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17. Oktober 2011 | Oktober-Treffen | 

Sind heilige Orte nur noch Phänomene der Vergangenheit?


Heilige Orte in einer säkularisierten Kultur? Podiumsgespräch (Foto: Marco Böhm)

Heilige Orte in einer säkularisierten Kultur? Podiumsgespräch (Foto: Marco Böhm)

Hbre. Eine öffentliche Podiumsveranstaltung im Rahmen der Delegiertentagung der deutschen Schönstattbewegung stellte sich unter dem Thema „Heilige Orte in einer säkularisierten Kultur“ der Frage nach dem Sinn und der Bedeutung heiliger Orte für die heutige Zeit. Unter der Leitung von Pater Dr. Joachim Schmiedl, Dekan und Professor für Kirchengeschichte der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Pallottiner in Vallendar sprachen auf dem Podium zu diesem Thema der international renommierte Wiener Architekt Dipl.-Ing. Franz Demblin, der Mainzer Professor für Pastoraltheologie Dr. Hubertus Brantzen, der Lufthansa-Flugkapitän Timo Wagner und der Leiter der Schönstattbewegung in Deutschland, P. Dr. Lothar Penners.

Haben Heilige Orte in der säkularisierten Kultur von heute überhaupt noch etwas zu sagen? (Foto: Marco Böhm)

Haben heilige Orte in der säkularisierten Kultur von heute überhaupt noch etwas zu sagen? (Foto: Marco Böhm)

Pater Dr. Joachim Schmiedl (Foto: Brehm)

Pater Dr. Joachim Schmiedl (Foto: Brehm)

Die etwas provozierende Frage, ob heilige Orte, wie sie aus dem Bereich aller Religionen bekannt sind, in der säkularisierten Kultur von heute überhaupt noch etwas zu sagen hätten, ob sie nicht nur noch Phänomene der Vergangenheit seien, stand am Beginn des Podiumsgespräches. In einer Zeit, in der doch eher Konsumtempel oder Fußballarenen wie Heiligtümer erlebt würden, stelle sich die Frage nach dem Kern des heiligen Ortes. Braucht es den realen heiligen Ort überhaupt noch angesichts der Tatsache, dass sich heute schon Gemeinden bilden im Cyber Space, z.B. um die von der Erzdiözese Freiburg im „Second Life“ abgebildete virtuelle Kirche der Reichenau?

Dr. Hubertus Brantzen (Foto: Marco Böhm)

Dr. Hubertus Brantzen (Foto: Marco Böhm)

Heimat, Identität und der Schrei nach Gott

Dr. Hubertus Brantzen lud zunächst zu einer Spurensuche entlang der A 61 von Mannheim nach Koblenz ein. Große Schilder an der Autobahn, auf denen jeweils der Dom abgebildet sei, wiesen auf Städte wie Speyer, Worms und Mainz hin. „Egal wie säkularisiert unsere Gesellschaft ist, ganz offensichtlich gibt es Städte in unserem Land, die sich definieren über ihren Dom, über das Heiligtum ihrer Stadt.“ Die Dome und Kirche der Städte seien offensichtlich identitätsstiftend. Brantzen berichtete von einer derzeit in Mainz anhängigen Diskussion über den Bau eines Großkaufhauses, das den Blick auf den Dom einschränken würde. Gegner des Projektes argumentierten, dass dadurch ein Stück Heimat als Schutzraum verloren gehen würde.

Demblin und Brantzen im Gespräch (Foto: Brehm)

Demblin und Brantzen im Gespräch (Foto: Brehm)

Neben Heimat und Identität, die zu den Grundbedürfnissen des Menschen gehören würden, liege die Bedeutung Heiliger Orte aber auch in der Begegnung mit dem Übernatürlichen. Als Beispiel nannte er die Kathedrale von Chartres, die aufgrund der erdfarbenen Gestaltung des Fußbodens und der Säulensockel und der im Raum herrschenden Dunkelheit auf den mittelalterlichen Pilger wie vom Himmel herabschwebend gewirkt haben müsse. Noch viel früher, nämlich in babylonischer Zeit, seien riesige Stufenpyramiden gebaut worden, auf deren Spitze ein kleines Heiligtum als Wohnraum für die Götter gestanden habe, damit der jeweilige Gott nicht so weit herunter habe steigen müssen. In solchen Bauten zeige sich der Schrei nach Gott als eines der Grundbedürfnisse des Menschen, wie er sich durch die gesamte Kulturgeschichte hindurch verfolgen lasse. Heilige Orte seien also eine Antwort auf die Grundbedürfnisse des Menschen nach Heimat, nach Identität und nach Nähe zu einer übermenschlichen Instanz. Insofern bedeute es viel für eine säkularisierte Gesellschaft, die von Gott angeblich nicht mehr viel wissen will, dass sie an der Autobahn A 48, auf der Brücke über den Rhein ein Schild aufstellen lässt, das auf den Gnadenort Schönstatt hinweist und damit der Transzendenz-Verweis auf der Brücke über den Rhein möglich werde.

Dipl.-Ing. Franz Demblin (Foto: Marco Böhm)

Dipl.-Ing. Franz Demblin (Foto: Marco Böhm)

Orte mit Bedeutung sind heute eher im öffentlichen Raum zu finden

Franz Demblin beschrieb in seinem Statement, dass in längstens 10 bis 15 Jahren drei Viertel der Weltbevölkerung in Städten mit über 100.000 Einwohnern leben werden. Mittelalterlich geprägte Städte hätten ihren Bewohnern gute Orientierung und damit Heimat gegeben. Sie seien klar gegliedert gewesen, seien es oft noch heute und hätten meist im Zentrum mit einer Kathedrale, einem Kloster, einem Hospiz, dem Rathaus oder dem Marktplatz einen quasi heiligen Ort gekannt. Die modernen Megastädte liefen Gefahr, aufgrund der Tatsache, dass Städteplanung und Architektur die Kraft des tradierten Ordnungsprinzips der abendländischen Stadt weitgehend eingebüßt hätten, diese Orientierung gebende und identitätsbildende Struktur ganz zu verlieren. Heute spreche man nicht von Orientierung, sondern von Transparenz, und Ausdruck dafür sei die überhand nehmende Verwendung von Glasflächen für die Gebäudegestaltung. „Je mehr Glas wir verwenden, desto mehr verschwindet ein traditioneller Raum, der aus Decke, Wand und Boden besteht; in eine Wand eingeschnitten ein Fenster, um den Bezug zur Außenwelt zu haben und Licht herein zulassen.“ Der traditionelle Raum sei in gewissem Sinn in Auflösung begriffen „und das bedeutet auch, dass die geschlossenen Wände des bisher Sesshaften allmählich verschwinden könnten.“

Nachfragen aus dem Publikum (Foto: Marco Böhm)

Nachfragen aus dem Publikum (Foto: Marco Böhm)

Dazu komme, dass durch die Cyber-Welt das Leben eine unendliche Beschleunigung erfahre und auch ein bestimmter Ort immer relativer werde. Dieses Leben des modernen Menschen, der ubiquitär lebe, also meine, überall hinzugehören oder überall gleichzeitig sein zu müssen, führe zwangsweise zu einer Art Nomadentum. Über Generationen hinweg hätten die Menschen in einem weitergegebenen Haus gelebt. Bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts habe ein Bürger oder ein Bauer daher gewusst, wie er sein Haus zu bauen habe. Heute sei dieses Wissen abhanden gekommen und trotz massenhafter Experimente würden Bauten sich immer mehr gleichen. Als Beispiele nannte er Flughäfen, die sich inzwischen auf der ganzen Welt immer ähnlich seien und dem Reisenden wenig Orientierung bieten würden.

Wenn man auf diesem Hintergrund frage, wo der heutige Mensch Heimat finden könne, dann sei das im Jetzt nicht mehr das Haus oder die Wohnung. Es sei eher ein Ort, der Bedeutung gibt, und das finde man heute am ehesten im öffentlichen Raum und zwar dort, wo er Atmosphäre bietet, etwas Typisches, etwas Unverwechselbares zum Ausdruck bringe. Deshalb sei in der Architektur heute nicht mehr Experimentieren angesagt, sondern eher Erinnern an gutes Wissen über die während Generationen gewachsene Stadt, die Ausdruck eines allgemein anerkannten kollektiven Bewusstseins sei. Daran gelte es anzuknüpfen, wenn man Heimat als einen Ort - in speziellem Sinn einen heiligen Ort für jeden persönlich - wieder finden wolle.

Lufthansa-Flugkapitän Timo Wagner  (Foto: Marco Böhm)

Lufthansa-Flugkapitän Timo Wagner (Foto: Marco Böhm)

Das Hausheiligtum als der Ort, der den Glauben in den Alltag bringt

Timo Wagner, der sich als hochmobiler Flugkapitän im Bild des modernen Nomaden durchaus wiederfand, orientierte seinen Beitrag an der Cockpitregel: „Kurze Flüge - kurze Ansage, lange Flüge - kurze Ansage.“ Nach einer knappen Beschreibung der Sonnen- und Schattenseiten seines Berufes wie Reisemöglichkeiten, Zeitdruck, Stress, ständig wechselnde Crews, Beziehungslosigkeit, körperliche Belastung, usw., sprach er darüber, wie wichtig ihm das Zuhause ist, die Beziehung zur Partnerin, zu den Kindern, aber auch zu Freunden, zur Gemeinde oder einem Familienkreis. Regelmäßig mit denselben Menschen in Kontakt sein zu können, das genieße er sehr und das helfe ihm, „die Batterien wieder aufzuladen“.

„Kurze Flüge - kurze Ansage, lange Flüge - kurze Ansage.“ (Foto: Marco Böhm)

„Kurze Flüge - kurze Ansage, lange Flüge - kurze Ansage." (Foto: Marco Böhm)

Neben der Natur als Ort der Entspannung und Ruhe gehöre aber auch das Schönstatt-Kapellchen seiner Heimatstadt, das ihm sehr ans Herz gewachsen sei, zu den Orten, wo er loslassen und sich selbst wieder finden könne. Er komme aus einem Milieu, wo das religiöse Leben am Sonntag zwischen 9.30 Uhr und 10.30 Uhr angesiedelt sei und ansonsten das normale Leben stattfinde. Die Erfahrung mit dem Hausheiligtum, das er in der Schönstatt-Familienarbeit kennen gelernt habe, führe dazu, „dass über diesen Ort in unserer Wohnung irgendwie der Glaube mit hinein kommt in unser Leben, in unser Familienleben, sogar in unser Ehepaar-Leben.“ Diese Erfahrung sei deshalb sehr schön, weil sie an jedem Zeitpunkt des Tages stattfinden könne.

P. Dr. Lothar Penners (Foto: Brehm)

P. Dr. Lothar Penners (Foto: Brehm)

Auf der Suche nach Zentrierung

„Der Mensch hat sowohl menschlich wie auch religiös eine Ausrichtung auf das, was man Heiligtümer nennen kann, und doch kann sich der Mensch ein Heiligtum nicht selbst geben.“ Mit dieser Grundthese seines Beitrages orientiere er sich am kulturphilosophischen Denken Pater Kentenichs über Fragen der Identität, der Desintegration unserer Städte und der Mobilität, sagte Pater Dr. Lothar Penners. Kentenich habe viele weiträumige kulturanalytische Überlegungen angestellt, die gipfelten in der Unterscheidung eines heilenden, ganzheitlichen, organischen Denkens von einem mechanistischen Denken. Auf den Fingernagel geschrieben sage Kentenich, dass es ein gesundes Denken gebe, das universal sei, dass zentriert sei, das organisch sei, weil es Natur und Übernatur zusammenfasse, das symbolisch und ganzheitlich sei. Diese Eigenschaften seien hilfreich, die Frage zu beantworten, ob Heiligtümer in einer säkularisierten Kultur auch heute noch entstehen könnten.

Für gläubige Menschen sei es kein großes Problem, in Erfahrungen des Alltages oder in besonderen Situationen das Handeln Gottes zu entdecken. Menschen, die im Vorfeld des Glaubens lebten, bräuchten allerdings einen Anstoß von außen, um zur Frage zu kommen, wo etwas herkomme, ob etwas überhaupt sein könne, wo überhaupt alles her komme? Kentenich sähe die menschliche Seele in ihrer bunten Dynamik von der Natur her, von der Schöpfung her, auf der Suche nach Zentrierung, nach dem Ort der Mitte, nach dem Heiligtum. Aber ein Heiligtum werde dieser Ort der Zentrierung erst durch den Glaubenskontext oder durch numinose Erfahrungen, also Erfahrungen einer Macht oder Kraft, die auf die Natur und den Menschen einwirke. Die alten Griechen hätten dafür ein wunderbares Wort gefunden, dass auf einem Tempel in der Ägäis zu finden sei: „Die Tat ist des Menschen, doch wiegt sie gering vor dem großen Erbarmen.“ Der Mensch könne einen Tempel bauen, aber die Gottheit müsse kommen und ihn bewohnen.

Viele interessierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer (Foto: Marco Böhm)

Viele interessierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer (Foto: Marco Böhm)

 


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