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3. Februar 2014 | Deutschland | 

Jetzt genau das Richtige!


Gedenktag der Schönstatt-Familie in der KZ-Gedenkstätte Dachau

Gedenktag der Schönstatt-Familie in der KZ-Gedenkstätte Dachau

Die bayerische Schönstatt-Bewegung gedenkt am 6. April 2014 der Befreiung des Schönstatt-Gründers aus dem KZ Dachau im Jahr 1945 und dankt für 100 Jahre Schönstatt. Die Feier, zu der alle Interessierten herzlich eingeladen sind, steht unter dem Thema: „Mensch, bist du wertvoll!“ In loser Folge wird Pater Elmar Busse an dieser Stelle Impulse veröffentlichen, die zur Vorbereitung der Feier beitragen möchten, insbesondere aber zum Ziel haben, nicht nur beim Erinnern stehen zu bleiben, sondern nach der Bedeutung für heute zu fragen.

Jetzt genau das Richtige!

Elmar Busse. Zu einem Gedankenexperiment möchte ich Sie einladen: Um die Mittagszeit betreten Sie mit hungrigem Magen ein gutes Restaurant. Sie setzen sich. Es gibt keine Speisekarte, aber sie bekommen ungefragt eine ungesalzene Haferschleimsuppe und Ihr Gegenüber ein paar Salzstangen und eine Cola. Der servierende Ober hat seine übliche geschäftlich-höfliche Miene aufgesetzt. Sie werden misstrauisch, drehen sich um, suchen nach einer versteckten Kamera und fragen sich, ob eine neue Serie von „Verstehen Sie Spass?“ hier gedreht wird. Wenn Sie aber nach einer Blinddarmoperation am dritten Tag endlich eine Haferschleimsuppe bekommen, dann ist das in dieser Situation genau das Richtige. Oder wenn Sie sich den Magen verdorben haben, dann helfen Salzstangen und Cola über das Ärgste hinweg. Wenn Sie gesund und hungrig sind, dann träumen Sie beim Betreten eines Restaurants wohl eher von Wiener Schnitzel oder Rehrücken.

Worte für konkrete Situationen

Warum diese Einleitung? Ich habe mich als Student sehr schwer damit getan, die Vorträge Pater Kentenichs zu lesen. Das wirkte so bieder, da war nichts Aufregendes oder Spannendes. Ich konnte mir nie erklären, warum Pater Kentenich so erfolgreich als Redner war. In einem Gespräch mit einem begabten Lehrer klagte dieser über ähnliche Hürden beim Lesen von Kentenich-Texten. Als Lehrer sah er seinen ganzen Ehrgeiz darin, mit einem ganzen Fächer von didaktischen Methoden das Interesse seiner Schüler für das zu wecken, was sie seiner Meinung nach (beziehungsweise dem Lehrplan nach) lernen sollten.

Was wir beide bei Kentenich fanden, das waren Stabreime und eigene Wortschöpfungen wie zum Beispiel „nicht nur organisieren, sondern organismieren“. Der Gründer wollte damit zum Ausdruck bringen, dass es beim Aufbau Schönstatts auf die Bildung von kleinen Zellen ankam, in denen ein reger Erfahrungsaustausch gepflegt werden sollte. Einen Zugang zu Kentenich-Texten bekam ich erst, als Patres aus dem Westen zu uns in den Osten kamen und detailreich erzählen konnten, in welche Situation hinein Kentenich diesen oder jenen Vortrag  gehalten hatte. Und dann war sonneklar: Wenn die Zuhörer bereits mit einer bestimmten Frage beschäftigt sind, die Seele aufgeraut ist und der Geist sowieso Interesse an der Klärung einer bestimmten Frage hat, dann brauche ich ja nicht mittels didaktischer Methoden das Interesse für mein Thema zu wecken, sondern ich stelle mich thematisch auf die Fragen meiner Zuhörer ein. Und dann wirken benutzerfreundliche und lebenstaugliche Sätze und Erfahrungen wie Samenkörner in einem gepflügten und geeggten Feld.

Kentenich war schon systematisch, und die innere Stimmigkeit seiner Spiritualität, die sogenannte „Kohärenz seiner Lehre“ ist beeindruckend. Aber in seinen Vorträgen sprach er immer in eine konkrete Situation hinein, zu konkreten Menschen mit ihren aktuellen Fragen. Erst als ich in der Seelsorge vor der Herausforderung stand, mit wenigen Worten jemandem etwas zu sagen, was er versteht, was er sich merken kann und anwenden kann, habe ich die Genialität der Benutzerfreundlichkeit Kentenichscher Formulierungen und Gedankengänge erkannt.

Die Theologen weisen uns übrigens darauf hin, dass wir die Evangelien nicht als systematische Sammlung ewig gültiger Wahrheiten und Jesus als Weisheitslehrer missverstehen dürfen, sondern dass Jesus immer auch in eine konkrete Situation hinein gesprochen hat. So kann er einmal zu seinen Jüngern sagen, ich nenne euch nicht mehr Knechte sondern Freunde (vgl. Joh 15,15) und in einer anderen Situation, als sie sich zu wichtig nehmen: „Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Sklaven; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan.“ (Lk 17,10)

Im KZ Dachau: Das Selbstwertgefühl stärken

Auf diesem Hintergrund lohnt es sich, genau hinzuschauen, welchen Themen hat Pater Kentenich im KZ Dachau besondere Beachtung geschenkt? Was hat er aus der Fülle unserer Glaubenswahrheiten als besonders hilfreich und immunisierend für seine Mitgefangenen herausgefiltert? Gefangenen, denen das Menschsein aufgrund ihrer politischen Einstellung, ihrer Rasse, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer religiösen Überzeugung abgesprochen wurde, wollte der Mithäftling Kentenich das Selbstwertgefühl aufgrund der Gottebenbildlichkeit des Menschen schützen, pflegen bzw. wiederherstellen.

So sind wir über alle Welt
ins Göttliche hineingestellt,
sind mehr in deinen Augen wert
als ohne uns die ganze Erd'.

Die Werke jeglicher Kultur
sind wie ein kleines Stäubchen nur,
gemessen an der Herrlichkeit,
die deine Liebe uns verleiht.

(Gebetssammlung Himmelwärts S. 25)

An solch provozierenden Wahrheiten konnten sich die Häftlinge wieder aufrichten, wenn sie gedemütigt worden waren. „Meine Würde kann mir niemand nehmen oder absprechen, weil ich sie direkt und unmittelbar von Gott bekommen habe. Ich muss sie mir auch nicht erst verdienen.“ – Das war in der Sklaven-, Narren- und Todesstadt, wie Kentenich das KZ umschrieb, wirklich frohmachende und befreiende Botschaft.

Haben KZ-Bewältigungsstrategien Bedeutung für heute?

Nun wollen wir aber am 6. April nicht in der Erinnerung bleiben und mit Abscheu oder Gänsehaut zur Kenntnis nehmen, zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig waren. Wir wollen uns auch fragen: Haben die Bewältigungsstrategien von damals in der Extremsituation eines KZ Bedeutung für uns? Sind sie auch für uns in weniger extremen Situationen hilfreich?

Ein Blick in die Medien macht uns auf folgendes aufmerksam: Arbeitnehmer in Deutschland kommen immer häufiger wegen psychischer Erkrankungen in Frührente. Die Zahl der Betroffenen stieg innerhalb von 10 Jahren um rund 25.000 auf 75.000 im Jahr 2012. Im Durchschnitt sind die Menschen dann erst 49 Jahre alt. (DPA-Meldung vom 29.1.2014) Wenn auch die Zahl der Arbeitsunfälle dank der strengen Arbeitsschutzbestimmungen in den letzten Jahrzehnten drastisch zurückgegangen ist, so herrscht scheinbar doch in vielen Betrieben ein Klima, das die Menschen krank macht, weil sie sich nicht genügen schützen können, weder fliehen können (Das wäre gleichbedeutend mit Arbeitslosigkeit.), noch sich wehren können. Aus vielen Beratungsgesprächen kann ich herausfiltern, dass viele Menschen durch ihre Lebensumstände ein angekratztes Selbstwertegefühl haben und deshalb auch besonders anfällig sind für Neid, Eifersucht, Selbstmitleid und Mobbing. Doch darunter leiden nicht nur die Mitmenschen, die immer wieder in das Klima geraten, das ein solcher Mensch um sich verbreitet, sondern am meisten leiden die Betroffenen selber. Wenn solche Leidenden dann für sich ihre Gottebenbildlichkeit und ihre Würde neu entdecken oder in Extremfällen erstmals entdecken und pflegen, dann lernen sie den aufrechten Gang. Sie lernen wieder lachen und können auch andere neben sich groß sein oder groß werden lassen.

Wenn das kostbare Symbol für Gottvater mit Bergkristall und Golddreieck am 6. April nach Dachau kommt, dann kann es uns helfen, uns unseres eigenen Wertes und unserer unantastbaren Würde neu bewusst zu werden. Diese Botschaft ist auch heute eine aktuelle Frohbotschaft.


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