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4. Mai 2011 | Rom | 

Ein pilgernder Papst in der Nähe der Menschen


Interview mit Kardinal ErrázurizROM/SCHÖNSTATT. Aus Anlass der Seligsprechung von Papst Johannes Paul II. am Sonntag, 1. Mai 2011, weilte Kardinal Francisco Javier Errázuriz Ossa, emeritierter Erzbischof von Santiago, Chile, in Rom - und zuvor besuchte er einige Tage Schönstatt. Anlass für den Chefredakteur der  Trierer Bistumszeitung "Paulinus", Bruno Sonnen, den Kardinal in einem Interview nach seinen Erinnerungen an den Papst, der ihn zum Bischof geweiht hat, zu fragen... Das Interview erscheint auszugsweise in der Ausgabe vom 7. Mai 2011 und komplett auf der Internetseite des "Paulinus" - und hier.

 

 

Johannes Paul II im Heiligtum in Koszalin, PolenHerr Kardinal Errazuriz, Sie waren lange Jahre im Generalpräsidium von Schönstatt und in verschiedenen Funktionen für die Schönstatt-Bewegung tätig. Welches Verhältnis hatte Papst Johannes Paul II. zu Schönstatt?

Das Elternhaus von Johannes Paul II. lag auf dem Gebiet einer Pfarrei, in der Pallottiner wirkten, die die Verehrung der Dreimal Wunderbaren Mutter von Schönstatt förderten. Das Bild aus dem Heiligtum nahm einen bedeutenden Platz im Haus und im Herzen dieses Kindes ein, das einmal Papst sein würde. Ein anderer Umstand hat sich später seinem Gedächtnis tief eingegraben: eine große Dankbarkeit für die Hilfe, die Pater Josef Kentenich in Dachau den jungen polnischen Priestern gab, die mit ihm im KZ waren. Die positive Wertschätzung der Spiritualität Schönstatts drückte sich in den Ansprachen aus, in denen er darauf Bezug nahm; auch in der Tatsache, dass er Pater Kentenich ausdrücklich als Vorbild priesterlichen Lebens erwähnte, wenn ich mich recht erinnere, in Fulda bei seinem ersten Deutschlandbesuch.

Wie war Ihre persönliche Beziehung zu Johannes Paul II.?

Als Chilene haben zwei Momente meine persönliche Beziehung zu ihm geprägt. Seine Wallfahrt nach Chile: In einer sehr schwierigen Zeit für das chilenische Volk während der Pinochet-Diktatur ermutigte er ausdrücklich dazu, alle Kräfte zur Arbeit für die Armen zu mobilisieren, um so den Horizont der Pastoral zu weiten, die Volksfrömmigkeit zu unterstützen und die Mission unserer katholischen Universitäten im Dienst des Dialogs zwischen Glaube und Kultur. Er war es, der uns half, die Türen zur Demokratie zu öffnen. Darüber hinaus hatte er den Mut, die Vermittlung im Konflikt mit Argentinien anzubieten - und zu einem guten Ende zu führen -, im Wissen darum, dass Argentinien damals bereits beschlossen hatte, Chile den Krieg zu erklären, um seine Hoheitsansprüche über drei bedeutende Inseln durchzusetzen. Er hat so einen blutigen Konflikt unter Brudervölkern verhindert und uns dazu gebracht, einen Friedens- und Freundschaftsvertrag zu unterschreiben, der reiche und gute Frucht gebracht hat.

In der Religiosenkongregation ergab sich die Gelegenheit, mit ihm über vitale Themen der Ordensleute zu sprechen. Er trug mir beispielsweise auf, einen guten Text für die Konstitutionen von über sechzig Konventen der Unbeschuhten Karmelitinnen aufzusetzen, die die für andere traditionellere Klöster approbierten Konstitutionen nicht hatten übernehmen wollen. Schon bei einer dieser Besprechungen schlug er die Ernennung einer Frau des geweihten Lebens als Subsekretärin der Kongregation vor, eine Aufgabe, die bis dahin ausschließlich Priester innegehabt hatten. Mit großer Hoffnung berief er die Bischofssynode zum Geweihten Leben ein.

Später, als ich Vorsitzender von CELAM war, der Vereinigung der Bischofskonferenzen von Lateinamerika und der Karibik, arbeitete ich mit seiner Unterstützung an der Vorbereitung der fünften Vollversammlung des lateinamerikanischen Episkopates, die dann in Aparecida stattfand. Ich war verwundert, mit welcher Überzeugung er unsere Entscheidung dazu vorantrieb. Von seinen Lippen kam das grüne Licht, das wir brauchten, um die Versammlung einzuberufen: „Behaltet die euch eigene Form, euch zu versammeln" - womit er den Widerstand einiger seiner Mitarbeiter in Rom überwand, die sich dagegen ausgesprochen hatten. Sowohl er wie später auch Benedikt XVI. wollten diese Form des bischöflichen Arbeitens, die sich in dem fruchtbaren Abschlussdokument von Aparecida niedergeschlagen hat, bewahren, als Form des kollegialen Zusammenwirkens, die uns sehr hilfreich sein wird, wenn wir uns der vollen Gemeinschaft mit den orthodoxen Kirchen nähern.

Was ist Ihnen von dem polnischen Papst besonders in der Erinnerung haften geblieben?

Persönlich werde ich mich immer an die Art erinnern, wie er einen aufgenommen hat. Mich beeindruckte dieser Hirte, der voller Respekt und Zuneigung denjenigen aufnahm, den Gott als Mitarbeiter in seine Nähe gestellt hatte. Er hat mich als Person aufgenommen, mich und meine Erfahrung von Kirche, die so vollkommen anders war als die seine. Er hat genau so meine Sicht der Wirklichkeit aufgenommen und die Vorschläge, die mir sinnvoll erschienen, um manchmal schwierige Probleme zu lösen. Nur in meinen Gesprächen mit Pater Kentenich hatte ich eine ähnliche Erfahrung gemacht, die Erfahrung eines Aufgenommenseins, das wachsen lässt, großes Vertrauen schenkt und zur Freiheit der Kinder Gottes führt. Ich werde mich immer an seine Weisheit erinnern, ausgehend vom immerwährenden Dialog von Glaube und Vernunft, von Natur und Gnade. Nie werde ich vergessen, wie er sich den verschiedenen Menschen und Gruppen zuwandte. Oft tat er es ausgehend von der Berufung und Mission, die sie von Gott erhalten hatten, womit er ihnen den immensen Wert der Erwartungen zeigte, die die Menschen und der Vater im Himmel ihnen entgegenbrachten, und gab so Antwort auf die tiefste Sehnsucht und Erwartung seiner Gesprächspartner. Erst in diesem Licht zeigte er Schatten und Irrtümer auf, die es zu überwinden gelte. Auch werde ich nie seine Liebe zu Maria vergessen und seine Sicht ihrer Mission als Mitarbeiterin Christi in der Geschichte. Immer werde ich die Kraft seines Glaubens bewundern, die ihn dazu brachte, vor den Massen mit Mut das Evangelium zu künden und mit den Mächtigen der Welt ohne Furcht und ohne Schwanken zu reden. Immer werde ich an die Leichtigkeit denken, mit der er so viele Sprachen sprach - dabei beziehe ich mich auf die Hoffnungen und Stärken der so unterschiedlichen Kulturen -, um den Dialog jedes Volkes mit Jesus Christus und seinem Evangelium anzuregen und zu fördern.

Wie würden Sie seine weltgeschichtliche Rolle bewerten?

Bei diesem Papst ist es praktisch unmöglich, eine Trennlinie zu ziehen zwischen Initiativen zugunsten der Kirche und Initiativen zugunsten der Welt. Seine Sorge um die Kirche hatte soziale und globale Dimensionen. Johannes Paul II. wird mit Recht in die Geschichte eingehen als der große Papst, der den Schritt ins dritte Jahrtausend vorbereitet hat, indem er alle einlud, keine Angst zu haben und die Türen weit aufzumachen für Christus. Er tat es, indem er den ganzen Reichtum des II. Vatikanischen Konzils und den evangelisierenden Reichtum der Kirche ausbreitete, der sich am deutlichsten zeigt in so vielen Heiligen, in Bekennern und Märtyrern, die er der Weltkirche zeigte, damit alle, alle an ihre Berufung zur Heiligkeit glaubten.

Welche bleibende Botschaft hat Johannes Paul II. für uns?

Im Bewusstsein des Strebens der Menschheit zur Einheit, unterstützte er alle Initiativen, die zu Freiheit und Frieden führten, sei es in Osteuropa, in Lateinamerika, in Afrika oder Asien. Man wird von ihm sprechen als dem Papst des Falls der Berliner Mauer. Aber auch als dem Papst, der die kirchlichen Bewegungen und alle charismatischen Initiativen des Heiligen Geistes in der Kirche beheimatete. Er wollte das Leben in Christus betonen und jeden Weg zur Heiligkeit. Seine Initiativen und Schriften zum Vorantreiben des ökumenischen Dialogs wie des Dialogs von Glauben und Kultur haben historische Bedeutung. Er selbst hat mit seinem Beispiel zur Begegnung des modernen Menschen mit dem Evangelium eingeladen. Dazu erweiterte er auch den Horizont der Sozialenzykliken, indem er Ehe und Familie ebenso wie die Ökologie in die Themen aufnahm. Mit großer Wertschätzung für die Fortschritte in Forschung und Technik erinnerte er die Welt daran, dass diese unter Berücksichtigung von Ethik und Menschenwürde, ja der Würde aller Schöpfung, geschehen muss. Man kann hier keine vollständige Aufzählung machen, doch noch eine Tatsache von unzweifelhafter Bedeutung möchte ich anfügen: Durch seine Reisen in so viele Länder ist aus dem fernen Papst in Rom ein pilgernder, ein naher Papst geworden, der sich allen Ländern und den Armen aller Kulturen nähert. Durch seine Reisen gelang es ihm, dass die Erfahrung der Gläubigen von der eigenen Gemeinde, Pfarrei und Ortskirche erweitert wurde durch die wunderbare Erfahrung einer Weltkirche, einer wahrhaft katholischen Kirche. Davon geben die Millionen Jugendlichen Zeugnis, die an den Weltjugendtagen teilgenommen haben, und die Stein um Stein das Reich Gottes inmitten der menschlichen Gesellschaft aufbauen möchten, so wie Johannes Paul II. es ihnen in Toronto vorgeschlagen hat.

 

In Zusammenarbeit von „Paulinus" und PressOffice Schönstatt.

Die Fragen stellte Bruno Sonnen, Chefredakteur der Trierer Bistumszeitung „Paulinus". Das Interview erscheint auszugsweise auf der Titelseite des Paulinus (7. Mai 2011) und gleichzeitig auf der Internetseite des Paulinus.


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