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7. August 2013 | Deutschland | 

„Wir haben uns neu gefunden.“ – Intensivwoche für Familien mit behinderten Kindern


Intensivwoche für Familien mit behinderten Kindern in Münster (Foto: Baumgartner)

Intensivwoche für Familien mit behinderten Kindern in Münster (Foto: Baumgartner)

Elmar Busse. „Ich bin mit gemischten Gefühlen hierher gekommen. Faszinierend war das Angebot der Kinderbetreuung, denn bei aller Liebe zu meinen Kindern – ich brauchte einfach mal eine Auszeit. Aber dann die Ankündigung, dass es auch um die Intensivierung der eigenen Paarbeziehung geht, das ließ mich fragen: Auf was lasse ich mich da ein? – Jetzt bin ich so froh, dass ich meine Skepsis überwunden hatte, denn diese Tage haben uns allen sehr gut getan.“ So fasste eine Teilnehmerin für sich das Erlebnis der Intensivwoche zusammen.

Intensivwoche für Familien mit behinderten Kindern in Münster (Foto: Baumgartner)

 

Haus Mariengrund / Münster macht’s möglich

Die Skepsis war durchaus berechtigt, hatte es doch ein solches Seminarangebot im Haus Mariengrund in Münster-Gievenbeck noch nie gegeben. Die Kinderärztin Manuela Baumgartner, die sich auf Diagnostik und Förderung entwicklungsbeeinträchtigter Kinder spezialisiert hat, hatte schon in den 90er Jahren zusammen mit ihrem Mann Helmut, der ebenfalls Arzt ist, ein solches Veranstaltungsmodell in ihrer alten Wirkungsstätte in Linz/Donau entwickelt. Jährlich nehmen ca. 25 Familien an solchen Wochen in Linz und in Lignano teil. Die berufliche Tätigkeit von Prof. Baumgartner brachte einen Ortswechsel nach Münster mit sich, und so war es in Münster nun eine Premiere einer solchen Intensivwoche.

Intensivwoche für Familien mit behinderten Kindern in Münster (Foto: Baumgartner)

 

Dank der innovativen Hausleiterin, Schwester Jutta Maria Sievering wurde das Projekt angegangen. Übers Internet, Mundpropaganda und persönliche Kontakte neugierig gemacht, reisten am Sonntag-nachmittag Familien mit behinderten Kindern aus drei Bundesländern in Münster an.

Professionelles Team

Das Team bestand aus dem Ehepaar Baumgartner, dem Familien-Therapeuten Michael Sievering und dem Familienseelsorger Pater Elmar Busse. So konnte den Familien aus den verschiedensten Professionen Unterstützung und Beratung angeboten werden.

Jeder Familie wurde eine eigene 40-Stunden KinderbetreuerIn zur Verfügung gestellt, so dass auch tatsächlich Zeit für das Elternpaar einmal ohne Kinder geschaffen werden konnte. „Das geht im Alltag völlig unter, wir sind in erster Linie Eltern, die Paarbeziehung bleibt auf der Strecke“, äußerten nahezu alle Familien.  

Intensivwoche für Familien mit behinderten Kindern in Münster (Foto: Baumgartner)

 

Impulse, Paargespräch und Erfahrungsaustausch

Nach der Vorstellungsrunde konnten die Eltern Ihre persönlichen Fragen zu allen Lebensbereichen, die sie aktuell bewegen, formulieren. Schnell war die große Pinwand mit vielerlei Fragezetteln bespickt, auch wenn es so manche inhaltliche Überschneidung gab. Schließlich stehen Familien mit behinderten Kindern oft vor denselben großen Herausforderungen.

Das Referententeam hat dann in den nächsten Tagen sehr konkret und lebensnah zu Fragen des Selbstwertgefühls, der Paardynamik, des Umgangs mit Polaritäten in der Beziehung, Konfliktbewältigungsstrategien und Kindererziehung Impulse gegeben, was danach im Paar direkt abgestimmt auf die eigene Situation reflektiert wurde. Allein diese reservierte und ungestörte Zeit zum Paargespräch, während die Kinder in guten Händen waren, wurde von allen Paaren als sehr wohltuendes Element der Woche gewertet. Ein Erfahrungsaustausch in der Großgruppe beendet den Seminarteil am Vormittag.

Intensivwoche für Familien mit behinderten Kindern in Münster (Foto: Baumgartner)

 

Intensivwoche für Familien mit behinderten Kindern in Münster (Foto: Baumgartner)

 

Die Seele baumeln lassen

Nachmittags konnten die Familien die Umgebung von Münster erkunden oder einfach im Freibad die Seele baumeln lassen. Die Kinder fühlten sich auf dem neuen großen Spielplatz von Mariengrund sehr wohl, dort gab es auch Nestschaukeln, Riesensandkiste und jede Menge Automobile. Autorennen und Schatzsuche waren die Highlights der Kinder.

So kann Kirche auch sein

Das Angebot eines kindgemäßen Gottesdienstes nach dem Abendessen war für manche überraschend: So kann Kirche auch sein! So mancher Frust an den Heimatgemeinden und der dort erlebten Unbeholfenheit im Umgang mit beeinträchtigten Kindern wurde auf diese Weise weggeschmolzen. Die Kinder konnten sich in die Messe durch Bewegungslieder gut einbringen und wollten von Pater Busse immer noch mehr Strophen auf der Gitarre begleitet haben.

Klima des Wohlwollens und der Ehrfurcht

„Nun soll noch einer sagen, wir Münsteraner können nicht über Gefühle reden“, so drückte ein Vater seine Überraschung über sich selber aus, denn dank der vielen Lebensbeispiele von anderen betroffenen Familien in den Impulsen fiel es allen leicht sich zu öffnen. In diesem Klima des Wohlwollens und der Ehrfurcht war es leichter als erwartet. Schnell entwickelte sich auch die Atmosphäre und das Gefühl eine große Familie zu sein. Die Kinder saßen mal bei der eigenen Mutter mal bei einer anderen am Schoß, die Väter hatten großen Spaß mit den Kindern vom Nebentisch. Sich an den Tisch setzen zu können zu den Mahlzeiten und einmal nicht kochen zu müssen, war auch schon Entspannung pur. „Ein Urlaub mit unseren Kindern in fremder Umgebung ist ohne Kinderbetreuung so anstrengend, dass wir besser zu Hause bleiben. Wir genießen alles hier sehr“, war der Tenor aller Familien.

Intensivwoche für Familien mit behinderten Kindern in Münster (Foto: Baumgartner)

 

Loslassen und Leichtigkeit

Die Eltern  konnten sich nicht vorstellen, wie Jugendliche die Betreuung ihrer Kinder mit ihren besonderen Bedürfnissen schaffen können. „Unsere Kinder werden wohl in spätestens 2 Stunden wieder zurückgebracht“, meinte ein Vater und war ganz verwundert, dass der Kinderbetreuer mit großer Freude an den Kindern immer nur ganz ruhig meinte „ja, das schaffen wir schon“. Es war eine neue Erfahrung, unsere Kinder etwas loszulassen und beiden Seiten zuzutrauen, dass sie es auch wirklich schaffen können. Außerdem haben wir uns die Leichtigkeit und Unbeschwertheit der KinderbetreuerInnen wirklich abgeguckt. Vieles sehen wir auch zu schwer und zu sorgenvoll“.

Dankbarkeit für das Aussteigen aus dem Hamsterrad des Funktionieren-müssens

Intensivwoche für Familien mit behinderten Kindern in Münster (Foto: Baumgartner)

Das Team brachte die große Hochachtung vor der Leistung der Eltern, die im Alltag eine sehr große Herausforderung bewältigen, ganz konkret auch verbal zum Ausdruck. Im Laufe der Woche wurde auch an der Körpersprache und an der Mimik sichtbar, dass das Aussteigen aus dem Hamsterrad des Funktionieren-müssens und das Auftanken zu zweit eine echte Kraftquelle darstellte. Dankbar, dass es ein solches Angebot überhaupt gibt, wollen viele Familien im nächsten Jahr wiederkommen. „ Sie können sich gar nicht vorstellen, wie groß dieses Geschenk der Intensivwoche wirklich für uns war“, meinte eine Teilnehmerin. „Der Titel der website  „Glück- schenken“ passt perfekt“.

Mehr Informationen

Familien mit behinderten Kindern, die an einer solchen Woche 2014 teilnehmen wollen, können sich im Haus Mariengrund bei Schwester Jutta-Maria informieren: Tel. 0251-871120 E-Mail sr.juttamaria@haus.mariengrund.de


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