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2. Mai 2012 | Deutschland | 

Säkularisierung ist kein kognitives Defizit - Kongress zur Neuevangelisierung


Wohin ist Gott? Gott erfahren im säkularen Zeitalter

Hbre. Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, Freiburg, ist Schirmherr eines wissenschaftlichen Kongresses zum Thema Neuevangelisierung, der von 29. Mai bis 1. Juni unter dem Thema „Wohin ist Gott? Gott erfahren im säkularen Zeitalter“ in der Aula des Pater-Kentenich-Hauses auf Berg Schönstatt in Vallendar-Schönstatt stattfinden wird. Das Verschwinden von Religion aus der Öffentlichkeit und der Rückgang von Glaubenspraxis und Glaubenswissen sind Oberflächenphänomene der Säkularisierung. Die entscheidende Frage ist, wie der Mensch des ›säkularen Zeitalters‹ Gott erfahren kann, wo scheinbar nur rein innerweltliche Deutungskategorien zur Verfügung stehen, und wie theologisch verantwortliche Glaubensverkündigung geschehen soll, wenn sie die Existenzbedingungen spätmoderner Menschen ernst nimmt. In einem öffentlichen Abendvortrag spricht Erzbischof Zollitsch zum Thema: „Gott erfahren in einer säkularen Welt.“
In einem Interview mit Johannes Rutzmoser spricht einer der wissenschaftlichen Leiter des Kongresses, Prof. Dr. Joachim Söder, über Motive, Hintergründe und Hoffnungen, die mit dem Kongress verbunden sind.

Sehr geehrter Herr Professor, was motiviert denn einen Philosophen wie Sie, einen Kongress zum Thema Säkularisierung zu veranstalten?

Das Thema Säkularisierung ist eines der spannendsten und wichtigsten Themen in der zeitgenössischen Diskussion und stellt auch die Philosophie vor eine große Herausforderung, nämlich: Wie können wir uns das Verhältnis von pluraler Gesellschaft, wertgebundenen Überzeugungen und religiösen Einstellungen unter modernen Verhältnissen denken?

Säkularisierung ist ja ein Thema, das die Welt seit mehr als zweihundert Jahren begleitet. Wieso denn gerade in diesem Jahr ein Kongress zu diesem Thema?

Durch die fortschreitende Pluralisierung der Gesellschaft ist das Thema uns viel stärker auf den Leib gerückt, als das sich seit zweihundert Jahren angekündigt hat. Und hinzu kommt natürlich die tiefschürfende Analyse, die Charles Taylor in seinem Buch ,Ein säkulares Zeitalter‘ vornimmt, wo er – anders als bisherige soziologische oder theologische Interpretationen - das Phänomen Säkularisierung mit einer neuen Tiefenschärfe in den Blick nimmt.

Was ist der neue Punkt bei Charles Taylor?

Das Neue bei Taylor kann man sich am besten dadurch klar machen, dass man es von den alten Deutungen absetzt. Es gibt zwei große alte Interpretationen, wie Säkularisierung zustande kommt und was sie bedeutet. Die eine sagt: Säkularisierung ist das Verschwinden von Religion aus der Öffentlichkeit. Gut – das können wir feststellen, das ist ein Prozess, der insbesondere im zwanzigsten Jahrhundert sich enorm verstärkt hat. Aber diese Erklärung bleibt auf der Oberfläche. Sie führt uns nicht zu den eigentlichen Wurzeln: Wie kommt so etwas?

Der zweite alte Erklärungstyp sagt: Säkularisierung bedeutet einen Rückgang des Glaubenswissens und der Glaubenspraxis. Salopp gesprochen: Die Kirchen werden immer leerer und die Menschen haben keine Ahnung, um was es in der Religion geht. Selbst wenn das stimmt, ist es noch eine Erklärung, die an der Oberfläche bleibt. Sie sagt uns nämlich nicht, wie es dazu kommt, dass der Glaube immer weniger wird. Dabei helfen auch theologische Metaphern nicht weiter, die sagen, Glaube würde verdunsten. Als ob Glaube irgendwie vom wässrigen in den gasförmigen Zustand übergehen könnte. Und jetzt kommt Taylor mit seiner neuen – und wie ich meine tiefergehenden Erklärung, und sagt: Das Phänomen Säkularisierung ist ein Prozess, der sich mit einer gewissen inneren Logik daraus ergibt, dass in einer pluralen Gesellschaft Menschen auf ganz unterschiedliche Art und Weise ihren Sinnbedürfnissen nachgehen können. Die einen finden nach wie vor Sinn darin, in den klassischen Formen der Religiosität. Aber neben diesen gibt es unter pluralen Verhältnissen ganz viele Alternativen. Und deswegen ist Religion nur eine Möglichkeit, ein sinnerfülltes Leben zu praktizieren, unter vielen anderen Möglichkeiten auch.

Steht also – plakativ gesagt – Kirche im Konkurrenzverhältnis zu Fußball, Shopping und so weiter?

Ja, ganz genau das. Sinnbedürfnisse können auf unterschiedliche Art und Weise gestillt werden, diese unterschiedlichen Arten, können ihrerseits nochmals bewertet werden. Möglicherweise ist das Shoppingerlebnis durchaus eine Zeit lang gut, ein bisschen Sinn in sein Leben zu bekommen, aber vielleicht ist es nicht so lange anhaltend, wie wenn ich eine Hoffnung auf Religion setze. Aber im Prinzip sind Fußball, Shopping, Lebensgenuss, Esoterik und so weiter alles Möglichkeiten, wie moderne Menschen unter pluralen Verhältnissen versuchen, ihr Leben sinnvoll zu leben.

Wohin ist Gott? Gott erfahren im säkularen Zeitalter, Einladungsprospekt

Wohin ist Gott? Gott erfahren im säkularen Zeitalter, Einladungsprospekt

Welchen Bereich muss die Kirche besonders in Augenschein nehmen und nachbessern, um dieser neuen Lage gerecht zu werden?

Alle Bereiche! Wenn das Christentum eine Botschaft für alle Menschen, für alle Kreaturen, wie es im Markusevangelium heißt, hat, dann kann man sich natürlich nicht nur engführen auf die eineinhalb Sinus-Milieus, die vielleicht noch von den traditionellen kirchlichen Angeboten ansprechbar sind, sondern dann muss man überlegen, wie man die Esoteriker, die Konsum-Materialisten, die modernen Performer wieder mit einem überzeugenden, und zwar auch einem argumentativ überzeugenden Angebot ins Boot holt.

Also in erster Linie eine pastorale Herausforderung?

Ja, auf jeden Fall. Die pastorale Herausforderung ist vielleicht die größte in der Kirchengeschichte, denn noch nie gab es einen dermaßen großen Pluralismus, in den hinein die Botschaft Jesu Christi verkündet worden ist.

Eine letzte Frage: Was erhoffen Sie sich von diesem Kongress?

Auf der einen Seite soll der Kongress die wissenschaftliche Reflexion über das Thema Säkularisierung weiter voran bringen. Charles Taylor hat sicher einen Weg angegangen, der aber noch lange nicht bis zum Ende durchbuchstabiert ist. In dieser Hinsicht erhoffe ich mir, dass der Kongress wissenschaftlich das Säkularisierungsphänomen noch weiter analysiert und damit Impulse in die Wissenschaft hinein sendet.
Zum anderen habe ich natürlich auch die Hoffnung, dass es praktische Auswirkungen gibt, da auch im Publikum Leute aus der pastoralen Praxis sitzen werden.
Zudem wünsche ich mir, dass kirchliche Entscheidungsträger zum Nachdenken darüber kommen, wie die Pastoral des 21. Jahrhunderts aussehen könnte, die das Säkularisierungsphänomen ernst nimmt, und sich nicht damit begnügt, Säkularisierung nur als ein kognitives Defizit, als ein Nichtwissen von Glaubensinhalten aufzufassen.

Mehr Informationen

  • Informationen zu diesem Kongress gibt es im Internet unter www.wohin-ist-gott.de.
  • Dort ist auch die Online-Anmeldung möglich.
  • Schriftliche Anmeldung möglich bei: JKI-Sekretariat z. Hd. Frau Stein, Berg Moriah, 56337 Simmern

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