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Warum der Blick in die Geschichte vor Depression bewahrt - Die Pallottiner und die Schönstattbewegung
Sr. Dr. M. Nurit Stosiek, Säkularinstitut Schönstätter Marienschwestern und Prof. em. Dr. Heribert Niederschlag SAC, Pallottiner, beim Katholischen Forum Koblenz (Foto: Brehm)
Hbre. Mit dem Thema „Die Pallottiner und die Schönstattbewegung“ hat das Katholische Forum Koblenz eine Veranstaltung angeboten, die bei gut 100 Teilnehmern auf Interesse gestoßen ist: Der „Klangraum“ des Bischöflichen Cusanus-Gymnasiums Koblenz ist am Abend des 29. September gut gefüllt. Ein Bild von zwei Bäumen, deren Stämme am Boden fast zu einem zusammengewachsen sind, dann aber auseinander streben und das Wort „Gottes verschlungene Wege. Warum der Blick in die Geschichte vor Depression bewahrt“ sind der Einstieg zu einem spannenden Dialogreferat von Sr. Dr. M. Nurit Stosiek, Säkularinstitut Schönstätter Marienschwestern und Prof. em. Dr. Heribert Niederschlag SAC, Pallottiner, das die Zuhörer auf eine abenteuerliche Reise in die jüngere Kirchengeschichte mitnimmt.
Gottes verschlungene Wege - Warum der Blick in die Geschichte vor Depression bewahrt (Foto: Niederschlag)
Diese kleine Gesellschaft wird gesegnet sein
Nach kurzem Hinweis auf eigene biographische Erfahrungen schildert der Pallottinerpater Niederschlag die bewegte Geschichte zur Zeit Pallottis, einer Zeit voller Revolutionen. Pallotti hat eine Mammutvision, eine Kirche, in der alle Gläubigen zu „Apostelinnen“ und „Aposteln“ berufen sind. Doch bei seinem Tod 1850 ist er nur von einer kleinen Schar von 12 Gefährten umgeben, der er allerdings mit Sicherheit zusagt: „Diese kleine Gesellschaft wird gesegnet sein“. In den folgenden Jahrzehnten kämpfen die Pallottiner ums Überleben, aber immer wieder zeigt sich ein Neuansatz. Eine solche Chance ist die Kamerunmission, durch die die Gesellschaft in Deutschland Fuß fassen kann.
Sr. Dr. M. Nurit Stosiek (Foto: Brehm)
Prof. em. Dr. Heribert Niederschlag SAC (Foto: Brehm)
Ein entscheidender Neuanfang – so erzählt nun M. Nurit Stosiek von der Schönstattbewegung weiter – vollzieht sich 1914 in Zusammenhang mit dem Ort Schönstatt: Am 18. Oktober setzt der 27jährige Pallottiner Josef Kentenich dort im alten Michaelskapellchen mit Schülern des Studienheims den Anfang für das Werden der Schönstattbewegung. Der kleine Anfang weitet sich bald enorm aus, es entsteht eine Laienbewegung, in der Gläubige der verschiedensten Lebensformen Raum finden. Die Pallottiner sehen in der Schönstattbewegung etwas von dem verwirklicht, was Pallotti wollte. Sie setzen ihre besten Kräfte für den Aufbau der Schönstattbewegung ein. „Ja es ist tatsächlich so, dass die Schönstatt-Bewegung zusammen mit den Pallottinern gegen Ende der Dreißiger Jahre die stärkste, dynamische Erneuerungsbewegung innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland war“, ergänzt Pater Niederschlag mit einem Zitat von Ida Friederike Görres. So werden die folgenden Jahrzehnte für beide Seiten eine Blütezeit – ein Aufbruch, der die besten Kräfte weckt, der sich niederschlägt in großen Tagungen, hoher Bekanntheit Schönstatts in der katholischen Öffentlichkeit und auch im Zeugnis in der Nazizeit
In zwei markanten Nahaufnahmen macht Pater Niederschlag Auswirkungen dieser Entwicklung deutlich. Zum einen weist er auf die Persönlichkeit von Franz Reinisch hin, der als junger Pallottinerpater Schönstatt begegnet. Seine Reaktion: „Jetzt habe ich das gefunden, was ich solange gesucht.“ Diese Begegnung gibt ihm die Kraft, seine Gewissensentscheidung, den Fahneneid auf Hitler zu verweigern, durchzuhalten, auch wenn das für ihn das Todesurteil bedeutete. Die zweite „Nahaufnahme“ ist die Entscheidung der Pallottiner, die Theologische Hochschule von Limburg nach Schönstatt zu verlegen als Reflexionszentrum, um der Bewegung theologisch und spirituell Format zu geben. Die Hochschule gewinnt in den folgenden Jahren ein beachtliches Profil.
Der „Klangraum“ des Bischöflichen Cusanus-Gymnasiums Koblenz ist am Abend des 29. September gut gefüllt (Foto: Brehm)
Moderation: Dekanatsreferentin Christiane Schall, Koblenz (Foto: Brehm)
Frosteinbruch – Kältefront des Misstrauens
Anfang der 50er Jahre wird diese „Blüte“ auf beiden Seiten schwer getroffen durch einen Frosteinbruch, durch eine Kältefront des Misstrauens. An konkreten Beispielen und Fragen stellen beide Referenten aus ihrer Sicht diese Krisenzeit dar: durch menschliche Missverständnisse, aber auch durch Lebensprozesse der Schönstattbewegung, die bei den Pallottinern Irritationen auslösen, kommt es mehr und mehr zu einer „Kältefront“ des Misstrauens. Dieser Klimawandel erschwert die Lösung der Sachfrage: Wie sind die beiden Gründungen einander zuzuordnen? Von Seiten der Kirche wird schließlich entschieden, das Schönstatt-Werk von den Pallottinern zu trennen, um beiden ein eigenes Wachstum zu ermöglichen.
Am 18. Oktober 1964 wird der zum 50jährigen Jubiläum versammelten Schönstattbewegung in der Marienschule in Schönstatt diese Trennung verkündet. Die Nachricht schallt per Lautsprecher durch das Tal. Die Pallottiner, die wenige Meter weiter in Wallfahrtskirche tagen, erfahren es auf diesem Weg und sind schockiert. Sie wussten nichts davon, da fataler Weise durch eine Postverzögerung die Nachricht der römischen Behörde noch nicht eingetroffen ist. P. Niederschlag erzählt, wie er selbst als junger Novize diesen Augenblick erlebte und es wird für den Zuhörer fassbar, wie solche schicksalhaften Vorgänge Wunden schlagen oder neu aufreißen können.
Beide Referenten sind sich in der Bewertung einig, dass diese schmerzliche Phase im gesamtkirchlichen Zusammenhang gesehen werden muss. Vieles, was sich hier abgespielt hat, war Teil der Umbrüche, die im II. Vatikanischen Konzil die Kirche auf neue Wege führten. Bezeichnend ist, dass Pater Kentenich, der vom damaligen „Heiligen Offizium“ 1951 von seiner Gründung getrennt wurde, am Ende des Konzils nach Schönstatt zurückkehren konnte. Kardinal Ildebrando Antoniutti, von 1963 bis 1973 Präfekt der Religiosenkongregation, erklärte den Fall Kentenich, die „Causa fundatoris“ beim Heiligen Offizium als abgeschlossen: „Auch in Fragen der Spiritualität, die das Heilige Offizium geprüft hat, liegen gegen Herrn Pater Kentenich keinerlei Bedenken vor,“ zitiert Schwester Nurit Kardinal Antoniutti. Ein bedeutender Konzilsteilnehmer, der Jesuit Kardinal Augustin Bea, habe zu Pater Kentenich, dem schließlich ermöglicht worden sei als Diözesanpriester im Bistum Münster aufgenommen zu werden, gesagt: „Ohne das Konzil wären Sie nie verstanden worden.“
Die Verheißung einer gesegneten Zukunft
„Erit haec (minima) societas benedicta – die Verheißung einer gesegneten Zukunft“, so ist am Ende des Dialog-Referates auf der Präsentationswand das Wort Pallottis zu lesen, das er auf dem Sterbebett zum Ausdruck brachte. In ihrem persönlichen Schlussplädoyer bringen beide Referenten zum Ausdruck: Sicher muss in der gemeinsamen Geschichte noch vieles bearbeitet und geklärt werden. Aber wesentlich geht es darum, die gemeinsame apostolische Aufgabe zu sehen, den Dienst an den Menschen heute und das Glaubenszeugnis in einer veränderten Welt.
In der anschließenden Diskussion erzählt die Moderatorin des Abends, Dekanatsreferentin Christiane Schall, Koblenz, wie sie in ihrer eigenen Studienzeit der PTHV erlebt habe, dass im Zusammenwirken von Pallottinern, dort lehrenden Professoren der Schönstatt-Patres und studierenden Marienschwestern spürbar geworden sei, dass durch einen Generationenwechsel auch ein neues Miteinander möglich wird. Vertreter Schönstatts bringen ihre Dankbarkeit zum Ausdruck, dass die Pallottiner der Schönstattbewegung zum 100jährigen Jubiläum das Urheiligtum geschenkt haben.
Am Ende des Abends bringt P. Niederschlag nochmals ein Bild: Im Sinn des Einsatzes für den Glauben gelte es, auf verschiedenen Wegen dasselbe Ziel anzustreben. „Es ist wie bei einem Anstieg zum Gipfel: Man kann auf verschiedenen Wegen gehen, aber je näher man dem Kreuz kommt, umso näher kommt man auch einander.“