheten. Wir sind eine große Familie, bestehend aus einer Reihe von Gemeinschaften mit unterschied­lichen Lebensentwürfen. In allen lebt unser Vater weiter, jeder „stellt einen Strahl seines Charismas dar“[20].                                      
Nur gemeinsam können wir unseren Gründer verstehen und aus seiner prophetischen Kraft leben. Das ist eine Herausforderung, aber auch ein Geschenk. Es ist nicht zuletzt ein Geschenk, das aus unserer gemeinsamen Bindung an unseren Vater fließt.

Gerade dieses „Wir“ als Schönstatt-Bewegung, als Söhne und Töchter eines gemeinsamen Vaters, kann enorme Kraft in die Gegenwartsgesellschaft hinein entfalten.         
Eine aktuelle Studie des Zukunftsinstituts mit dem Titel „Next Germany“ spricht von der Vision einer „Wir-Gesellschaft“. Hier ein paar Sätze im O-Ton:

„Die neue Macht des ‚Wirs‘ ist nicht mehr zu übersehen: Überall bilden sich neue Formen von Gemeinschaften, Kollaborationen und Kooperationen – ‚progressive Wirs‘, die auch neue Alternativen im Zeichen einer gespaltenen Gesellschaft eröffnen.“

Was macht dieses progressive Wir aus? – Es ist ein Wir,

„das Gemeinschaft will, dafür aber auch die Stärke des Einzelnen nutzt … Dafür jedoch gilt es ein neues Mindset zu entwickeln“, also „ein neues Denken und Haltungen, die Ichstärke und individuelle Entfaltung mit Gemeinsinn verbinden. Wo vielen Ichs eine möglichst hohe Originalität zugestanden wird, sind starke ‚soziale Muskeln‘ nötig. Die Balance zwischen maximaler individueller Freiheit, die dennoch kooperativ ist und Miteinander sucht.“[21]

Ist das nicht das Profil, das unser Gründer uns als seiner Familie geben wollte? Und wofür er sich als Vater ganz investiert hat?

Liebe Schönstattfamilie!

Wir alle, die wir das Liebesbündnis geschlossen haben, sind Söhne und Töchter desselben geistlichen Vaters. Er hat uns sein Schönstatt vererbt. Vieles in unserem Leben wäre nicht, wenn uns nicht diese Berufung geschenkt worden wäre.                                                                     
Man kann sich fragen: Was ist die angemessene Reaktion auf dieses Geschenk? – Die ange­messene Reaktion auf die Erfahrung echter Autorität – hier zitiere ich nochmals Antje Schrupp – ist „nicht Anerkennung und Lob, son­dern Dankbarkeit“[22]. Denn Dankbarkeit enthält die Erfahrung, dass mir jemand etwas gibt, was ich selbst mir nicht hätte geben können. Dankbarkeit ist die Reaktion dessen, der sich ohne eigenes Verdienst beschenkt weiß.     
Ob nicht das Kentenich-Jahr ein Anlass zur Dankbarkeit ist? Einer Dankbarkeit Gott und der Gottesmutter gegen­über, dass sie unseren Vater berufen und geführt haben. Aber auch unserem Vater gegenüber, dass er diese Berufung angenommen hat und alles dafür gegeben hat. Dankbarkeit, dass er uns weiterhin Vater ist und mit uns und in uns sein Schönstatt immer neu gründet.

Genau 18 Jahre ist es her, dass wir hier in der Gründerkapelle als deutsche Schönstattfamilie mit unserem Vater das Liebesbündnis geschlossen haben. Das Versprechen, das wir ihm damals gegeben haben, erinnert uns, wie in Schönstatt immer neu der „Tag 1“ erweckt werden kann. Diese Worte können uns auch durch das Kentenich-Jahr begleiten:

„Vater, unser Herz in dei­nem Herzen, unser Denken in deinem Denken, unsere Hand in deiner Hand, unser Le­ben in deinem Leben! Vater, deine Sendung ist unsere Sendung!“



[1]    Jeff Bezos, Letter to shareholders 2017, in Deutsch zitiert nach: M. Gassmann, Das ist das Erfolgsrezept von Jeff Bezos, https://www.welt.de/wirtschaft/article163685228/Das-ist-das-Erfolgsrezept-von-Jeff-Bezos.

[2]    Ebd.

[3]    J. Kentenich, 24.2.1939.

[4]    J. Kentenich, Oktoberbrief 1949 an die Schönstattfamilie, Schönstatt-Verlag 1970, S. 35 f.

[5]    A. Schrupp, Autorität statt Solidarität, http://www.antjeschrupp.de/autoritaet-statt-solidaritaet.

[6]    J. P. Catoggio, Predigt in der Anbetungskirche zur Eröffnung des Kentenich-Jahres am 15.9.2017.

[7]    J. Kentenich, 20.8.1947.

[8]    Ebd.

[9]    J. Kentenich, 26.8.1930.

[10] J. Kentenich, 26.2.1952.

[11] J. Kentenich, 1.6.1966.

[12] J. Kentenich, Studie 1960, Archiv.

[13] J. Kentenich, 16.11.1966.

[14]  J. Kentenich bei der Feier seines silbernen Priesterjubiläums am 15.8.1935.

[15]  A. Menningen, Vortrag zum 4. Oktober 1963 (Eng­ling-Gedenkfeier), Manuskriptdruck.

[16]  J. Kentenich, 18.6.1965.

[17]  "In ultima analisi rimane in noi una profonda convinzione, i fondatori certamente si studiano e si possono approfondire nei loro poliedrici aspetti, ma c'è un solo modo per capire a fondo la loro vita ed il loro carisma: amarli." A. Romano, I Fondatori profezia della storia. La figura e il carisma dei fondatori nella riflessione teologica contemporanea, Milano 1989, S. 200.

[18] Johannes Chrysostomus, Kommentar zum Römerbrief, 1. Homilie, vgl. BKV Bd. 39. Die Stelle Phil 1,7 ist hier von mir in der heutigen Übersetzung wiedergegeben.

[19] G. Boll, Solidarisierung mit einem Propheten, in: M. Schapfel (Hrsg.), Einem Propheten auf der Spur, Reflexionen 50 Jahre nach dem 31. Mai 1949, Patris Verlag Vallendar-Schönstatt 2001, S. 87 f.

[20] J. P. Catoggio, a. a. O.

[21] Zu Studie „Next Germany“, https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/wir-gesellschaft/wege-in-die-wir-gesellschaft / https://www.next-germany.de/studie-next-germany.

[22] A. Schrupp, a. a. O.

Spenden zur Unterstützung des Büros des Bewegungsleiters sind – auch gegen Spendenquittung – möglich auf folgende Konten: Schönstatt-Bewegung Deutschland –
Bank im Bistum Essen – IBAN DE 07 3606 0295 0029 6200 24 – BIC GENODED1BBE
oder Sparkasse Koblenz – IBAN DE11 5705 0120 0000 1420 91 – BIC MALADE51KOB


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