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18. August 2015 | Worte des Bewegungsleiters | 

Begleitung beim Sterben - keine Hilfe zum Sterben - Die Würde des Menschen reicht über den Tod hinaus


Jubiläumsmotiv 2015 der Schönstatt-Bewegung in Deutschland (Grafik: Kiess)

Jubiläumsmotiv 2015 der Schönstatt-Bewegung in Deutschland (Grafik: Kiess)

Liebe Mitglieder und Freunde unserer Schönstatt-Bewegung!

Woran denken Sie, wenn Sie das Wort „Europa“ hören? Ich muss zugeben, dass einer der ersten Gedanken „Geld“ ist – viel Geld! Ein Bruchteil der vielen Milliarden würde bei uns vieles lösen. Der Kurs des Euro, die Krise Griechenlands, Staatsbankrott, Grexit, Finanzkrise, Rettungsschirm, Subventionen, Schuldenschnitt – sind Stichwörter, die jeden Tag Schlagzeilen machen. Wofür steht Europa? Am Beginn der Europäischen Union stand der Friedenswille. Eine Einheit in Verschiedenheit war erstrebt worden. Was hält zusammen? Worauf kann diese Gemeinschaft aufbauen? Die Frage nach gemeinsamen Werten beschäftigt uns in Deutschland, in der Europäischen Union und in allen multikulturellen Gesellschaften. Das Christentum ist nur eine von vielen Stimmen.

Eine unverbrüchliche Würde vom Beginn des Lebens bis zum Ende

Christen erleben sich im Gegensatz zu einem Machtgebilde, mit dem man in bestimmten Fragen ringen muss. Sie konkurrieren mit gesellschaftlichen Strömungen und mächtigen Lobby-Gruppen, die im Hintergrund Einfluss nehmen. Es geht um den Menschen, seine unverbrüchliche Würde vom Beginn bis zum Ende. Papst Franziskus hat am 25. November 2014 in seiner Rede vor dem Europaparlament in Straßburg an die Grundlage der europäischen Einigung erinnert: „Im Mittelpunkt dieses ehrgeizigen politischen Planes stand das Vertrauen auf den Menschen, und zwar weniger als Bürger und auch nicht als wirtschaftliches Subjekt, sondern auf den Menschen als eine mit transzendenter Würde begabte Person.“ Dann weist er auf die derzeitige Entwicklung hin, die diese Würde nicht mehr für alle gleichermaßen gelten lässt: „Mit Bedauern ist festzustellen, dass im Mittelpunkt der politischen Debatte technische und wirtschaftliche Fragen vorherrschen (…). Der Mensch ist in Gefahr, zu einem bloßen Räderwerk in einem Mechanismus herabgewürdigt zu werden, der ihn nach dem Maß eines zu gebrauchenden Konsumgutes behandelt, so dass er – wie wir leider oft beobachten –, wenn das Leben diesem Mechanismus nicht mehr zweckdienlich ist, ohne viel Bedenken ausgesondert wird, wie im Fall der Kranken, der Kranken im Endstadium, der verlassenen Alten ohne Pflege oder der Kinder, die vor der Geburt getötet werden.“

Begleitung beim Sterben - keine Hilfe zum Sterben

Der 18. in diesem Monat liegt zwischen zwei Marienfesten, die inhaltlich sehr ähnlich sind: Mariä Himmelfahrt und Maria Königin. Diese beiden Feste können ein Licht werfen auf eine der aktuellen Fragen, die nach dem Ende des Lebens: aktive Sterbehilfe ja oder nein. Gestern hörte ich einen Politiker im Radio-Interview, der sich für den assistierten Suizid aussprach. Wenn ein Mensch, der bei klarem Bewusstsein sei und furchtbar zu leiden habe, sich ein Ende dieser Qualen wünsche und um Hilfe beim Suizid bitte, dann sei das seine ganz persönliche Entscheidung. Man müsse dem Menschen Freiheit und Mündigkeit zugestehen und dürfe hier einem Leidenden nicht die Hilfe versagen. Und dann begegnet einem im Alltag dieselbe Einstellung. Eine Frau aus Holland berichtet, wie sich ihr Vater von der Familie verabschiedete. Sein Bein war vom Fuß her am Absterben, und das Gift griff auf den ganzen Körper über. Die höchst-dosierten Schmerzmittel reichten nicht mehr. Er trank den vom Arzt gemischten Cocktail und verstarb kurz darauf.

Gegen die Argumente: persönliche Freiheit und Entscheidung; Ende der Qualen, sanftes Sterben … kommen wir wahrscheinlich im Alltag kaum an. Sollte dem Menschen verwehrt werden, was Mitleid jedem Haustier gewährt? Die Unterstützung für assistierte Sterbehilfe wird sich weiter ausbreiten und sich für immer mehr Menschen als schlüssig erweisen. Als Christen haben wir einen schweren Stand dagegen, wie auch in anderen Fragen. Ich bin der Überzeugung, dass es letztlich um die Frage des Glaubens geht, der uns sagt, wer und was der Mensch ist und was wir tun dürfen. Ob es einen Gott gibt, der allein das Recht über Leben und Tod behält, oder ob es in die Verfügungsgewalt des Menschen gestellt ist. Rein innerweltlich können wir verstehen, dass man den Qualen eines unheilbar kranken Menschen ein Ende setzen möchte. Ohne Glaube ist das Leben nur genau das wert, was es im Moment ist: wie es sich anfühlt, ob jemand jetzt zufrieden, glücklich und nützlich ist. Das ist das Fatale in der gesellschaftlichen Entwicklung, dass nicht mehr der Mensch in sich, sondern seine Funktion bestimmt, was mit ihm geschieht. Es klingt human, was zur aktiven Sterbehilfe gesagt wird. Als Christen werden wir auch niemanden verurteilen, der in seiner Verzweiflung einen Ausweg sucht. Aber wir werden nicht zustimmen, dass erlaubt sein soll, wenn Menschen an anderen oder an sich selber Hand anlegen, um das Leben zu beenden. Wir stehen für eine Begleitung der Menschen beim Sterben. Wir wollen beistehen, soweit es möglich ist, menschliche Nähe zeigen, Liebe erweisen. Wir möchten unseren Glauben an Gott, seine Güte und die Vollendung bei Ihm mit den Leidenden teilen. Womöglich wird die letzte und entscheidendste Phase des Lebens zur großen Chance, um Frieden zu finden und zu Gott. Untersuchungen erweisen: Dort, wo Menschen beim Sterben begleitet werden, verschwindet bei fast allen der Wunsch, dem Leben vorzeitig ein Ende zu bereiten.

Aber diese Position hat einen schweren Stand. Wie sich die in der Öffentlichkeit geführte Diskussion entwickelt, werden sich über kurz oder lang auch bei uns die Gesetze ändern. Wie jemand schon vor Jahren voraussah: Aufgrund unserer Bevölkerungsentwicklung und der damit verbundenen Überalterung wird es sich unsere Gesellschaft nicht mehr leisten können und wollen, dass Menschen im Alter noch lange medizinische Betreuung bekommen. Wieder stehen die Finanzen vor dem Menschen. Der Druck wird jedes Jahr größer. Einsamkeit, Beeinflussung durch Angehörige und mangelnde Versorgung können zu Ursachen werden, dass Menschen sich „genötigt“ fühlen, das Leben schnell zu beenden.

Die Würde des Menschen reicht über den Tod hinaus

Papst Franziskus wertet in seiner Rede die europäische Geschichte als eine, „die aus der fortwährenden Begegnung zwischen Himmel und Erde besteht, wobei der Himmel die Öffnung zum Transzendenten, zu Gott beschreibt, die den europäischen Menschen immer gekennzeichnet hat“. Das Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel steht für die unendliche Würde des Menschen, die auch über den irdischen Tod hinausreicht. Ein Leben in Ewigkeit begreift die kurze Spanne des irdischen Lebens als Teil eines großen Ganzen. Auch Leiden und Sterben gehören dazu und gewinnen einen Wert für das ewige Leben. In der Vollendung gehören sie zu den größten Schätzen, da sie in der erbarmenden Liebe Gottes geborgen werden. Wie Maria finden wir als ganze Menschen heim zu Gott und bei Ihm die Vollendung von allem, was war: die Krone des Lebens.

Ich wünschte mir, wir könnten alle dazu beitragen, was der Heilige Vater den Politikern mit auf den Weg gibt, „daran zu arbeiten, dass Europa seine gute Seele wiederentdeckt. Das Europa, das den Himmel betrachtet und Ideale verfolgt; das Europa, das auf den Menschen schaut, ihn verteidigt und schützt; das Europa, das auf sicherem, festem Boden voranschreitet, ein kostbarer Bezugspunkt für die gesamte Menschheit!“

Zum Bündnistag wünsche ich Ihnen den Segen des Himmels und Ermutigung von Maria, der „Königin der Menschenwürde“!

            P. Lothar Herter

Schönstatt–Bewegung Deutschland


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