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Dr. Helmut Müller: "Ich habe mich für ein Amalgam zwischen Reflektion und Kommunikation entschieden."
Dr. Helmut Müller (r) bei seiner Abschiedsvorlesung an der Uni Koblenz-Landau (Foto: M.Brand, focus-vallendar.de)
Cbre. Seit 1992 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Katholische Theologie der Universität Koblenz-Landau, Abt. Koblenz und im Wintersemester 2010/2011 wurde er dort zum akademischen Direktor ernannt. In dieser langen Zeit hat Dr. Helmut Müller, der gemeinsam mit seiner Frau Mechthild Mitglied im Schönstatt-Familienbund ist, unzählige Studenten bei ihrem Studium der kath. Theologie am Standort in Koblenz begleitet. Nach langen Dienstjahren wird Müller nun zum Ende des laufenden Semesters seine Lehrtätigkeit beenden und hat deshalb Freunde, Wegbegleiter, Mitdozenten, ehemalige und aktuelle Studenten im Rahmen der „Sommeruni“ zu seiner letzten öffentlichen Vorlesung zum Thema „Anleitungen zum glücklich sein - Neueste Anmerkungen über uralte Anleitungen auf zwei steinernen Tafeln“ eingeladen.
In der Vorbemerkung zu seinem Thema wies Müller darauf hin, dass sich die Abschlussvorlesung an einem Ort des Wissens anspiele. Er werde sich allerdings nicht so sehr an die an einem solchen Ort geltende methodische Strenge in seinen Ausführungen halten. „Ich habe mich für ein Amalgam zwischen Reflektion und Kommunikation entschieden. Im Kern sind wir immer noch eine Lehramtsuniversität und diskursivfähige Reflektion über Sachverhalte und deren verständliche Kommunikation ist unser Kerngeschäft“, so der Akademische Direktor mit einem Augenzwinkern.
Die Abschiedsvorlesung fand im Rahmen der Sommeruni statt (Foto: M.Brand, focus-vallendar.de)
Anleitungen zum glücklich sein
Dann warf Dr. Müller die Frage in den Raum: „Wer will nicht glücklich werden? Wer wünscht sich nicht ein Gelingen seines Lebens?“ Dazu führte er aus: Das wollen ausnahmslos alle. Und wer daran zweifelt, dass es ihm möglich ist, möchte in letzter Konsequenz nicht weiter leben. Die drei großen westlichen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam kennen in ihrer Tradition eine Erzählung von einem Weltgrund, der nicht grau und abgründig, sondern als Person angesehen wird und den sie Gott nennen. Sie glauben weiter, nicht zu dessen Unterhaltung ins Dasein gerufen worden zu sein, sondern Leben als Geschenk empfangen zu haben. Mit uns hat er weitere Lebewesen ins Dasein gerufen, Tiere und Pflanzen samt Design, ausgestattet mit Fahrplänen, wie Leben prinzipiell gelingen kann.
Der Sinai Code
Die sogenannten Gebote seien Anweisungen zum Glücklich sein, so Müller, „für uns, da wir es offensichtlich nicht einfach sind. Die Tafeln vom Sinai ergänzen den genetischen Code, ich nenne ihn deshalb den Sinai Code, nicht auf einem Zettel, sondern auf steinernen Tafeln, das waren damals die üblichen Speichermedien. Als im Leben Aufgewachte, Ansprechbare und nach dem Glauben der Offenbarungsreligionen auch Angesprochene sollten wir diesen Code lesen, auch auf die Risiken und Nebenwirkungen hin, auf die in jedem Beipackzettel hingewiesen wird. Unser genetischer Code besitzt im Gegensatz zu dem anderer Lebewesen enorme Freiheitsgrade.“
Gott habe in einem unergründlichen Entschluss verfügt, dass neben seinem eigenen Schöpferwillen auch Raum für einen geschöpflichen Willen sei. Gott habe extra einen Raum „ausgestemmt“, im damaligen Weltbild zwischen den Wassern über und unter der Erde, in dem dieser Wille gelten sollte. Gott halte sich in unbegreiflicher Weise zurück und lasse den Menschen agieren wie einen Gott in seiner kleinen Welt.
Spieler auf dem Spielfeld zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit
Zeit und Raum würden also in der hiesigen Welt keine endgültige Bleibe darstellen. Die Menschen seien Spieler auf dem Spielfeld zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit. Deshalb sollten sie versuchen „im Letzten“ geborgen zu sein um im „Vorletzten“ gelassen sein zu können. Gelassenheit sei ein wichtiges Merkmal von Glück.
Natur und Person nicht trennen
Unterhaltsam und hintersinnig, aber auch herausfordernd waren die Formulierungen, die Helmut Müller seinen Zuhörern entlang der 10 Gebote zumutete. Z.B. zum vierten Gebot: „Warum soll ich mich auf meine nächste Herkunft besinnen und mich um meine Zukunft sorgen?“ Dabei gelte – fuhr Müller entschieden fort: Niemals die Komponenten Natur und Person zu trennen, wie viele Sexualpädagogen das heute tun würden. Aus einem Jemand dürfe kein Etwas, keine Sache werden. Sachen könne man tauschen, kaufen, stehlen oder rauben, allerdings auch schenken. Allein Letzteres sei der angemessene Umgang mit Sexualität und Liebe. „Trenne Sexualität nie von ihrer himmlischen Herkunft. Die Risiken und Nebenwirkungen könnten höllisch werden“, mahnte Müller.
Die Klarheits- und Wahrheitsdiskrepanz zwischen Reden und Tun
Zu Gebot sieben und zehn formulierte Müller: „Warum will ich immer Etwas und weshalb soll ich es niemandem wegnehmen?“ und seine Ausführungen zum 8. Gebot standen unter der Überschrift: „Weshalb dränge ich nach Klarheit und Wahrheit, aber weshalb fällt es mir so schwer, klar und wahrhaftig in meinem Reden und Tun zu sein?“
Müller gab sich überzeugt, heute hätten sich Aussagen von Fakten gelöst, verdrehten sie oder hätten keinen Bezug zu ihnen. Schon aus Kardinalszeiten stamme von Papst Benedikt das Wort: „Der Kern der heutigen Krise ist der Verzicht auf Wahrheit.“ Donald Trump, Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan und hiesige Adepten sprächen Bände, so Müller. Er forderte die Zuhörer auf: „Sie merken wir verlieren uns in Absurditäten, wenn wir für unser statistisches Verhalten, hier und da zu mogeln oder zu lügen eine rechtfertigende Regel suchen. Ich denke, man lebt besser damit, zu bekennen, zuzugeben, das war falsch, da habe ich Mist gebaut, als mit Winkelzügen alles so zu drehen, damit es doch noch stimmt.“ Das gelte im Übrigen für alle Verstöße gegen die Anweisungen auf den zwei steinernen Tafeln, die er vorausgehend dargestellt habe.
Was braucht man alles für eine erfüllende Pensionszeit ... (Foto: M. Brand, focus-vallendar.de)
Mit Freunden aus dem Familienkreis anstoßen auf den Beginn einer neuen Zeit (Foto: M.Brand, focus-vallendar.de)
Prof. Dr. Rainer Schwindt (r) dankt Dr. Helmut Müller für seine langjährige, kompetente Arbeit (Foto: M.Brand, focus-vallendar.de)
Impressionen von einer kurzweiligen Abschiedsfeier auf dem Campus der Uni Koblenz (Foto: M.Brand, focus-vallendar.de)
Keine Scheu Stellung zu beziehen
Spätestens am Ende seiner engagierten Vorlesung war jedem Zuhörer klar geworden, dass Dr. Helmut Müller niemals nur theoretisch lehrte, sondern sich nicht scheute und nicht scheut, Stellung zu beziehen und Missstände klar beim Namen zu nennen. Gott ist für ihn kein ferner Gott, über den man theoretisieren kann, sondern ein naher, den Menschen leidenschaftlich liebender Gott, der sich einmischt, aber dem Menschen auch freie Hand lässt, sich einzumischen und zu gestalten, auch auf die Gefahr hin, dass er völlig falsch und zerstörerisch handelt.
Familienkreis „sprengt“ Vorlesung
Kaum hatte Müller am Ende seiner Vorlesung die Frage gestellt, ob jemand noch Fragen habe, er würde sie gerne beantworten, erhoben sich sechs Männer aus seinem Vallendarer Familienkreis und erleichterten ihm den Übergang von seiner aktiven Lehrzeit in die nun anstehende Pensionierung. Zum Warmlaufen ein Trenchcoat-Mantel mit großen Taschen, in die nacheinander ein Hämmoriden Kissen, Medizinflasche Doppelherz, Taschenlampe, Bierflasche und Zeitschrift wanderte, alles unerlässliche Gegenstände, um einer vergnügten Pension entgegenzusehen. Helmut Müller meinte lachend, seine Vorlesung sei noch nie gesprengt worden, aber heute zum Abschluss müsse er das erleben.
Authentisch Leben weitergegeben
Prof. Dr. Rainer Schwindt, Professor für biblische Theologie, dankte Helmut Müller zum Abschluss für seine langjährige, kompetente Arbeit. Er habe unzählige Studenten geprägt und brauchbare Werkzeuge für ihren Lehrerberuf an die Hand gegeben. Besonders bewundere er, wie authentisch Müller gelebt und gelehrt habe. Er habe Stellung bezogen und das, was er lehrte auch gelebt. So habe er wirkliches Leben weitergegeben, Werte, die den Menschen in seinen verschiedensten Lebensphasen Halt geben. Gerade dadurch, dass er sich nicht nach Mode, ständiger Toleranz allem und jedem gegenüber oder gerade beklatschten Werten ausgerichtet habe, sei er den Studenten ein verlässlicher, angesehener und wegweisender Lehrer gewesen.
Ins Studentenbistro eingeladen, wo man sich- wie könnte es anders sein - mit dem Codewort: „Sinai-Code“ leckeres Trinken bestellen konnte, kamen Studenten, Professoren und Gäste, unter denen auch einige Familien aus dem Schönstatt-Familienbund waren ins Gespräch und es wurde noch lange gelacht, gesprochen und gefeiert.