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18. März 2017 | Delegiertentagung2017 | 

„Zeitergriffen und zeitüberwindend“ – Bündniskultur mit Leidenschaft


„Zeitergriffen und zeitüberwindend“ – Bündniskultur mit Leidenschaft

Pater Ludwig Güthlein

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18. März 2017

 

Disposition

A) „mit Leidenschaft“: Die Bedeutung der emotionalen Kraft

  • Video: Permakultur/Mikrofarmen – Filmausschnitt aus „Tomorrow – die Welt ist voller Lösungen“

B) „ergriffen“

  • zeitergriffen            
    – und zeitüberwindend
  • projektergriffen       
    – zwischen Über- und Unterforderung
  • schönstattergriffen
    – und der Zusammenhang von Identität und Weite
  • gottergriffen            
    – vom persönlichen und gemeinsamen Beten

C) Zeichen der Zeit auch beim Blick in den Kalender?

  • Bischofssynode 2018: „Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsunterscheidung“
  • 15.9.2018: 50 Jahre Heimgang Pater Kentenichs

 

 

Auch von meiner Seite einen guten Morgen an diesem Bündnistag!

Ich weiß nicht, ob Sie irgendeine Vorstellung hatten, als Sie den Titel gelesen haben, was jetzt kommen könnte. – Aber es haben mich irgendwann mal diese beiden Worte von unserem Vater gepackt, dass das in unsere Zeit hineinpasst, in unsere Situation, in der wir als Schönstatt-Bewegung in Deutschland stehen, dass wir eine besondere Art des Umgangs mit der Zeit entdecken, noch mal neu spüren, nämlich einen, der von der Emotion mitgetragen ist.

A) „mit Leidenschaft“: Die Bedeutung der emotionalen Kraft

Wenn wir in unsere Zeit hineinschauen, dann ist Emotion und Stimmung so eine Sache. Das ist ja Thema bis in die Politik hinein. Man spricht von Psycho-Politik. Man weiß bei keiner Wahl mehr vorher, wie sie ausgeht, weil sich die Stimmung ziemlich schnell ändern kann. Wir leben in einer Welt der Werbung – die Werbung funktioniert über die Emotionen, durch keine Inhaltsangabe, wie genau ein Auto zusammengebaut ist. Emotionen bestimmen die Gesellschaft. Populismus ist über weite Strecken ein Spiel mit Emotionen. Ich glaube, wir müssen die besten Kräfte, die darin stecken, für uns heben und damit in Kontakt sein, was das für uns als geistliche Bewegung, für uns als Schönstatt und auch für uns selber als Person und Mensch heute bedeutet.

Ich dachte, wir lassen mal den gestrigen Tag – da haben wir so viel erlebt – unter diesem Gesichtspunkt auf uns wirken. Ich zähle die Schritte des gestrigen Tages auf – nur mit der Frage: Wie hat sich das angefühlt? Hat mich das aufgerichtet, froh gemacht, oder hat mich das ein bisschen runtergedrückt, irritiert, ich wusste nicht ganz, wo ich bin? Nur mal: Wie war meine innere seelische Situation in dem Moment?

Also: Wir haben angefangen, wir haben in unsere Gliederungen und die Jahresparolen geschaut, in die Strömungen. Und dann haben wir die vier Start-ups erlebt. Wir haben am Nachmittag Impulse bekommen zu Zeichen der Zeit mit dem Vortrag von Dr. Daniela Mohr-Braun – ganz aus diesem Bemühungsvorgang heraus, sage ich mal, der Synode, des Suchens nach Wegen. Wir haben Herrn Schmitt erlebt als dynamischen Politiker unter uns mit einem Beitrag, den wir vielleicht auch überraschend erlebt haben. Wir haben Lieder gehört, wie vielleicht noch nie in dieser Runde, ein bisschen Kabarett. Wie reagiert man auf so was, wenn man so von hinten durch die Brust ins Auge etwas mitgeteilt bekommt? Nur: Wohin zieht mich das? Wie reagiere ich? Ich glaube, wenn wir dafür einen Blick gewinnen, dann ist das ein ganz wichtiger Beitrag für unsere Arbeit, für das, was wir tun als Schönstatt-Bewegung. Das Ansprechen von Emotionen ist die Quelle jeder Manipulation und es ist die Quelle des besten Strebens, das in uns Menschen steckt. Ich glaube, unser Gründer war sehr fähig, diese Herzenskräfte wachzurufen, aber eben nicht auszubeuten und zu manipulieren, sondern zu wecken und auf das Ziel des Lebens hin, auf Gott hin, auf Heiligkeit, auf die Verwirklichung meiner Berufung zu lenken. Und wenn man solche Impulse bekommt, dann möchte man reagieren, diskutieren. Und dafür haben wir dann heute nach meinem Vortrag Zeit, dass man dann hineinkommt und überlegt: Was kommt jetzt von mir dazu?

Schwester M. Anastasia hat mir von der Jugendseelsorgekonferenz der „afj“ (Arbeitsstelle für Jugendpastoral der Deutschen Bischofskonferenz) erzählt, wo ein Personalentwickler, David Kitzinger aus Luxemburg, für ein Referat eingeladen war – ein sogenannter Headhunter, der interessante wichtige Leute für Firmen sucht, die in der oberen Etage mithelfen –, und der hatte diesen Jugendseelsorgern die Frage gestellt: Wie erleben Sie die heutige Jugend? Ein Thema, das er als Personalentwickler in den Firmen in dieser oberen Etage bespricht. Welches Symbol würden Sie den Jugendlichen geben? Das können Sie mal kurz überlegen.

Der hat natürlich selber auch eine Antwort gegeben. Sein Symbol für diese Jugend, wie er sie im Beruf in den Firmen erlebt, die jungen Menschen, die jungen Erwachsenen, die jetzt neu einsteigen in diesen ganzen Prozess – er würde das Symbol Herz für diese jungen Menschen nehmen; nicht Kopf. Auf Kopf wären wir wahrscheinlich auch nicht gekommen. Aber Herz, ein so positives Wort über die innersten Kräfte, die im Menschen stecken. Das muss man verstehen, dann versteht man diese Generation und dann versteht man die Zukunft. So jedenfalls dieser Berater.

Ich habe noch mal die Bilder herausgesucht von den Windrädern, damit man auch ein kaputtes Windrad sieht. – Man glaubt es fast nicht, dass diese Windräder so leicht zu verbiegen sind. Und das ist der Unterschied, ob es richtig im Wind steht oder eben nicht rechtzeitig so gedreht wird, dass es richtig im Wind steht. Interessanterweise erleben wir die Kraft oft stärker, wenn wir die Zerstörung sehen, und die selbe Kraft, die in der Lage ist, Energie ganz positiv ständig zu liefern – das sieht man nicht, es steht halt da und funktioniert. Das ist oft so, und deswegen schauen wir mehr auf das, was uns deutlicher bewegt.
Zu diesem Anliegen, mit Leidenschaft auf das Leben zu schauen oder sie wachzurufen, mit ihr verbündet zu sein, dafür hat mir gestern Abend Schwester M. Thomasine noch mal das Wort gegeben von unserem Vater, wo er ihr immer wieder neu nahegebracht hat: Gott will unser Herz, nicht alles Mögliche, was wir aufzählen können, was wir tun, was wir machen. Er will unser Herz. Er will das, was wir sind.

Als methodischen Aufhänger für diese Überlegungen, diese vier Schritte, die Sie auf dem Handout sehen, möchte ich einsteigen mit einem kurzen Film, und zwar hatte ich beim Oktobertreffen erzählt von einem Film, der die ökologische Perspektive der Welt im Blick hat, der den Titel hat: „Tomorrow (morgen) – die Welt ist voller Lösungen“. Das Interessante an diesem Film ist, dass es um die große ökologische Herausforderung geht und so auch anfängt – man meint, es kommt ein Drama nach dem andern, und dann ist es eine Erzählung von vielen einzelnen Projekten. Wir sehen einen Film-Clip von fünf, sechs Minuten, und der Film besteht aus zehn, zwölf Beispielen, wo Menschen etwas tun in diesem Kontext. Und hinterher bekommt man eine Energie in sich, dass man für diese Zukunft der Welt etwas tun muss. Ich hoffe, dass ein bisschen was von dem in diesem Clip drin ist, den wir jetzt sehen. Versuchen Sie mal, alles mitzubekommen. Eigentlich hatte der einen Untertitel. Weil der aber sehr schnell ging, haben wir ihn synchronisiert, und wenn ich wir sage, heißt das eigentlich: Herr Brehm. Und weil im Film Französisch gesprochen und schnell gesprochen wird, musste er auch ganz schnell Deutsch sprechen. Also hören Sie gut zu und lassen Sie das auf sich wirken. Es geht um sogenannte Mikro-Farmen, hochproduktive Mikro-Farmen.

Video: Permakultur/Mikrofarmen – Filmausschnitt
aus „Tomorrow – die Welt ist voller Lösungen“

(Wenn Sie diesen Film-Ausschnitt - 7 Minuten, deutsch synchronisiert - bei einer Veranstaltung einsetzen möchten, können Sie bei webmaster@schoenstatt.de per Mail einen Download-Link anfordern. Bitte geben Sie Ihre vollständige Adresse sowie den genauen Einsatzzweck an.)

Auf einem Zehntel der Fläche wird das produziert, was mit Traktor die zehnfache Fläche braucht. Ich möchte diese Freude, die darin liegt, wenn man diesen Videoclip anschaut, anwenden auf die vier Schritte, die vier Themen, die ich vorhabe.

B) „ergriffen“

Als Überschrift, als verbindendes Wort steht: ergriffen, ergriffen sein. Das kommt relativ oft bei unserem Gründer vor, in vielen Zusammenhängen. Wenn wir vom Zentralwert sprechen, dann geht’s um das, was ergreifen kann, was nicht einfach bloß richtig ist, sondern was diese innere Schicht in der Zeit, in uns, in den Menschen erreicht. Die Kraft des Windes einfangen, die Zeichen der Zeit verstehen, was in der Zeit, in den Menschen, in der Kirche, in Schönstatt da ist, dass es Bewegung, Kraft entfaltet.

Die Landschaft, in die der Wind hineinbläst, sind wir. Wir sind Menschen, wir sind in der Zeit, wir sind in der Kirche, wir sind in Schönstatt. Wir sind zusammen als Delegiertentagung, weil wir die Kompetenz haben, wenn wir es gut machen, diesen Wind und die Stellung des Windrads herauszufinden, und das ist die Aufgabe des heutigen Tages. Und alles, was hier an Impulsen von vorne her gesagt wird, was wir dann auch einander in der Gruppe sagen, soll dabei mithelfen.

Zeitergriffen und zeitüberwindend

– der erste Abschnitt. Wissen Sie noch, worum es geht bei diesem Videoclip für die Betreiber der Mikrofarm, der Permakultur? Worum geht es? Was ist das Ziel?

Die Menschheit ernähren. Nicht weniger als das. Wir wollen etwas tun, an dem sichtbar wird, so kann in Zukunft die Menschheit ernährt werden. Ein Zehntel-Hektar wird bearbeitet – wir wollen etwas tun, dass die Menschheit ernährt wird. Ich glaube, wir spüren und wissen das vielleicht, das ist sehr nahe zu Dingen, die unser Gründer uns immer wieder gesagt hat. Zeitergriffen sein, sendungsergriffen sein hat etwas damit zu tun, was man tut, was man lebt, mit dem Aktionsradius, den man hat, in einer großen Perspektive sehen zu können. Auf dem Text, auf der Rückseite des Papiers – ich lese nicht den ganzen Text vor –, kommt eine Stelle, wo unser Gründer von Sendungsergriffenheit und Zeitergriffenheit spricht, der letzte Abschnitt lautet:
„Wir müssen in uns erneut das Bewusstsein stärken, dass wir in einer Zeit leben, in einer Zeit stehen, in der die Würfel für Jahrhunderte fallen. Deshalb müssen wir ergriffen sein von der Zeitbedeutung. Für Jahrhunderte wird jetzt das Gesicht bestimmt. Was weckt das Leben, auch wenn ich im kleinsten Kreise arbeiten muss, denn Jahrhunderte werden von der Art und Weise zehren, wie wir die Zeit prägen helfen. Zeitenstimmen sind Gottesstimmen!“ (Kentenich, 1951, Chile)

Wenn wir diesen Video-Clip anschauen und hören, die wollen etwas tun, womit man die Menschheit ernährt, dann klingt das richtig gut. Wenn wir sagen, wir tun etwas für Jahrhunderte, dann haben wir das Gefühl: Geht’s nicht ein bisschen kleiner? Muss man da mit solchen Ansprüchen kommen? Das sind keine Ansprüche, es ist die Frage, ob ich das, was ich tue, in einem Zusammenhang, in einer Perspektive sehen kann.

Zeitergriffenheit und Schönstattleben im Modus der Zeitergriffenheit, das ist das, was wir uns erhoffen. Wenn wir genauer hinschauen, dann ist unsere Zeit durchsetzt von sehr unterschiedlichen Themen. Zuerst wollte ich viel über Europa sagen und dann dachte ich, es ist zwar ein äußerst spannendes Jahr und man ist manchmal ein bisschen wie das Kaninchen vor der Schlange: Was wird wohl passieren, wie werden die Wahlen ausgehen? Aber ich merke, es regt mich langsam auf, wie die Stimmungen hin und her gehen – vor der Wahl in Holland war die Frage: Vielleicht zerbricht die EU, dann wieder: Es wird schon gut werden … Es ist unglaublich! Das ist das, was mit Stimmungen passiert. Man wird hin und her geworfen und verliert vielleicht den Blick, der den größeren Zusammenhang herstellt. Wissen Sie noch, welche Sorge Herr Schmitt gestern formuliert hat bei seinem sehr zuversichtlichen, positiven Bild, das er uns von der Entwicklung der Welt gemalt oder dargelegt hat? Was macht ihm Sorge? Dass wir die Fähigkeit verlieren, das Grundlegende und Längerfristige wahrzunehmen. Wir leben in einer Wahrnehmung, die nicht der Wirklichkeit entspricht. –

Es wäre ja nicht schlimm, wenn wir ein bisschen dumm bleiben, aber die Wirkung ist, dass wir die Kraft verlieren, uns einzusetzen.

Das Thema Wahrheit, das so viel diskutiert wird – wir erinnern uns auch an Lieder, die wir dazu gehört haben, postfaktische Lieder –, dieses Thema kann man viel diskutieren. Die Wahrheit hat ausgedient, hieß es in einem der Liedtexte. Aber wann hat das eigentlich angefangen, als die Wahrheit uns verlorenging? Ich möchte einen kleinen Test machen – es geht mir jetzt nicht ganz um den Inhalt. Ich habe herumgegoogelt, aber auch nicht so ganz viel gefunden, um sicher zu verstehen, worum es geht. Also Folgendes: Wir wissen alle, dass der neue Präsident Trump die Krankenversicherung wieder zurückgedreht hat, diese Entscheidung unter dem Titel Obamacare, eine allgemeine Versicherung, ein soziales Projekt, dass alle Zugang haben zur Krankenversicherung. Eine Frage, die ich Ihnen stelle: Haben Sie mal gehört, dass es eine große Diskussion in den USA gab, vor allem von den Kirchen her, zu Obamacare, weil in der Art, wie das strukturiert und finanziert war, nach der Meinung der Kirche eine Nötigung entstand, auch Abtreibungen mitzufinanzieren? Und in den USA ist ja vieles über Stiftungen und katholische Krankenhäuser geregelt. Haben Sie das mal gelesen? Es würde mich interessieren, wie viele das gelesen haben.

Ich habe es wahrgenommen durch ein Gespräch, in dem mich einer darauf aufmerksam gemacht hat, und dann nachgelesen. In der Berichterstattung, die ich so aufnehme, habe ich das nicht wahrgenommen. Wann fängt das mit dem Wahrheitsverlust an? Das wäre jetzt die Frage. Ich habe vielleicht durch das Beispiel Trump etwas gesagt, was uns ablenken kann, aber die Frage nach dem: Wie viel – unser Vater würde sagen – Sicherheit oder Halt in einem klaren Wissen haben wir?

Ich habe vor diesem Vormittag noch zu Professor Söder gesagt: Achtung, ich werde etwas über die Philosophen sagen – ich hoffe, dass er mir nicht gleich entgegenspringt. Wann hat das angefangen, dass wir die Wahrheit, das gesicherte Wissen, einen Halt haben, eine Klarheit haben, ich habe es so formuliert: aufgelöst haben in einen wahrheitslosen Dauerdiskurs, eine Dauerkonstruktion? Wenn man den Philosophen sagt, dass sie vielleicht etwas mit dem Problem Trump zu tun haben, dann gibt es wahrscheinlich keinen, der mich nicht angreifen wird. Aber wann fängt das an und wie reagieren wir auf eine Kultur, die da mittendrin steht? Wie schaut die zeitüberwindende Verarbeitung von Halt in einem sicheren Wissen haben aus? Wenn unser Vater den Bindungsorganismus beschreibt, das, was wir auch Bündniskultur nennen, hat das auch diese Seite einer Ideengebundenheit, einer Gebundenheit an Werte, einen Halt in einem Verstehen der Welt. Es ist nicht ein Mosaik aus: wogegen ich bin, mit dem ich lebe, sondern eine genügende Klarheit, wofür ich lebe. Zeitergriffen, zeitüberwindend.

Wenn wir das aufnehmen, was wir erleben, ist der nächste Schritt dieser Unklarheit, Unsicherheit, wo jetzt mal das Wort Wahrheit dafür stand, dass eine Angst, eine Bedrohungsangst entsteht und geschürt wird. Wir wollen Leidenschaft, keine Emotionalisierung, mit der man spielen kann. Wir wollen, dass das eine überwindende Blickrichtung hat, nicht eine, die uns immer vor neue Mauern stellt. Ja, was ist zeitüberwindend? Das hat mich beschäftigt. Wenn ich die Landschaft so anschaue, bin ich zu dem gekommen, was ich im Oktober schon mal angefangen habe. Ich hatte Ihnen auch diesen Text von unserem Vater aufgeschrieben, das Wort von der Pendelsicherheit. Aber mir kam ein weiterer Gedanke dazu, und den möchte ich sagen. Deswegen – lassen wir diese Verse noch mal auf uns wirken, wo unser Vater von Pendelsicherheit und Pendelungewissheit spricht:

„Um Pendelsicherheit in Gott zu üben
und Pendelungewissheit froh zu lieben,
ist es bei Jesuiten eingeführt,
dass jeder ohne Geld ‚gesendet‘ wird.
Vier Wochen lang durchziehen sie zu zweien
durch unbekannter Gegend ferne Reihen,
ganz angewiesen auf die milde Hand,
die ihnen öffnet sich im fremden Land.
Wir brauchen solche Mittel nicht zu suchen;
wir können Ungewissheit so schon buchen,
die uns das Leben schwer macht jederzeit,
auch wenn der Friede Ruhe uns verleiht.
Es heißt nur zielbewusst die Mittel nützen,
um die Persönlichkeit im Kern zu schützen,
um sie zu formen tief und stark und groß,
dass stets sie meistert jedes Lebenslos.“ (Kentenich, 1943, Dachau)

Pendelsicherheit. Ich habe bei mir gemerkt, ein tolles Wort, ich bin ganz dafür, habe aber plötzlich überlegt: Wie übt man eigentlich Pendelsicherheit? – Ich habe für mich das Wort gefunden: Wie wird man pendelfähig? Ich weiß nicht, ob man das sagen kann. Wie wird man fähig, bei Erschütterungen immer wieder in das Pendel Ruhe zu bringen, wie übt man das? Ich glaube, es geht in unserer Zeit darum, solche Übungen zu finden. Vielleicht kommt noch im letzten Punkt etwas dazu: Wie komme ich immer wieder in die Pendelruhe? Also das ist nicht nur eine Behauptung und Pendelsicherheit ist ein schönes Wort, sondern ich glaube, es ist ein Wachstumsvorgang, an dem man etwas tun kann. Wie lebe ich mich hinein in Pendelsicherheit?

Projektergriffen – zwischen Über- und Unterforderung

Ein zweites Ergriffenheits-Stichwort möchte ich sagen: Projektergriffen habe ich das genannt – zwischen Über- und Unterforderungen. Ja, projektergriffen, das war bei diesem Video schön zu sehen: Man hat diesen Zehntel-Hektar, man will den gar nicht vergrößern, den will man entwickeln und freut sich, was da gelingt. Die Frau sagt an der einen Stelle: Wie ich als Juristin gearbeitet habe, war das zwar auch anspruchsvoll, aber jetzt die Sprache der Natur zu lernen, was da alles ineinandergreift, das fordert mich intellektuell genauso. Alles, was sie kann, fließt hinein in dieses Projekt.

Gestern hat Dr. Daniela Mohr-Braun von dem Wort „charismenorientiert“ geredet. Das, was in mir als Fähigkeit, als Charisma, als Begabung steckt, das in etwas hineinfließen lassen. Als ich den gestrigen Tag für mich habe vorbeigehen lassen – ich weiß nicht, ob es Ihnen auch so ergangen ist: Die vier Start-ups, die wir gehört haben am Vormittag, die haben mich am meisten nach oben gezogen. Nach denen habe ich gedacht: Wow, wir reden von Neugründung, und eigentlich läuft die schon. Projektergriffen ist etwas, was eine Zwischenwirklichkeit ist zwischen Über- und Unterforderung. Die Überforderung liegt in dem irgendwie alles zu wollen und zu müssen und zu sollen, und die Unterforderung ist, wenn ich gar nicht weiß, wo das konkret wird, und auch dann werde ich sehr unzufrieden, wenn ich mich nicht an einer Stelle investieren kann.

Gründergeist, Gründungsmentalität, das hören wir vielleicht spontan im Blick auf unseren Gründer, aber es ist etwas, was in der Zeit liegt. Viele Kommunen haben einen Gründungsbeauftragten, einen, der Personen hilft, die etwas in den Stil stoßen wollen. So erneuert sich, so entwickelt sich Gesellschaft, und so erneuert und entwickelt sich auch Schönstatt. Das Bild von der Permakultur hat mir sehr gut gefallen, obwohl das zum Beispiel sicher nicht mein Charisma wäre, bei mir gehen alle Pflanzen kaputt. (Die haben nur eine Überlebenschance, wenn sich Sr. Marie-Siegrun um sie kümmert.) Aber ich bin neidisch auf diese Permakultur mit dem Zehntel-Hektar. Eine Sache ganz machen können! – Da, wo ich jetzt was zu tun habe, ist das mit der einen Sache nicht ganz so einfach. Und trotzdem projektergriffen, ich brauche etwas, woran ich innerlich hänge, und dann kann ich viel tun, was auch noch dazukommt.

Gut. Vielleicht noch das, was unser Gründer auch oft gesagt hat: Ein Werk wird durch die Kräfte am Leben erhalten, aus denen es geboren ist, mit denen es gegründet wurde. Das gilt auch für viele kleine Realitäten unseres Werkes, für Schönstattzentren zum Beispiel. Es gab eine Person, es gab Personen am Anfang eines Gründungsvorgangs, die dafür leben und sterben wollten, die haben – ob mit kluger Einsicht oder nicht –, aber die haben dafür gelebt, und dann ist es entstanden. Kann es gehen, ohne dass es immer wieder so eine Person gibt? Wahrscheinlich nicht. Oder ein paar, die sich unterstützen. Eine Ergriffenheit für etwas Konkretes.

Schönstattergriffen – und der Zusammenhang von Identität und Weite

Nächster Schritt – vielleicht das ungewöhnlichste Wort –, schönstattergriffen habe ich das genannt. Und der Zusammenhang von Identität und Weite. Wenn ich an das Video anknüpfe, dann ist das dieser Früchtewald. Die Natur kennt keine Monokulturen, es ist immer eine Vielfalt von Pflanzen, die sich gegenseitig brauchen und unterstützen und die eigentlich durch diese Vielfalt am Leben bleiben.

Wir haben hier das Bild von Memhölz (vom 7.9.1966), wo unser Vater mitten hineingeht ins Gewühle. Für mich hat es diese Kraft, die in der Vielfalt zusammenkommt, die ihn in der Mitte hat, die etwas erlebt, wo Freude, Liebe, Sympathie, Miteinander spürbar sind und spürbar bleiben, auch wenn man aus dieser Stube wieder nach Hause gefahren ist, weil es eine tiefe Qualität hat. Unsere Antwort auf die Zeit hat etwas zu tun mit dem, wie wir als ganze Bewegung in dieser Energie des Miteinanders leben können. Wenn ich mir solche Leute vorstelle, da kann doch Trump so viel twittern, wie er will, das erschüttert die überhaupt nicht. Wir brauchen ein Dazugehören, eine eigene Welt, in der wir leben und die in uns lebt, wenn wir die heutige Zeit bestehen wollen.

Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, was ich eigentlich zu tun habe von der Zentrale aus für die ganze Bewegung, dann erinnere ich mich, dass ich von unserem Gründer immer wieder das Wort gelesen habe: Es kommt darauf an, im Lebensstrom zu bleiben. Wenn man nicht im Lebensstrom bleibt, dann verliert man die Kraft, die Freude, die Energie, und es stirbt in einem etwas. Ja, wie schaffen wir das in unserem deutschen Land mit so viel Föderalismus?

Wir hatten eine Begegnung mit dem ehemaligen Bewegungsleiter von Chile, mit Pater Mario Rome­ro, der hat uns erzählt, dass in Chile die Blickrichtung nach Santiago geht.

Wir leben in einem Land, wo alles überall ist. Wie gelingt es uns, in einem Lebensstrom zu sein? Ich glaube, unsere Parole ist ein großes Geschenk gewesen, das uns durch die letzte Delegiertentagung gemacht wurde und woraus sie dann ja entstanden ist. In einem Text – ich fasse ihn mit eigenen Worten zusammen –, wo es um dieses Thema geht: Identität und Weite, zählt unser Gründer fünf Punkte auf, auf die es jetzt ankommt. Das war 1951. – Wie ist das, wenn man einen Text von 1951 zitiert und dazu „jetzt“ sagt? Man muss schauen – man hört ihn und vielleicht merkt man, das ist wirklich jetzt, nicht bloß ein Jetzt von 1951. Aber wir hören uns das mal an: Also fünf Stichworte, fünf Dinge, auf die es ankommt:

  1. Uns vorsichtig abschirmen gegenüber extremen Strömungen – vorsichtig abschirmen, extreme Strö­mungen.
  2. 2. Geschlossen bleiben. In die Schule unserer Familiengeschichte gehen – also in der eigenen Welt leben.
  3. Uns wieder stärker zusammenfinden, einander in den Aufgaben unterstützen, einander helfen und uns helfen lassen.
  4. Wir müssen uns weiten. Alle Gliederungen sollen sich weiten. Und
  5. wir müssen unsere ganze Familie hinordnen zur Kirche hin, zu den Hirten, die wir als Väter der ganzen Diözese sehen, zunächst aber als unsere Väter – also mit der Kirche.

Als ich diese Punkte gelesen habe, dachte ich, welchen nehme ich jetzt von den fünf, der für uns passen könnte? – Die Sache mit dem Weiten ist immer gut, gefällt mir. Oder doch: in der eigenen Welt leben? Passt mehr das oder mehr das? Und je länger ich das auf mich wirken ließ, habe ich gedacht: Ja, vielleicht will unser Vater gerade nicht das eine mehr und das andere weniger, sondern dass das irgendwie gleichzeitig mehr wird. Diese Freude an der eigenen Welt, in der wir leben, die wir in uns haben, und die Weitung und das Interesse an allem, an allen Menschen und an allem, wofür wir von Schönstatt etwas geben können und wollen. Jeder in seinem Projekt.

Schönstattergriffen. In der Frage, wie wir uns im Ganzen erleben, fand ich die Jahresparolen der Ju­gendgemeinschaften sehr beeindruckend. Ich weiß nicht, ob ich etwas überinterpretiere. Die Jugend sagt uns: Wir wollen kein in Themen aufgesplittertes oder aus allem Möglichen, was wir wollen, zusammengesetztes Schönstatt. Das Ganze wollen wir, wir wollen Schönstatt. Und das muss Kraft haben, das darf Kraft haben, das inspiriert. Im Leben muss man es ganz klein ausbuchstabieren, klar, da gibt es ganz viele Kleinigkeiten, wie das dann heißt. Aber es gibt so ein gemeinsames Daheimsein, gemeinsames Dazugehören, eine Freude an diesem Ganzen.

Gottergriffen – vom persönlichen und gemeinsamen Beten

Ein fünftes Stichwort heißt: gottergriffen. Da habe ich mich mit der Anknüpfung am Video ein bisschen schwer getan.

Es ist ja interessant, dass die ökologische Bewegung, die von Schöpfung spricht, eigentlich ganz nahe sein könnte zum Religiösen. Und doch hat sie nicht ganz ihre Heimat dort gefunden. Die Enzyklika von Papst Franziskus über die Schöpfung hat dem Anliegen eine Stimme im Raum kirchlicher Dokumente gegeben. Ich weiß nicht, ob dieses Schreiben an uns heranging oder mehr an uns vorbeiging.

Diese einleitende Überlegung über die Nähe der ökologischen Frage zum Glauben und zu unserer Spiritualität will ich jetzt nicht wirklich vertiefen. Es ist mehr ein Aufhänger für die weitere und grund­sätzlichere Frage, die ich mit dem Stichwort „gottergriffen“ ansprechen möchte.

Ich möchte die Frage viel umfassender so stellen: Wie gottergriffen ist das, was wir leben und tun? Und ganz heruntergebrochen auf die Konkretisierung: Wie ist das mit unserem persönlichen und gemeinsamen Beten? Ich bin auf diesen Punkt gekommen und möchte ihn deshalb zum Thema machen bei der Suche nach den Zeichen der Zeit.

Manche Entwicklungen in unserer Bewegung deuten für mich in diese Richtung.

Einen solchen Hinweis hat Pater Lothar Herter gestern Vormittag schon einmal angesprochen: Niemand von der Krankenliga kann bei unserem Treffen dabei sein. – Die Krankenliga hat mir einen Brief geschrieben, dass sie die Organisation beenden will, weil sie das nicht mehr leisten kann. Es gibt in den Regionen zwar einiges an Personen und Gruppen und es wollte doch jemand zur Delegiertentagung kommen, aber es war dann zu beschwerlich, um teilzunehmen. Die Krankenliga ist eine Gemeinschaft, die sich ganz besonders als betende und die Opfer des Alltags für das Ganze schenkende Gemeinschaft versteht.
Ein weiterer solcher Hinweis ist für mich der Blick auf unsere Anbetungsgemeinschaften – die Patres schauen zu, wie die Mitbrüder alt werden und merken langsam: Jetzt müssen wir selber wieder beten …

Unser Vater hat sich das so vorgestellt, dass es die Aktiven gibt, und die können fruchtbar sein, weil es die Kontemplativen, die betenden Menschen gibt. Es braucht beides. Es braucht, so selbstverständlich das Gebet und das „Nichts ohne dich“ für jeden von uns auch an sich sein mag, es braucht immer wieder neu ein Suchen: Wie ergriffen sind wir von der göttlichen, übernatürlichen gnadenhaften Realität? Das gehört halt dazu. Das ist selbstverständlich, klar. Aber das war ja das Anliegen dieses Stichwortes: ergriffen. In welcher Schicht ist es wirklich zu Hause, mit wie viel innerer Kraft lebt es?

Religiosität gehört zu den diskreten und intimen seelischen Vorgängen. Es war, glaube ich, für viele von uns sehr interessant, in München sich zu erleben mitten unter diesen Lobpreisgebeten, charismatischen Gebeten, etwas unterschiedlichen Formen des Gebets auch, und zu spüren, das ist anders, als wir es kennen, aber es ist irgendwie echt und es hat so was Frisches, so was Unmittelbares, so was Ergriffenes, wenn man das Wort ergriffen jetzt richtig versteht.

Wenn wir von pendelfähig werden reden, immer wieder in die Pendelruhe kommen, dann hat das elementar mit diesem Thema zu tun. Wie lebendig, wie berührend, wie erfüllend ist geistliches Leben? Damit haben wir im Praktischen alle wahrscheinlich immer wieder auch zu kämpfen. Wie viel gelingt uns da? Das ist gar nicht so einfach, im Alltag etwas aufrechtzuerhalten. Ich glaube, wir haben vielleicht auch zu kämpfen, wie wir es als Gemeinschaft aufrechterhalten, wie unsere Form ist, wie wir das Miteinander-Beten nicht nur selbstverständlich, sondern mit einer Gottergriffenheit leben können.

Zeichen der Zeit. – Unter dem Leitmotiv „Ergriffensein“ habe ich von den tieferen Schichten gesprochen, die ins Spiel kommen sollen und dies in vier Schritten entfaltet.

C)      Zeichen der Zeit auch beim Blick in den Kalender?

Dann kam mir noch ein abschließender Punkt, dass die Zeichen der Zeit, die wir suchen wollen, wie Gott uns weiterführt, als Fragezeichen formuliert, vielleicht auch durch ein Blick in den Kalender mitsprechen können.

  • Bischofssynode 2018: „Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsunterscheidung“
    Im nächsten Jahr, im Oktober 2018, ist die nächste römische Bischofssynode, die den Titel hat: Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsunterscheidung. Unsere Jugendgemeinschaften sind damit beschäftigt. Es gibt einen Fragebogen, ähnlich wie es einen zur Familiensynode gegeben hat. Diese Dinge gibt es. Die machen das, die machen sowieso die Neugründung. Ist auch gut, wenn die das machen …
    Aber vielleicht könnte der Blick auf die Jugend auch uns allen noch etwas sagen. Zeichen der Zeit, Impuls der Zeit.
  • 15.9.2018: 50 Jahre Heimgang Pater Kentenichs
    Und das andere, was ich 2018 im Kalender finde: den 50. Todestag unseres Vaters. 50 Jahre ist ja so eine Zahl, wo unser Vater öfter gesagt hat, dass es da ums Neuwerden geht, um Neugründung, um das: nicht so einfach nur weiter, sondern da gibt es solche Erneuerungsherausforderungen.
    Es wird dann bald Zeit, dass Sie auch reagieren können auf die vielen Impulse. Es wird Zeit für Diskussion.

Einen Schlussgedanken möchte ich noch sagen, das, was wir vorhaben, nämlich hinhören und heraushören, was Gott möchte. Ich glaube, es gehört zur Mitte unserer marianischen Spiritualität, mit Maria, wie Maria in diese Offenheit zu kommen: Was will er voranbringen, wo will er, dass wir Ja sagen, wo will er den Schritt von uns? Und das in der komplizierten oder besser gesagt komplexen Vielfalt dieses Gartens, dieses Waldes, von dem wir gesprochen haben.

Jeder Beitrag ist wichtig. Jede Meinung ist wichtig, und gleichzeitig ist jeder wichtig, dass er ein Hörender ist auf die anderen und auf die inneren Führungen oder die Anregungen, die Gott uns gibt.

Ich bin richtig gespannt, wohin es heute Nachmittag geht, das kann ich sagen. Und ich freue mich sehr, dass ich jetzt Leute habe, die diese Diskussion schaukeln werden. Und so gebe ich gerne das Mikrofon weiter an Ehepaar Miller, unsere Moderatoren.

 

 


Spenden zur Unterstützung des Büros des Bewegungsleiters sind – auch gegen Spendenquittung – möglich auf folgende Konten: Schönstatt-Bewegung Deutschland –
Bank im Bistum Essen – IBAN DE 07 3606 0295 0029 6200 24 – BIC GENODED1BBE
oder Sparkasse Koblenz – IBAN DE11 5705 0120 0000 1420 91 – BIC MALADE51KOB

 


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