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13. März 2017 | Was bewegt | 

Inhaftierung im KZ Dachau


Pater Josef Kentenich, 1941 (Foto: Archiv Marienschwestern)

Pater Josef Kentenich, 1941 (Foto: Archiv Marienschwestern)

Im März 1942 wurde der Gründer Schönstatts, Pater Josef Kentenich, von Koblenz aus ins Konzentrationslager Dachau überstellt, wo er vom 13. März 1942 bis 6. April 1945 inhaftiert war. Der Konflikt mit den Nationalsozialisten hatte sich mit Kentenichs Verhaftung am 20 September 1941 zugespitzt. Nach Dunkelhaft in Koblenz und einigen Monaten Haft im sogenannten „Karmelgefängnis“ war seine Überstellung ins Konzentrationslager aus Sicht der Nazis ein logischer Schritt. Dass für Pater Josef Kentenich und die damalige Schönstatt-Bewegung die Auseinandersetzung mit den Nazis und deren jeweiligen Folgen auch eine wesentliche übernatürliche Dimension des Glaubens an die göttliche Vorsehung beinhaltete, macht einmal mehr dieser abschließende Artikel einer fünfteiligen Serie aus der Feder des Schönstatt-Frauenbundes, Bayern, deutlich.

Den kühnen Weg des Glaubens nachgehen (Foto: Schönstatt-Frauenbund Bayern)

Den kühnen Weg des Glaubens nachgehen (Foto: Schönstatt-Frauenbund Bayern)

Den kühnen Weg des Glaubens nachgehen

Schönstatt-Frauenbund, Bayern. 11./13.3.1942. Seit November begleiten wir Pater Josef Kentenich auf seinem Weg durch die Dunkelhaft und die Zeit im Karmelgefängnis. Zermürbungstaktiken übersteht er innerlich frei, Entscheidungen haben sich angebahnt. Jetzt kommt dieser Prozess zu einem vorläufigen Abschluss:

Ankunft in Dachau

Durch seine Kontakte im Gefängnis erfährt Pater Kentenich schon ein paar Tage vorher von dem bevorstehenden Transport am 11. März 1942. Auf dem Bahnsteig in Koblenz ist noch ein kurzer Kontakt zu Marienschwestern möglich. Die zweitägige Fahrt verläuft unter strenger Bewachung. In Frankfurt warten auf die Häftlinge Hundegebell und eine provisorische Unterkunft, in Würzburg Handschellen, dafür aber ein sauberes Quartier mit Decken und eine Nudelsuppe. Am 13. März 1942 kommen sie endlich in Dachau an: Von vornherein wird klar gemacht, wer das Sagen hat. Unter Geschimpfe, Spott und Schikane werden die Häftlinge registriert, bekommen eine Nummer – der Name zählt hier nichts mehr. Pater Kentenich ist ab jetzt Häftling 29392. Die Kleidung und alles sonstige Eigentum muss abgegeben werden – militärisch exakt gegen Empfangsbestätigung.

Auch körperliche Gewalt fehlt nicht. So gibt es neben Schlägen z.B. einen Stuhl, in den ein Nagel mit einem Mechanismus eingebaut ist, der bei Bedarf den Neuankömmling ins Gesäß sticht – Pater Kentenich sagt später, er sei einfach sitzen geblieben, weil er ihnen die Genugtuung einer aufgeregten Reaktion nicht geben wollte. Sie werden kahl geschoren, geduscht – zu heiß oder zu kalt – und neu eingekleidet – natürlich nicht mit guten, neuen Kleidungsstücken. Später die passende Größe zu organisieren, bleibt den Häftlingen selber überlassen.

Wer die KZ-Gedenkstätte schon im Hochsommer oder im Winter besucht hat, kann sich vielleicht ein bisschen vorstellen, was die dürftige Kleidung bedeutete – bei stundenlangen Zählappellen, überfüllten Baracken, mehr oder weniger ungeheizten Arbeitsstätten, Arbeit im Freien. Auf Schritt und Tritt begleiten die Häftlinge eines Konzentrationslagers Willkür, Verbote, Schläge. Die mangelhafte Essensversorgung macht besonders im Hungersommer 1942 sehr zu schaffen und führt zu Krankheiten. Der Tod ist ein ständiger Begleiter – besonders für Arbeitsunfähige, für die von Zeit zu Zeit „Invalidentransporte“ zusammengestellt werden, von denen keiner zurückkehrt. Wer keine feste Arbeit hat, ist besonders gefährdet. Pater Kentenich entgeht im Juni 1942 nur knapp einem solchen Transport. Ein wohlgesonnener Blockältester sorgt daraufhin dafür, dass er im Strohsackkommando unterkommt.


Innere Freiheit

Sie bedrängen mich,
sehen jeden Schritt.
Alles was ich schreibe, wird gespeichert.
Sie haben es in der Hand.
Sie wollen mir Angst machen.
Ich soll tun, was sie wollen.
Sie wollen mich zerbrechen
und am Boden sehen.
Woher bekomme ich Kraft?
Habe ich den Mut, darüber zu reden?
Ich lasse mich nicht einschüchtern,
denn DU gehst mit mir!
DU sorgst für jede Kleinigkeit!

Leben im KZ

Wie lebt Pater Kentenich unter diesen Umständen? Natürlich leidet auch er unter den äußeren Bedingungen genauso wie alle anderen. Er magert ab, kann sich zeitweise kaum auf den Beinen halten. Erleichterung kommt im Herbst 1942, als die Paketsperre fällt und so auch Lebensmittel ins KZ gelangen dürfen. Auffallend ist hier sein Realitätssinn: Als er auf seine schlechte Verfassung angesprochen wird, antwortet er: „Ein paar Wochen noch!“ (10.1942) Sein Vertrauen auf die Gottesmutter geht bis in kleinste Kleinigkeiten: In der größten Hungersnot krönt er sie am 2. Juli 1942 mit seinen Getreuen zur Lager- und Brotmutter, Lageradvokatin und Lagerkönigin.

Er selbst sagt später: „Ein anderes Bild, das mir während der Zeit meiner Gefangenschaft sehr häufig vor Augen geschwebt hat, wie ein einfältiges Bild: Stellen Sie sich vor: Eine Mutter hat ein Kind zu gewärtigen. Wird nicht eine Mutter die besten Windeln vorbereiten für das Kind? Dies Bild ist mir immer durch den Kopf gegangen, als ich plötzlich aus einer Überfülle von Arbeit unter die Erde gesteckt wurde. Jetzt war auf einmal Schluss der Vorstellung. Menschlich gesprochen hätte man zusammenbrechen müssen. Der Gedanke: Das sind die besten Windeln, die der liebe Gott für dich vorbereitet hat, hat mich alles meistern lassen. … Auch in Dachau blieb immer die innere Einstellung: Das sind die besten Windeln! Da wurde z.B. einer totgeschlagen und man musste damit rechnen: Gleich ist die Reihe an dir. Was ist das? Das sind die besten Windeln!“ (29.12.1950) Dieser Glaube an einen liebenden Vatergott, an die Gottesmutter, die für ihn eintritt, an einen verborgenen Sinn, auch wenn die Situation noch so schwierig aussieht, ist es, der ihn äußerlich so ruhig und gelassen bleiben lässt, der ihn befähigt, sich für andere einzusetzen.

Alle Menschen sind Brüder

Wo er geht und steht, bemüht er sich, mit allen Menschen in positiven Kontakt zu kommen: manchmal einfach durch ein gutes Wort, durch eine aufmunternde Bemerkung, durch ein erklärendes Gespräch. Es gibt auch Situationen, in denen alle Beobachter den Atem anhalten, weil sie eine drastische Bestrafung fürchten, die aber immer ausbleibt. Oft kommt es vor, dass Aufseher ihn ins Vertrauen ziehen und ihm – natürlich im Geheimen – ihre Lebensgeschichte erzählen.

Wie kommt es dazu, dass viele seine Nähe suchen, dass Vertraute später diese Zeit mit dem „Himmel“ vergleichen? Da kann man zum Beispiel beobachten, dass er seine schmale Ration nie ganz isst oder einen Nachschlag, der ihm angeboten wird, anderen zukommen lässt. Später verteilt er aus seinen Päckchen an besonders Bedürftige. Der tiefere Grund ist wohl, dass ihm seine Verbundenheit mit Gott und der Gottesmutter eine innere Freiheit schenkt. „Alles kann ich in dem, der mich stärkt“ (vgl. Phil 4,13), schreibt er zum Beispiel in seinem ersten Brief aus dem KZ. Er fühlt sich seinem Gewissen verpflichtet und versorgt – trotz strengen Verbots – Mithäftlinge mit der hl. Kommunion oder hört Beichte. Wann immer es möglich ist, gibt er in Absprache mit dem Lagerkaplan seinen Mitbrüdern des Priesterblocks Betrachtungen oder hält z.B. während einer Quarantänezeit Vorträge.

Die Sorge um die Anvertrauten im Lager

Auch unter äußerlich schwierigsten Bedingungen gehört der 1914 gegründeten Schönstatt-Bewegung seine erste Sorge. Im Lager trifft er auf Weggefährten, die schon vor ihm verhaftet wurden. Gemeinsam können sie hier die Tragfähigkeit ihrer Ideale erproben. Gelegenheit zu Gesprächen bietet sich vor allem beim gemeinsamen Strohsackflicken. Dort spricht Pater Kentenich zum Beispiel über den jenseitigen Menschen, den naiven Menschen, der sich ganz als Kind des Vatergottes fühlt. In primitivsten Verhältnissen sei es wichtig, selber nicht primitiv zu reagieren. Deswegen wollen sie gerade jetzt besonders das Gebet pflegen.

Den Priestern fehlt natürlich das gewohnte, regelmäßige Gebet. Abhilfe wird durch kurze, in Versform gehaltene und dadurch leicht zu merkende Strophen für verschiedene Tageszeiten und etwas längere Morgen- und Abendgebete geschaffen. Später werden alle in Dachau entstandenen Gebete unter dem Titel „Himmelwärts“ herausgegeben, sie waren ja ein Mittel, den Geist aus der „Hölle von Dachau“ zum Himmel zu erheben.

Manche Häftlinge können für die Gemeinschaft gewonnen werden. So kommt es schon im Juli 1942 zu Weiheakten, welche die Gründung des Familienwerkes und des Säkularinstituts der Marienbrüder bedeuten. Durch das Zusammenleben mit ausländischen Priestern kommt es zu einer Ausbreitung in die Internationalität. Im Herbst 1944 hält Pater Kentenich drei geschichtlich wichtige Vorträge. Anlass waren Weihestunden der zwei Mitarbeiterkreise, des „Herzkreises“ und des „Handkreises“ (24.9.1944 und 8.12.1944) und der Jahrestag der Gründung Schönstatts am 18.10.1944. Die Beteiligten stehen dabei an der sogenannten Lagerstraße, an der Ecke einer Baracke zum Teil im Regen möglichst unauffällig beieinander, weil es in der Baracke zu laut dafür ist und religiöse Betätigung strengstens verboten ist. Das Gesagte wird später aus dem Gedächtnis niedergeschrieben.

Kontakte nach draußen

Auch die Mitglieder der Schönstattbewegung außerhalb des Lagers dürfen nicht vergessen werden: Zunächst gibt es die Möglichkeit über Briefe, die jeder Häftling alle zwei Wochen schreiben darf. In verklausulierter Sprache deutet Kentenich seine Lage an, ermutigt und muntert auf. Dieser Weg wird Ende 1942 versperrt. Zunächst kommt keine Post mehr an, dann werden Hinweise entdeckt, dass alles bei der Gestapo in Koblenz landet. Deswegen verzichtet Pater Kentenich auf diese Lebenszeichen. In der Folgezeit geben andere Schönstätter Informationen weiter. Außerdem tun sich neue Wege auf, Post auszutauschen.

Zur Führung und Stärkung der Marienschwestern entsteht in dieser Zeit zum Beispiel der Hirtenspiegel, ein langes Lehrgedicht. Das Buch „Die Werktagsheiligkeit“ fasst Grundlagen schönstättischer Geistigkeit zusammen. Kentenich diktiert die Texte. So kann er bei einem Verhör ehrlich sagen, dass er seit dem letzten offiziellen Brief keine Zeile mehr geschrieben hat.

Freilassung

Für Pater Kentenich war die Haftzeit in Dachau eine anstrengende Zeit, die er aber, soweit das irgendwie möglich war, auch für die weitere Entwicklung seiner Gründung zu nutzen verstand. Trotz seines Alters und seiner gesundheitlichen Probleme aus der Jugendzeit lebt er bis zum Frühjahr 1945 gut drei Jahre im Konzentrationslager. Dabei muss er auch zusehen, wie Kameraden sterben.

Kurz vor Kriegsende, am 6. April 1945, wird Pater Kentenich entlassen und kann sich nach Ennabeuren auf der Schwäbischen Alb durchschlagen. Nach Kriegsende wird er dort mit einem Auto abgeholt und kommt am 20. Mai 1945 nach Schönstatt zurück.


Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet am hellen Tag, und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet von den Dächern. Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann. Verkauft man nicht zwei Spatzen für ein paar Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Fürchtet euch also nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen. (Mt 10,27-31)

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