Nachrichten

10. Juni 2014 | Deutschland | 

Glaube: Ein Tanz auf dem Hochseil


Carolin Ankenbauer und Wilfried Röhrig (rechts)  (Foto: Defrancesco)

Carolin Ankenbauer und Wilfried Röhrig (r)  (Foto: Defrancesco)

Michael Defrancesco, Rhein-Zeitung. An Pfingsten erinnern sich die Christen daran, dass Gottes Geist sie im Alltag begleiten will.  Glaubensleben im Alltag – das ist auch ein zentrales Anliegen der Schönstatt-Bewegung aus Vallendar bei Koblenz, die im Oktober 100 Jahre alt wird. Zu diesem Anlass hat das Musical „Auf dem Hochseil“ geschrieben, in dem Carolin Ankenbauer die Hauptrolle spielt. Das Stück ist mehr als ein Blick in die Geschichte; es geht um die große Frage des christlichen Glaubens: Hat Gott wirklich mit meinem konkreten Leben zu tun? Im Interview erzählen die beiden von ihren persönlichen Gotteserfahrungen.

Die christliche Musik ist ihr Metier: Wilfried Röhrig tourt derzeit mit seinem Musical „Auf dem Hochseil“ durch Deutschland. In der Hauptrolle: Carolin Ankenbauer. Wir treffen die beiden nach einem Doppelauftritt beim Katholikentag in Regensburg: zweimal ausverkauftes Theater.

Schlussbild des Musicals "Auf dem Hochseil" (Foto: Kroeper, 2013)

Schlussbild des Musicals "Auf dem Hochseil" (Foto: Kroeper, 2013)

In „Auf dem Hochseil“ gehen Sie an die Anfänge der Schönstatt-Bewegung zurück. Ist es einfacher, mit einem Lied in die Vergangenheit zu blicken als in einem Buch?

Wilfried Röhrig: Ich als Autor des Stückes habe vor allem Bücher gebraucht, um mich selbst in die Vergangenheit reinzudenken und reinzufühlen. Es gibt ein paar wunderschöne Werke, in denen die Kindheit von Pater Josef Kentenich beschrieben wird, zum Beispiel das Buch „Die verborgenen Jahre“, und daraus habe ich sehr viel gezogen. Die Zuschauer des Musicals haben es da leichter. Sie sehen Personen aus der Vergangenheit, ein entsprechendes Bühnenbild, hören Lieder und Musik, die sie in das Gestern „begleiten“.

Sie schildern die Situation vor 100 Jahren sehr anschaulich, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs: Pater Josef Kentenich versucht als Spiritual bei den Pallottinern in der Nähe von Koblenz, Studenten ein neues Menschenbild zu vermitteln. Sie sollen sich selbst zu festen und freien Charakteren erziehen. Ist so etwas heute noch modern?

Carolin Ankenbauer (Foto: Brehm)

„Erstens: Du hast deinen Platz in dieser Welt. Zweitens: Es gibt jemanden, der dich hält.” Carolin Ankenbauer (Foto: Brehm)

Wilfried Röhrig (Foto: Brehm)

"Wer nichts riskiert, setzt alles aufs Spiel. Ich muss also den Weg 'auf das Hochseil' wagen." Wilfried Röhrig (Foto: Brehm)

Carolin Ankenbauer: Auf jeden Fall. Ja. Gerade in unserer globalen Welt streben viele Jugendliche und Erwachsene danach, frei zu sein. Selbst zu denken, frei zu sein – das hat heute einen großen Stellenwert.

Röhrig: Wenn ich Vergangenes anschaue oder die Bibel lese, dann ist das für mich wie ein Dialog, ein Gespräch zwischen den alten Texten und mir mit meiner heutigen Lebenssituation. Dabei sind wir auf Augenhöhe: Die Bibel darf mir nicht so einfach sagen, was ich heute zu tun habe, aber im Gegenzug darf ich die Bibel auch nicht für meine Zwecke benutzen. Wir sind beide auf Augenhöhe, es ist ein Gespräch. Und genauso ist es mit der Schönstatt-Geschichte auch: Einfach ein Musical zum 100. Geburtstag der Bewegung zu schreiben, das war mir zu wenig. Ich habe mich gefragt, was das Ganze mit mir heute zu tun hat. Das hat sich an einigen Themen festgemacht: Josef Kentenich als uneheliches Kind – Wo und wie zeigt sich Vaterlosigkeit bei uns heute? Josef Kentenich deutet Ereignisse in seinem Leben als Hinweise Gottes – wo und wie wirkt Gott heute?

Im Musical übernehmen Sie diesen Dialog in Ihrer Figur, Frau Ankenbauer. Sie sind die „Zeitgenossin“ – eine gern auch sehr kritische Zeitgenossin. Ist das Ihre Überzeugung oder einfach nur Schauspiel?

Ankenbauer: Ich habe mich von Anfang an in den Texten wiedergefunden. Natürlich ist die Art und Weise, wie ich die Kritik auf der Bühne rüberbringe, Schauspiel. Und ich würde nicht unbedingt so reden – manchmal benutze ich theologische Begriffe, deren Bedeutung ich erst einmal nachschlagen musste. (lacht)

Ein Leben für die Musik

Wilfried Röhrig wurde 1955 geboren und wohnt in Viernheim. Er ist verheiratet, hat fünf Kinder und ist Lehrer für katholische Religion und Sport. Im Bereich der Kirche engagiert er sich vielfältig, u. a. in der Familienarbeit der Schönstatt-Familienbewegung. Er ist Texter und Komponist, Regisseur und Inhaber des Musikverlags rigma.

Carolin Ankenbauer wurde 1985 geboren, wuchs in Würzburg auf und ist derzeit Studierende des Masters der Sozialen Arbeit an der Evangelischen Hochschule Darmstadt. Sie sang in diversen Bands und ist Mitglied in zwei Chören im Umfeld Darmstadts; einen davon leitet sie. Sie war viele Jahre in der Schönstatt-Mädchenjugend aktiv.

Das Musical „Auf dem Hochseil“ von Wilfried Röhrig erzählt die Anfänge der Schönstatt-Bewegung vor 100 Jahren, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Termine: 29. Juni, 18 Uhr, Herxheim bei Landau und 19. Oktober, 15 Uhr, Vallendar-Schönstatt. Infos: hochseil.rigma.de

Zum Beispiel?

Ankenbauer: Da ist die Rede von „neuscholastischen Apologeten“. Ich bin leider keine studierte Theologin ...

Röhrig: Oh, ja, da hab ich wohl ein paar akademisch anspruchsvolle Stellen eingebaut.

Ankenbauer: Erklär's mal selbst!

Röhrig: (lacht) Ein Apologet ist jemand, der seinen Standpunkt verteidigt. Und die Neuscholastik war vor 100 Jahren die gängige Theologie, eine Art Neuauflage der Scholastik des Hochmittelalters. Die Fragen der Moral und des Glaubens waren klar geregelt, bis ins kleinste Detail. Da gab es keine offenen Fragen und vor allem keine offene Diskussion mit den damaligen gesellschaftlichen Entwicklungen.

Da sind wir wieder bei „feste und freie Charaktere“: Geben starre Regeln nicht auch irgendwo Halt?

Ankenbauer: Natürlich, ja. Aber es wird dann schwierig, wenn dieser angebliche Halt jemandem schadet und ihn in seiner Entfaltung als Person hemmt. Und genau das war die Situation vor 100 Jahren, gegen die Pater Kentenich mit seinem neuen Denkansatz angegangen ist.

Wie fest und frei sind Sie als Komponist, Herr Röhrig?

Röhrig: Künstlerische Freiheit ist für mich das eine, künstlerische Verantwortung das andere. Was die künstlerische Freiheit betrifft, hatte ich vor einigen Jahren ein kleines Aha-Erlebnis. Ein guter Freund hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass ich nicht einfach die schöne Theologie vertonen soll, sondern das, was ich wirklich über den Glauben und die Kirche denke. Das habe ich mir zu Herzen genommen. Mut zur Subjektivität: Ich präsentiere meine persönliche Sichtweise, wohl wissend, dass es Leute gibt, die das ein oder andere anders sehen als ich. So etwas mag ich: wenn Dinge nicht schon feststehen und klar sind, sondern wenn sie offen sind und in Bewegung. Das ermöglicht Gespräch, Austausch, Entwicklung.

Passend haben Sie Ihr Musical „Auf dem Hochseil“ genannt. Der Schönstatt-Gründer wird auch mit seinen Zweifeln dargestellt: „Ist das wirklich Gottes Wille, was ich hier tue?“

Röhrig: Ja, am Anfang einer großen Sache ist vieles, vielleicht sogar alles offen. Da muss man nach dem richtigen Weg tasten. Das ist faszinierend. Und irgendwo fühlt man sich doch heute noch so, wenn man in seine Kirche hineinwächst oder in eine geistliche Bewegung wie die der Schönstätter: Man muss seinen eigenen Weg suchen, tasten, herausfinden, was einem wirklich selbst entspricht, und auch Traditionelles infrage stellen. Die Frage ist immer, was Gott von mir persönlich will.

Um diese Frage stellen zu können, muss man aber schon eine sehr innige Beziehung zu Gott haben. Wie entwickelt sich die in der heutigen Zeit?

Ankenbauer: Ich gehöre zur Generation Facebook, wir sind ständig online und konfrontiert mit unzähligen Eindrücken. Für mich ist es wichtig, immer wieder in mich hineinzuhören und die vielen Eindrücke zu sortieren. Mir persönlich sind da die Eltern und mein Freund eine große Hilfe, aber auch geistliche Begleitung. So kann ich gemeinsam mit Menschen, denen ich vertraue, das aus der heutigen Zeit herausfiltern, was mich weiterbringt und so auch Gottes Spur im Heute erkennen. Gleichzeitig muss ich auch Zeit haben, mich selbst kennenzulernen, meine Talente zu erkennen. Ich weiß zum Beispiel, dass ich mit meiner Musik Menschen begeistern kann. (lacht) Wenn ich das als Geschenk Gottes erkenne und auch als Auftrag, dieses Talent zu entfalten, dann entsteht auch eine enge Bindung an Gott. Die Erfahrung, dass Gott hinter all dem steht, die muss man selbst erleben. Das kann man nicht erlernen oder vom Verstand her analysieren. Ich muss offen für Gotteserfahrungen sein – mehr kann ich selbst da gar nicht tun, glaube ich.

Röhrig: Da sind wir gerade bei einem ganz zentralen Punkt des Glaubens. Ich erlebe es als Lehrer immer wieder, dass selbst Religionslehrerkollegen kein Problem damit haben, Gott in der Bibel, der Natur oder im Gebet zu begegnen. Aber dass Gott mit meinem persönlichen Lebensweg etwas zu tun haben soll, mit dem, was im eigenen Herzen oder im Alltag in der Schule passiert, das ist ein sehr ferner Gedanke für sie.

Ankenbauer: Ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, wo ich gespürt habe, dass der Glaube trägt. Auch in schwersten Krisen. Das hat mich schon früh sehr beeindruckt. Und heute habe ich selbst auch anderen Menschen schon in Krisen beigestanden und dieselbe Erfahrung gemacht. Gleichwohl habe ich auch meine eigenen Krisen erlebt, mit Gott gehadert und meine Zweifel gehabt – was mich im Endeffekt aber gestärkt hat.

Szene aus dem Musical (Foto: Kroeper)

Szene aus dem Musical (Foto: Kroeper)

Wie gehen Sie mit Hochseil-Momenten um? Wenn Sie nicht wissen, ob der eingeschlagene Weg der richtige ist und ob das Seil Sie trägt?

Röhrig: Auf einer Karte habe ich mal den Spruch gelesen: Wer nichts riskiert, setzt alles aufs Spiel. Ich muss also den Weg „auf das Hochseil“ wagen. Und wenn ich in einer Sackgasse bin, dann suche ich die Türen, die mir der Himmel öffnet. Da fällt mir eine Situation aus der Vorbereitung zum Musical ein: Die Uraufführung nahte, und die gedachte Besetzung der Tanzgruppe ließ sich so nicht realisieren. Sollte ich also ein Musical ohne Tanz aufführen? Das geht ja nicht. Marie-Catherine Rausch, die die Leitung der Tanzgruppe übernommen hatte, machte in diesem Anliegen eine Wallfahrt. Das war im Sommer 2013 – und es hat geklappt! Sie hat uns großartige Tänzerinnen erbetet und erpilgert.

Ankenbauer: Für mich gab es immer wieder Hochseil-Momente: Ich habe mich an Erwartungshaltungen festgeklammert, und erst, als ich diese losgelassen und Gott wirklich die Führung überlassen habe, hat sich alles zum Guten gewendet. Eine gute Freundin hat mir damals gesagt: „Denk dran, dass am Ende alles gut wird. Und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es auch noch nicht zu Ende.“

Caroline Ankenbauer und Arnuls Rausch geben zwei zeitgenössische Protagonisten (Foto: Kroeper)

Caroline Ankenbauer und Arnuls Rausch geben zwei zeitgenössische Protagonisten (Foto: Kroeper)

Röhrig: Dieser Satz gefällt mir auch sehr gut! Den kannst du aber nur ehrlich sagen, wenn du ein tiefes Gottvertrauen hast.

Ankenbauer: Ja, ich vertraue einfach darauf, dass alles einen Sinn hat und dass alles für etwas Gutes da ist. Weil alles von Gott kommt.

Röhrig: Ja, es ist letztlich alles in Gott aufgehoben. Auch alles, worunter ich persönlich leide oder worunter andere Menschen leiden.

Das sind mutige Glaubenszeugnisse, die Sie beiden geben.

Ankenbauer: Es gab Zeiten in meinem Leben, da hätte ich mich gefreut, wenn mir jemand die Botschaft, die wir im Musical vermitteln wollen, gegeben hätte. Für mich ist es nicht mutig, von meinem Glauben zu erzählen und zu singen, sondern das ist meine tiefste Überzeugung. Und die Botschaft ist so wichtig! Erstens: Du hast deinen Platz in dieser Welt. Zweitens: Es gibt jemanden, der dich hält. Wenn Menschen mir erzählen, dass sie gestärkt und mit neuer Kraft wieder in ihren Alltag gehen – das sind mir alle Anstrengungen wert.

MICHAEL DEFRANCESCO

RZ Koblenz und Region vom Samstag, 7. Juni 2014,
Mit freundlicher Genehmigung der Rhein-Zeitung, www.rhein-zeitung.de


Top