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18. Oktober 2016 | Oktober-Treffen | 

Begegnung mit Zukunft – Kulturen und Religionen in unserem Land


Publikum in der Aula der Anbetungskirche (Foto: Brehm)

Publikum in der Aula der Anbetungskirche (Foto: Brehm)

Hbre. Der zweite Teil des Vormittages des Oktobertreffens der Schönstatt-Bewegung Deutschland griff die aktuelle Zeitsituation auf und fragte unter dem Thema „Begegnung mit Zukunft“ nach dem Verhältnis von Kulturen und Religionen in unserem Land. Dazu erwarteten die Teilnehmer gespannt die beiden Beiträge von Prof. Dr. Joachim Söder, Aachen und Bürgermeister Christoph Ewers, Burbach, CDU.

Prof. Dr. Joachim Söder (Foto: Brehm)

Prof. Dr. Joachim Söder (Foto: Brehm)

Ein Blogbeitrag (Foto: Brehm)

Ein Blogbeitrag (Foto: Brehm)

Kultur als gemeinsam erfahrener Sinn

Professor, Dr. Joachim Söder, Philosophieprofessor an der Universität Aachen, stimmte die Zuhörer mit dem Bild Maria, Knotenlöserin aus der Augsburger Kirche St. Peter auf das Thema: Begegnung mit Zukunft – Kulturen und Religionen in unserem Land ein. Ein Bekannter, auch Philosoph, habe ihm neulich das folgende Posting geschickt: „Voll Dankbarkeit können wir heute Maria Namen feiern. Die Aufklärung, Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit verdanken wir der Tatsache, dass das Christentum die Leitkultur Europas blieb.“ Aus diesem Post seines nicht religiösen Freundes könne man klar ersehen, dass in einer Kultur Menschen verschiedener Couleur Werte miteinander teilen würden.

Kulturen seien Ausdruck gemeinsam erfahrenen Sinns, geteilte Werteüberzeugungen und fußten nicht auf genetisch biologischen Merkmalen eines Volkes oder einer Gruppe. Genau hier würde heute eine Fehlinterpretation stattfinden, erklärte Söder. Die Tatsache, dass Kulturen in gemeinsamen Sinnerfahrungen und Werteüberzeugungen gründen, führe dazu, dass sie identitätsstiftend seien. Wenn eine Kultur eine andere Kultur ablehne, werde dieses identitätsbegründende Prinzip abgelehnt.

Werben ja, zwingen nein

Vorausgesetzt, dass Kultur „gemeinsam erfahrener Sinn“ ist, könne man auch nur zu dem Schluss kommen, dass Sinn zwar angeboten oder für ihn geworben werden könne, dieser aber niemals aufgezwungen werden könne. Weil Sinn nicht aufgezwungen werden könne, gäbe es auch kein Recht auf territorial abgegrenzte Monokulturen oder Kultur Monopole. Weder nachwachsende Gemeinschaften, noch Immigranten könnten gezwungen werden, die hergebrachten Sinn- und Wertvorstellungen, Praktiken und Traditionen zu übernehmen. „Dafür werben können wir, ja! Doch das Pochen auf das christliche Abendland wird wenig bewirken“, so Söder.

Die Größe der europäischen Seele wieder entdecken

Zur Frage von manchen, ob angesichts dieser Voraussetzungen nicht die Gefahr des identitätslosen Multikulturalismus drohe, habe sich Papst Franziskus im Mai dieses Jahres anlässlich der Verleihung des Aachener Karlspreises geäußert. Europa habe in der Vergangenheit gelernt, die verschiedenen Kulturen in immer neuen Synthesen zu integrieren. Dabei sei Europa immer dynamisch und multikulturell gewesen, ein überzeugendes Beispiel einer Einheit in Vielfalt. Geradezu beschwörend habe der Papst die Deutschen aufgefordert, mitzuhelfen, die Größe der europäischen Seele wieder zu entdecken und Vorbild für neue Synthesen und im Dialog zu werden. Es sei, so Söder, die Herausforderung unserer Zeit, nach neuen Synthesen zu suchen. „Die Leitkultur des Abendlandes war stets die Integration der Verschiedenheit. Wenn Europa sich treu bleibt, wird das auch in Zukunft so sein.“

Bürgermeister Christoph Ewers, Burbach (Foto: Brehm)

Bürgermeister Christoph Ewers, Burbach (Foto: Brehm)

Ewers: "face to face ist was anderes als facebook" (Foto: Brehm)

Ewers: "face to face ist was anderes als facebook" (Foto: Brehm)

Face to Face statt facebook

Der Anknüpfungspunkt an das Thema war für Christoph Ewers, Bürgermeister von Burbach, einer 15000 Einwohner Gemeinde in Nordrhein-Westfalen, die Situation, die sich in der Gemeinde ergab, nachdem als Reaktion auf die steigenden Flüchtlingszahlen im Jahr 2015 eine Flüchtlings-Erstaufnahmeeinrichtung in Burbach geschaffen wurde, in der zwischen 500 bis 900 Flüchtlinge untergebracht waren. In dieser Frage gäbe es drei Gruppen von Menschen mit unterschiedlichen Reaktionsmustern. Zunächst die, die – erschreckend aggressiv – ablehnend reagiert hätten. Mit ihnen sei es am schwierigsten ins Gespräch zu kommen. Trotzdem sei es wichtig, sie zum Dialog einzuladen. Oft seien das Menschen, die Angst hätten zu kurz zu kommen und ihre Enttäuschung über ihre eigene Situation sei ein ideales Einfallstor für Propaganda und einfache Antworten. Obwohl es schwierig sei, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, sei ein „face to face“ bei einer Informationsveranstaltung doch etwas anderes als plumpe „Facebook“-Postings. Solche Gespräche würden diese Menschen nicht „bekehren“, aber ihre Perspektiven etwas verschieben, wenn man ihnen ins Angesicht schaue.

Die zweite Gruppe der Bevölkerung  würde ängstlich, zurückhaltend reagieren. Es seien Menschen, die sich vor Veränderungen generell fürchten würden und vor Überlastung der Sozialsysteme. Sie wären nicht ganz so ablehnend und auch lange nicht so aggressiv.

Unbefangenheit und Verständnis

Die dritte – zum Glück große – Gruppe seien die sozial Engagierten, so Ewers. Oft seien es Christen aller Kirchen, die aus christlicher Nächstenliebe handelten. Einige von ihnen wollen auch die christliche Botschaft transportieren. So hätten vor allem reformierte Christen z.B. in der Burbacher Einrichtung einen Gebetsraum erbeten. Die zuständigen Stellen hätten zunächst gezögert aus Angst, bei den fast ausschließlich moslemischen Bewohnern Unruhe zu erzeugen. Nachdem der Gebetsraum schließlich doch eingerichtet werden konnte, findet nun an jedem Mittwoch ein christlicher Gottesdienst unter großer Beteiligung auch moslemischer Bewohner statt. Nach den Gottesdiensten würden sich oft interessante Gespräche entwickeln. Die Unbefangenheit der moslemischen Bewohner dem religiös Anderen zu begegnen, sei deutlich größer als erwartet. Sie hätten großes Verständnis für Menschen mit religiös motiviertem Handeln. Die Erfahrung von Offenheit, die Selbstlosigkeit und Freundlichkeit derer, die sie in der Aufnahmeeinrichtung besuchen, würde sie öffnen für Begegnung.

Herausforderung und Chance

Diese Erfahrung stehe im kompletten Gegensatz zum Rückzug des Religiösen ins Private. In der Politik – so der Bürgermeister – würde religiöses Engagement immer kritisch betrachtet, denn der Staat sei zu Neutralität verpflichtet. Allerdings stehe, man höre und staune, in der Nordrhein-Westfälischen Landesverfassung in Artikel 7 der folgende Satz: „Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung.“

Moderator Bernhard Arndt animiert das kurze Dialoggespräch (Foto: Brehm)

Moderator Bernhard Arndt animiert das kurze Dialoggespräch (Foto: Brehm)

Ewers und Söder im Gespräch (Foto: Brehm)

Ewers und Söder im Gespräch (Foto: Brehm)

Die Flüchtlingssituation und die damit ausgelöste Diskussion zu den Grundlagen der demokratischen Ordnung sei, so Christoph Ewers „eine riesige Herausforderung“. …“Aber ich denke, dass diese Herausforderung auch eine Chance bietet. Sie bietet die Chance, die Diskussion über unsere Grundwerte, über die Bedeutung der Religion, über die Bedeutung des Christentums, über den Dialog mit anderen Religionen in eine breite Gesellschaft zu tragen, und vielleicht positiv im Sinne einer Integration zu entwickeln.“ Dafür brauche es die intellektuelle Auseinandersetzung mit diesem Thema, zu der Wissenschaft, Politik und Kirchen aufgerufen sind. Auch die Bildungseinrichtungen seien aufgerufen, das stärker zu reflektieren. „Aber das reicht nicht aus. Wir brauchen ganz besonders die Begegnung von Menschen verschiedener Kulturen vor Ort und wir brauchen gelebten Glauben!“

Philosophie und Politik

Vom Moderator befragt, was ihm am Referat von Joachim Söder am besten gefallen habe, meinte Christoph Ewers, dass er sich diese Klarheit und Prägnanz mit der Söder alltagstaugliche Philosophie vorgestellt habe, auch für die Politik wünsche. Prof. Söder befragt, was ihn im Beitrag von Christoph Ewers besonders angesprochen habe, meinte dieser: der Bürgermeister habe anhand der konkreten Beispiele aus der Flüchtlingseinrichtung das angesprochen, war er, Joachim Söder in der Theorie habe zum Ausdruck bringen wollen. Mit diesem wirklich gelungenen Dialogvortrag, den der Moderator Bernhard Arndt als „tippitoppi“ charakterisierte, ging ein interessanter Vormittag zu Ende, über den sich verschiedene Teilnehmer ganz positiv äußerten: „Impulse, die getroffen haben“, „klare Sichtweisen, die hilfreich sind“, „konkrete Beispiele, die Sichtweisen verändern“, „alltagstaugliche Thesen, die anwendbar scheinen“.


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