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20. Januar 2017 | Was bewegt | 

20. Januar 1942: Ein Hoffnungsschimmer und eine radikale Entscheidung


Pater Josef Kentenich, 1941 (Foto: Archiv Marienschwestern)

Pater Josef Kentenich, 1941 (Foto: Archiv Marienschwestern)

20.1.1942. Der Blick 75 Jahre zurück in die Geschichte der Schönstatt-Bewegung richtet sich auf Pater Josef Kentenich, der seit September 1941 im Gefängnis sitzt – zuerst 4 Wochen in Dunkelhaft im Gestapo­hauptquartier, dann im sogenannten Karmelgefängnis in Koblenz. Am 20. September 1941 wurde er verhaftet (vergl. Teil 1 der Artikelserie). Bis zum 18. Oktober 1941 musste er vier Wochen in Dunkelhaft verbringen (vergl. Teil 2 der Artikelserie). Wie sehr der Schönstatt-Gründer sein Schicksal vorsehungsgläubig mit dem der ganzen Schönstattfamilie verbunden sieht und deutet wird um Weihnachten 1941 bei der Entstehung der Mariengarten-Strömung deutlich. (vergl. Teil 3 der Artikelserie). Nun, auf den 20. Januar 1942 hin spitzt sich die Lage langsam zu. Eine Entscheidung liegt in der Luft. Mitglieder des Schönstatt-Frauenbundes, Bayern, greifen diese Situation im 4. Teil der Artikelserie „Den kühnen Weg des Glaubens nachgehen“ auf.

Den kühnen Weg des Glaubens nachgehen (Foto: Schönstatt-Frauenbund Bayern)

Den kühnen Weg des Glaubens nachgehen (Foto: Schönstatt-Frauenbund Bayern)

Den kühnen Weg des Glaubens nachgehen

Schönstatt-Frauenbund, Bayern. Am 13. Januar 1942 wird Pater Kentenich wieder einmal verhört. Der Ton wird schärfer. Die Beamten hätten gerne Beweise bzw. ein Geständnis gehabt, dass er gegen Partei und Vaterland arbeite und die Volksgemeinschaft zersetze. Da die Antworten nicht zu diesen Wünschen passen, droht die Gestapo mit Überführung in ein Konzentrationslager (KZ). Kurz nach dem Verhör schreibt Pater Kentenich eine Verteidigungsschrift, in der er auf Verfahrensfehler hinweist.

Am 16. Januar 1942 folgt eine sehr oberflächliche, gesundheitliche Untersuchung, die ihm die Lagerfähigkeit bestätigt. Pater Kentenich ist zu diesem Zeitpunkt immerhin 56 Jahre alt und war in jungen Jahren schwer lungenkrank.

Auch der sogenannte Schutzhaftbefehl – das deutsche Volk muss vor ihm „geschützt“ werden – wird ihm in diesen Tagen ausgehändigt.

Gläubige Überzeugung

Er bittet darum, dass sich niemand in der Familie Sorgen machen solle. Das liegt an dem größeren Zusammenhang, in dem er seine Haft und seine Beziehung zur jungen Schönstattfamilie sieht:

„Der Kampf um mich und mit mir ist der Kampf des Diabolos (des Teufels) gegen die Familie. ... Meine Freilassung bedeutet darum auch Freigabe der Familie. Andererseits glaubt man aber auch, durch meine Fesselung die Familie in Fesseln gelegt zu haben.“ (22.12.41)

„Ich sitze nicht meinetwegen oder einer Ungeschicklichkeit wegen, sondern der Familie … wegen. Darum ist die Familie mit mir und in mir gefangen. Wie ich, so müssen darum auch Sie die Gefangenschaft ausnützen wie ein persönliches Los und Schicksal. Das tun Sie, wenn Sie wie bisher in unentwegter Treue sich für die Ideale der Familie verzehren, auch dann, wenn neue Prüfungen kommen.

Ich hoffe zu Gott, manchen Schicksalsschlag, der für die Familie vorgesehen ist, auffangen und allein tragen zu dürfen. Aber, aber – ganz werde ich das nicht können. Rüsten Sie sich darum! In edlem Wettstreit wollen wir versuchen, einander würdig zu sein und Gottes und der Gottesmutter immer würdiger zu werden, …“ (Zum 25.12.1941)

Ein Hoffnungsschimmer und eine radikale Entscheidung

Seine Vertrauten bleiben nicht untätig und versuchen, einen KZ-Aufenthalt zu verhindern. Es gibt einen kleinen Hoffnungsschimmer. Der Arzt ist bereit, die Untersuchung zu wiederholen. Die einzige Bedingung ist, dass sich Pater Kentenich bis zum 20. Januar 1942, 17.00 Uhr selber krank meldet. Seine Reaktion zeigt wieder seinen tiefen Glauben, aber auch das nüchterne Abwägen aller Möglichkeiten: „Für deinen guten Rat  danke ich. Lasst mir etwas Bedenkzeit ... Wirst sehen, es steht eine höhere Macht über unserm Leben, die alles zum Besten lenkt. Im Übrigen bedeutet das Urteil des Arztes nicht viel. Kürzlich ist ein Geistlicher ins Lager gekommen, der lagerunfähig geschrieben.
... Kannst Du Dir vorstellen, dass es mir gar nicht so ‚recht‘ wäre, wenn ich nicht ins Lager käme? Dort warten viele Bekannte. Und dann – die ersten 4 Wochen waren schlimmer als das Lager. Es lebe die Treue!“ (19.1.42)

Es müssen schlimme Stunden gewesen sein: Die Schönstattfamilie drängt ihn dazu, sich krank zu melden. Die Aussichten sind allerdings nicht groß. Und die wichtigste Frage: Was ist der Wille Gottes? Am 20. Januar 1942, in einer im Geheimen zelebrierten hl. Messe, gewinnt er die Überzeugung, dass er in diesem Fall sein Vertrauen allein auf Gott und nicht auf menschliche Mittel setzen soll. Er versucht in vielen Briefchen zu erklären, zum Mitgehen anzuregen:

„Eben während der heiligen Wandlung kommt mir die Antwort auf die gestern offen gelassene Frage. … Nimm es also nicht übel, wenn ich euren Rat nicht annehme. Versucht mich zu verstehen.“ (20.1.42 morgens)

„Ich kann mich dazu nicht entschließen. … Hier steh ich ... und kann nicht anders ... Ich weiß, was auf dem Spiele steht, und denke an die Familie, ans Werk ... Aber gerade derentwillen glaube ich, so handeln zu müssen. Suchet erst das Reich Gottes ... und alles Übrige wird euch zugegeben ... Aber ... die menschlichen Mittel? Lehren wir denn nicht, dass man sie anwenden muss? Aus allem, was Ihr versucht, muss ich schließen: Reichlich ist nach der Richtung getan, was normalerweise zu tun ist.“ (20.1.1942 mittags)

„Danke Ihnen ... nochmals für die rührende Sorge. – Gelt, Sie verstehen, dass ich in diesem Fall anders handle, wo es sich um mich dreht. Ich hätte an Ihrer Stelle jedoch genau getan, wie und was Sie getan. Vielen Dank, dass Sie meine scheinbar unverständliche Handlungsweise verstehen.“ (22.1.1942)

„Die Macht des Teufels ist vorläufig gebrochen. Wenn wir uns alle ernst bemühen …, hat er das Gegenteil erreicht von dem, was er wollte ...“ (23.1.42)

Ähnliche Entscheidungen finden wir seit der Christenverfolgung der ersten Jahrhunderte in der ganzen Kirchengeschichte. Es ist wohl eine besondere Gnade, wenn ein Mensch fähig ist, sein Vertrauen in schwierigsten Situationen so total auf Gott zu setzen und dadurch für ihn Zeugnis abzulegen. Und doch liegt der Zug zum Großen im menschlichen Wesen: Wie viele Eltern stellen sich vor ihr Kind, wenn es in Gefahr ist?

Wann kommt die Freiheit?

So wie Pater Kentenich schon 1914 den 1. Weltkrieg als „ein außerordentlich förderndes Hilfsmittel … für das Werk eurer Selbstheiligung“ (18.10.14) sieht, erkennt er in den jetzigen Schwierigkeiten den Anruf zu einer vertieften Hingabe an den Dreifaltigen Gott. Die Überzeugung ist so intensiv, dass er glaubt, schon bald frei zu werden, wenn nur die führenden Köpfe der Schönstattfamilie sich ganz Gott hingeben. Als Termin vermutet er den 2. Februar 1942, das Fest Maria Lichtmess. Tatsächlich erfährt man später, dass genau an diesem Datum die Entscheidung gefallen ist, Pater Kentenich nicht nach Mauthausen, sondern ins etwas gemäßigtere KZ Dachau zu verlegen, in dem die Überlebens­chancen deutlich höher sind. Bis dahin vergehen allerdings noch einige Wochen.

„Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst.“ (Mk 14,36)

Ich soll mich entscheiden.
Wenn ich nichts tue, wird es schwierig.
Ist ein Ausweg möglich?
Hier ist ein Hoffnungsschimmer!
Aber ist der bequemere Weg auch der bessere?
Kann ich so vor den anderen bestehen?
Noch wichtiger: Was will Gott, dass ich tue?
Letztlich ist er ja mein Ziel.
Vertraue ich genug, dass ich den schwierigen Weg mit ihm gehe?
Oder gibt er mir hier die Möglichkeit auszuweichen?
Eine allgemein gültige Lösung gibt es nicht.
Ich kämpfe und ringe.
Herr, zeige mir, wo es hingeht!
Nimm mich an der Hand und segne mich!

„Aber bevor das alles geschieht, wird man euch festnehmen und euch verfolgen. Man wird euch um meines Namens willen den Gerichten der Synagogen übergeben, ins Gefängnis werfen und vor Könige und Statthalter bringen. Dann werdet ihr Zeugnis ablegen können. Nehmt euch fest vor, nicht im Voraus für eure Verteidigung zu sorgen; denn ich werde euch die Worte und die Weisheit eingeben, sodass alle eure Gegner nicht dagegen ankommen und nichts dagegen sagen können. … Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen.“ (Lk 21,12-15.19)


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