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6. November 2012 | International | 

Auf dem Jakobsweg von Stuttgart nach Santiago de Compostela


Auf dem Jakobspilgerweg (Foto: Thomm)

Auf dem Jakobspilgerweg (Foto: Thomm)

Hbre. Insgesamt 2610 km hat er unter die Füße genommen und sich in der Zeit vom 25. Mai bis 19. September auf einen nicht alltäglichen Pilgerweg gemacht, von seinem Wohnort in Stuttgart bis nach Santiago de Compostela im Norden Spaniens. Früher schon hatten ihn Wege auf den Gipfel des höchsten Berges der Schweizer Alpen, den Dom (4545m) und auf den Torong-La-Pass im Himalaya, den höchsten Pass der Welt in Nepal (5415m) geführt. Die Rede ist von Schönstatt-Pater Markus Thomm, der lange Jahre als Jugendseelsorger im Erzbistum Freiburg tätig war. Heute ist er Exerzitienmeister und geistlicher Begleiter und formuliert nach seiner fast viermonatigen „Camino“-Erfahrung: „Das Leben beim Pilgern ist wirklich sehr, sehr intensiv. Man erlebt fast alles – auch den besonderen Segen von oben.“ Im folgenden „Blitzlicht eines Pilgertages auf dem Jakobsweg zu Fuß von Stuttgart nach Santiago de Compostela“, gibt er Anteil an einigen seiner Erfahrungen.

Blitzlicht eines Pilgertages auf dem Jakobsweg zu Fuß von Stuttgart nach Santiago de Compostela

P. Markus Thomm. “Welch ein Tag” ist auch heute wieder die zusammenfassende Beschreibung des Tages, während ich spontan tief durchatme. Und weil dieser Tag wieder völlig anders ist, so wie fast alle Tage beim Pilgern, kann er auch als repräsentativ für die übrigen bisherigen ca. 100 Tage des „Camino“ gelten. Camino bedeutet Weg und meint den Jakobsweg nach Santiago.

Jedenfalls bin ich heute morgen eine Stunde später als normal, also um 7 Uhr, losgelaufen, den Cappuccino in einer kleinen Flasche und ein mit Käse belegtes Brot „to go“ griffbereit. Das ist dann auch schon fast alles, was ich noch an Vorräten bei mir habe. Denn heute, in 8 km Entfernung komme ich nach Ponferrada (60.000 Einwohner, 2383 km von Stuttgart entfernt und ca. 227 km vor Santiago) einer der größeren Städte auf dem Camino, wo es u.a. sicher auch einen richtigen Supermarkt geben wird, der alles hat, was das Herz begehrt, vom Orangensaft bis zum Vollkorn-Baguette. Deshalb also kann ich unbesorgt ohne weiteren Proviant in den gerade beginnenden Tag starten.

Schritt für Schritt, Tag für Tag (Foto: Thomm)

Schritt für Schritt, Tag für Tag (Foto: Thomm)

Um ungefähr halb 9 erreiche ich Ponferrada, wo es vor den Toren der berühmten Templerburg ein einladendes Café mit Konditorei gibt. Anders als üblich schaue ich von draußen ein wenig intensiver in das Café hinein und entdecke, man glaubt es kaum, hinter der Theke das Bild der pilgernden Gottesmutter von Schönstatt. So habe ich einen Grund mehr, hier einzukehren und mir einen Kaffee con leche zu gönnen. Die zweite Entdeckung ist eine Orangensaftpresse. „Quanda costa?“ „2,30 Euro“. Etwas teuer denke ich noch und bestelle einen Kaffee con leche, einen Orangensaft und dazu ein Croissant.

Als ich das Tablett mit diesen Köstlichkeiten von der Theke abhole, frage ich, was das für ein Bild sei und bekomme erklärt, dass dieses Bild von Schönstatt ist. Darauf stelle ich mich vor und das Gespräch wird immer vertrauter. „Das Bild kommt aus Italien, von Pater Ludovico.“ Ich ergänze den Nachnamen. „Ja und Pater Carlos beginnt hier immer seinen Camino.“ „Pater Carlos Padilla“ ergänze ich. „Ja, genau.“ „Wir haben zusammen studiert.“ „Und es gibt auch ein Schönstatt-Heiligtum hier.“ „Liegt es auf dem Camino?“ „Ja, ungefähr, aber das erkläre ich ihnen später, frühstücken sie erst mal in Ruhe.“

Die Gottesmutter von Schönstatt am Wegrand (Foto: Thomm)

Die Gottesmutter von Schönstatt am Wegrand (Foto: Thomm)

Also genieße ich mein Frühstück, und als ich fertig bin und bezahlen möchte, erfahre ich, dass dieses Frühstück eine Einladung war, und dass der ältere Herr, der in der Zwischenzeit am Nachbartisch Platz genommen hatte, ihr Vater ist und mich mit dem Auto zum Heiligtum nach Cabaña bringen wird. Ich frage noch, wie weit das sein wird, denn vor mir liegen heute noch gut 20 km Fußmarsch. „15 km“ „o.k. – dann komme ich gerne mit.“

Das Café gehört also der Familie und die beiden Töchter bedienen hier. Der Vater hat noch einen kleinen Textilladen in der Nähe. Und schon sind der Vater und ich unterwegs, zunächst zum Hausheiligtum in einer gepflegten Etagenwohnung und dann mit dem Auto durch die Innenstadt von Ponferrada und nach Cabaña hinaus: Ein wunderschönes Heiligtum in der Form des typischen Mineneingangs der Kohleminen, die in Ponferrada ein wichtiger Wirtschaftszweig sind.

Wir erneuern das Liebesbündnis und bitten um den Segen. Obwohl der Vater ausschließlich spanisch spricht, können wir uns ein wenig unterhalten. Ja, ich fühle mich schon fast halbwegs als Spanier. Denn ich bin inzwischen schon mehr Tage in Spanien, als mein Spanischwortschatz Worte zählt. Oft gehen Unterhaltungen dann so: Ich spreche englisch, die andere Person spricht spanisch und am Ende haben wir beide den Eindruck, uns zu verstehen.

Voller Freude mache ich mich – eigentlich viel zu spät – wieder auf den Weg und bekomme noch ein dickes Proviantpaket mit (Orangen, ein halbes Baguette mit frisch zubereitetem Rührei, und Mineralwasser). Deshalb also hatte ich nicht für mehr Proviant sorgen brauchen!

Das Ziel immer im Herzen: Die Kathedrale von Santiago de Compostella (Foto: Thomm)

Das Ziel immer im Herzen: Die Kathedrale von Santiago de Compostella (Foto: Thomm)

Die Mittagshitze (35° im Schatten und mehr) liegt heute natürlich komplett in der Zeit des Marschierens. Doch mit ein paar kleinen Pausen im Schatten ist das kein Problem. Und es hat noch einen Vorteil: Wenn es so richtig heiß ist, dann sind die Hunde hier so erschöpft, dass sie einen im Vorbeigehen nicht mehr wie wild anbellen, sondern nur noch müde ein Auge öffnen.

Der Saft der dunklen, vollreifen Trauben, von denen ich gelegentlich am Wegrand eine Beere nasche, ist zuckersüß und  durch die Sonne richtig warm.

Das Sahnehäubchen des heutigen Tages ist eine kleine gepflegte neue Herberge, in der vegetarisch gekocht wird und das Angebot einer geführten Meditation besteht. Aber vorher gibt es eine wohlverdiente Dusche, das tägliche Waschen, dieser Eintrag ins Tagebuch und natürlich die Heilige Messe, heute unter einem schattigen Kastanienbaum – man kann schließlich nicht jeden Tag in einer Kathedrale wie Le Pluy oder Santiago zur Konzelebration eingeladen werden.

Das Leben beim Pilgern ist wirklich sehr, sehr intensiv. Man erlebt fast alles – auch den besonderen Segen von oben.

P. Markus Thomm, September 2012

 

Wer sich für die Route von Pater Markus interessiert: Er ist zu Fuß in Stuttgart am Heiligtum losgegangen durch den Schwarzwald über Calw, Erbersbronn, Mummelsee, Ottenhöfen nach Oberkirch und Kehl. Diese Route des Jakobsweges ist völlig neu und noch nie so begangen worden! Anders sieht es ab Straßbourg aus, wo der Camino von Speyer dazustößt. Er verläuft über die westlichen Ausläufer der Vogesen, Belfort, Mont Roland, Taizé und Cluny, Le Puy und Aubrac, Saint-Jean-Pied-de-Port, Pamplona, Burgos, Leon, Ponferrada usw. bis Santiago de Compostela.


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