Nachrichten

16. April 2017 | Dachau 2017 | 

Trotzdem gelebt


Trotzdem Gott Vertrauen (Fotomontage: Brehm)

Trotzdem Gott Vertrauen (Fotomontage: Brehm)

Elmar Busse. „Die besten Jahre meines Lebens habe ich verloren. Erst der Krieg, dann die Gefangenschaft!“ So klagte vor kurzem ein über 90jähriger. Verständlich, wenn er im Rückblick auf sein Leben seine Jugendjahre so einschätzt. Es gibt aber auch eine andere Möglichkeit, diese Zeit einzuschätzen.

 

„Trotzdem Ja zum Leben sagen“

Viktor Frankl schreibt in seinem Buch „trotzdem Ja zum Leben sagen“: „Wer von denen, die das Konzentrationslager erlebt haben, wüsste nicht von jenen Menschengestalten zu erzählen, die da über die Appellplätze oder durch die Baracken des Lagers gewandelt sind, hier ein gutes Wort, dort den letzten Bissen Brot spendend? Und mögen es auch nur wenige gewesen sein – sie haben Beweiskraft dafür, dass man dem Menschen im Konzentrationslager alles nehmen kann, nur nicht die letzte menschliche Freiheit, sich zu den gegebenen Verhältnissen so oder so einzustellen. Und es gab ein ‚So oder So‘.“[Viktor Frankl, Trotzdem Ja zum Leben sagen, Kösel Vlg.]

Ergänzen wir diese Beobachtung von Viktor Frankl mit der Äußerung eines Mithäftlings von Pater Kentenich. Nachdem sie ins KZ Dachau eingeliefert worden waren, machte sie ein Kapo mit den Lagerregeln vertraut. Ganz entsetzt flüsterte der Mithäftling seinem Nachbarn Kentenich zu: „Ob wir hier überhaupt wieder lebend rauskommen?“ Und am Tonfall konnte man merken, dass es eine rein rhetorische Frage war. Die Antwort Kentenichs verblüffte ihn: „Darauf kommt es doch nicht an, sondern ob wir hier den Willen Gottes erfüllen.“ Der Mithäftling gestand später, dass ihn diese Antwort in der Situation getröstet und aufgerichtet hätte. Warum wohl? In den Äußerungen des Kapo verdichtete sich die Botschaft: Ihr seid hier ein Nichts, habt keine Rechte, ihr seid ohnmächtig! Kentenich eröffnete dagegen einen Freiheitsraum, der bei aller Ohnmacht dem einzelnen blieb. Die Wiederentdeckung dieses Gestaltungsspielraumes – auch wenn er noch so minimal war – ermutigte den Häftling.

Konzentrationslager Dachau (Foto: Archiv)

Konzentrationslager Dachau (Foto: Archiv)

Leben aus dem Glauben an die Realität der Übernatur

Später, im Rahmen von Fastenvorträgen auf dem Priesterblock formulierte Kentenich als die große Reifungsherausforderung für sich und seine Mitbrüder: „Wir Priester im Konzentrationslager Dachau wollen in primitiven Verhältnissen nicht primitiv sondern naiv reagieren und, wenn Gott es will, entweder als starke Priesterpersönlichkeiten heldenhaft im Lager sterben oder als gereifte Priester später einmal fürs Gottesreich eifrig und fruchtbar weiterarbeiten.“[Engelbert  Monnerjahn, Häftling 29392, Vallendar 1972, S.134f.] Da das Wort „naiv“ heute eine eindeutig negative Bedeutung hat im Sinne von „unerfahren“ und „ahnungslos über die Abgründe der Bosheit und Perversion, die sich im Menschen auftun können“, müssen wir den Bedeutungsinhalt, den Kentenich dem Wort „naiv“ beimaß, erläutern. Für ihn bedeutete „der naive Mensch“ der „jenseitige Mensch“. So hatte er es schon vor seiner Verhaftung angesichts der Kriegsleiden und des Kirchenkampfes in seinen Exerzitienkursen thematisiert: Der „jenseitige Mensch“ ist der Mensch, der gesichert ist im Dunkel des Glaubens und Vertrauens, der aus dem Glauben an die Realität der Übernatur an die Dinge herantritt, sie aus dem Glauben heraus versteht und entsprechend handelt, der sein Leben als Teilnahme am leidenden und verklärten Heilandsleben begreift und freudig auf die Wünsche der ewigen Weisheit eingeht. [vgl. Engelbert Monnerjahn, a.a.O, S.134.]  Immer wieder kreist er um die Weltsicht  des Apostels Paulus: „Unsere Heimat aber ist im Himmel. Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter, der unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt seines verherrlichten Leibes, in der Kraft, mit der er sich alles unterwerfen kann.“ (Phil 3,20)

D.h. das Leben stand nicht einfach still, weil man aus seinen gewohnten Arbeits- und Seelsorgsaufgaben gewaltsam herausgerissen worden war. Das Leben ging weiter; und damit verbunden waren die vielen kleinen Entscheidungen und Kämpfe, um für sich selbst die Menschlichkeit zu retten: „Wir wollen nicht primitiv sondern naiv reagieren.“

Resilienz-Strategie

Es gibt Menschen, die spalten den Persönlichkeitsanteil, der Schreckliches erlebt hat, ab. Damit verbunden ist auch ein totaler Erinnerungsverlust. Sie wissen einfach nicht mehr, was in dieser Zeit geschehen ist. Aber „im Keller des Unterbewussten“ ist alles gespeichert. Solche Menschen können sich oft nicht erklären, warum sie auf bestimmte Geräusche, Gerüche. Melodien panikartige Angstzustände bekommen. In ihrem Alltag sind sie dadurch sehr behindert. Feinfühlige Therapeuten können dann doch Wege zu dem Verdrängten und Abgespaltenen bahnen. Aber das kostet viel Zeit und braucht ein tiefes Vertrauensverhältnis zwischen den beiden.

Kentenich hat das Schreckliche von Dachau verarbeiten können, weil er nicht bei der Analyse der Wirklichkeit stehen geblieben ist. Er hat diese Erlebnisse in den neuen Bedeutungsrahmen gestellt: Das ist meine Weise, auf die ich dem leidenden Christus nachfolge. Und diese Nähe zum kreuztragenden Jesus vermittelte ihm inmitten des Leids eine Möglichkeit die Liebe zwischen Jesus und ihm fließen zu lassen. Ähnlich erging es ja Simon von Cyrene, dem es objektiv schlechter ging als den Gaffern am Rande des Kreuzweges. Diese liebende Nähe zu Jesus dem Erlöser war in sich etwas Positives, was die Seele davor bewahrte, zu erstarren oder abzutauchen.

Aus diesem Selbstexperiment im Glauben hat der Häftling Kentenich eine Strategie entwickelt, die wir nach heutigen Maßstäben und Begrifflichkeiten als Resilienz-Strategie bezeichnen würden. Die Ursachen und Umstände, unter denen Menschen heutzutage in schreckliche Situationen hineingeraten können, mögen ganz anders sein als die Verhältnisse damals im KZ Dachau. Aber die Bewältigungsstrategien können genauso angewendet werden, wie sie Kentenich entwickelt und erprobt hat.

Mehr Informationen zur Jubiläumsfeier

  • 75 Jahre Schönstatt-Familienwerk, 75 Jahre Schönstatt-Institut Marienbrüder und 50 Jahre Begegnung mit Pater Josef Kentenich in der KZ-Gedenkstätte Dachau
  • Termin: 16. Juli 2017 (Programm von 9.30 Uhr bis etwa 17 Uhr)
  • Programm: Übersicht
  • Organisatorisches
  • Anmeldung (per E-Mail, Telefon oder Post) bis spätestens 20. Juni 2017 bei
    Anton Pfaffenzeller, Fliederstraße 11, 86529 Schrobenhausen, Tel. 08252 7941,
    E-Mail: anton.pf@t-online.de
  • DOWNLOAD Flyer

Top