Verurteilungen durch das „Heilige Offizium“ - Es ging nicht nur Pater Kentenich so

In vielen Hausbibliotheken von Theologen stehen Bücher der berühmten Theologen Henri de Lubac SJ und Yves Congar OP. Bekannt wurden die beiden als herausragende Theologen und Berater des Zweiten Vatikanischen Konzils. Doch wer deren Lebensgeschichte anschaut, erschrickt darüber, wie die Kirche in Gestalt des „Heiligen Offiziums“ mit den beiden umging, – und entdeckt erstaunliche Parallelen zum Umgang dieser Behörde und deren Vertreter mit Pater Josef Kentenich.

Bei Henri de Lubac SJ (* 1896, † 1991, Frankreich) kam es zu einer Verurteilung „aus Versehen“. Seine theologischen Positionen waren in Rom in den Verdacht gekommen, modernistisch zu sein. Als Papst Pius XII. 1950 in der Enzyklika „Humani generis“ „einige falsche Ansichten“ verurteilte, „die die Grundlagen der katholischen Kirche zu untergraben drohten“, wurde dies von Beobachtern auf de Lubac bezogen, obwohl keiner der in der Enzyklika enthaltenen Vorwürfe auf dessen Werk zutraf. Die Ordensleitung der Jesuiten musste ein Lehr und- Veröffentlichungsverbot erlassen, ohne dass ihm mitgeteilt wurde, wessen er angeklagt war. Erst durch die Ernennung zum Konzilsberater wurde er „de facto“ rehabilitiert. [mehr]

Der Dominikaner Yves Congar OP (* 1904, † 1995, Frankreich) hatte sich in seinen theologischen Veröffentlichungen mit der Kirche als Volk Gottes, mit der Rolle des Laien, mit dem Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche und mit einem dynamischen Verständnis von Tradition befasst. Das waren Themen, die zu wichtigen Elementen der Diskussion auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurden. Doch vor dem Konzil waren es absolute Reizthemen, mit denen er besonders in Gegensatz zu Pater Sebastian Tromp kommen musste, der für das Dekret über die Kirche einen völlig anderen Entwurf erarbeitet hatte. Congar wurde gleich dreimal ins Exil geschickt, zuerst nach Jerusalem, dann nach Rom und nach Cambridge. In seinen Tagebuchaufzeichnungen vergleicht er mehrfach das Heilige Offizium mit dem Polizeisystem der Gestapo: „Ich bin zerschlagen, zerstört, verraten, von allem ausgeschlossen“, schreibt er verzweifelt. „Ich habe es mit einem rücksichtslosen System zu tun, einem System, das seine Ungerechtigkeiten nicht korrigieren oder gar anerkennen kann …“ Seine Rehabilitierung bestand in seiner Berufung in die Vorbereitungskommission des Konzils. [mehr]

Zu den Verurteilten jener Zeit gehörten ferner Theologen und Priester wie etwa der später heiliggesprochene Pater Pio (*1887, † 1968), der Italiener Don Primo Mazzolari (1890-1959), der sich für Frieden und Gerechtigkeit einsetzte, und der deutsche Kirchenrechtler Joseph Klein (1896-1976), der das Rechtssystem der Kirche hinterfragte, für eine Kirche der „freien Gefolgschaft“ eintrat und die Gewissensfreiheit stärker betont wissen wollte.

Besonders verdächtig erschien dem „Heiligen Offizium“ in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Verbindung von Theologie und Psychologie, speziell der Tiefenpsychologie und allen damit zusammenhängenden Fragen im Blick auf die menschliche Sexualität. So kam auch Dr. Anna A. A. Terruwe (* 1911, † 2004), eine katholische Psychiaterin aus den Niederlanden, ins Visier. Sie entdeckte eine sogenannte emotionale Deprivationsstörung und deren Heilung. Da sie sich in ihren Argumentationen auf Thomas von Aquin stützte, scheute sich die römische Behörde nicht, auch fachübergreifend Verurteilungen auszusprechen und ihr weitere Behandlungen zu verbieten. Sie wurde 1969 vom Papst in einer offiziellen Audienz empfangen. [mehr]

Anna Terruwe stützte sich u.a. auf Arbeiten des thomistischen Theologen Willem J. A. J. Duynstee (* 1886, † 1968, Niederlande). Beide hatten ein ähnliches Anliegen und kooperierten. Wie bei Anna Terruwe trat Pater Sebastian Tromp auf den Plan. Duynstee schätzte er als modernistischen Theologen ein. [mehr]

Parallelen zum Fall Josef Kentenich

In allen genannten Fällen erkennt man Ähnlichkeiten zur Vorgehensweise des „Heiligen Offiziums“ im Umgang mit Pater Kentenich. Die Causa Kentenich war also eine unter vielen, die von der römischen Behörde in vergleichbarer Weise behandelt wurde.

Im Unterschied zu den genannten Fällen war das Exil Pater Kentenichs ungewöhnlich lang und betraf nicht nur eine theologische Lehre, sondern eine weltweite und vitale Bewegung, der sich tausende Ehepaare und andere Laien, Priester und Schwestern zugehörig fühlten.

Interessant erscheint die Reaktion Pater Kentenichs auf das Vorgehen des „Heiligen Offiziums“. Sie zeigt, wie die Liebe zur Kirche sich mit Unerschrockenheit und Freimut verbinden kann:

“Das war für mich so klar: Du musst jetzt auch den Beweis liefern, wie man auch dem Offizium gegenüber bei aller Ehrfurcht, Folgsamkeit (und) Schmiegsamkeit unter allen Umständen freimütig bleibt. Als später der Kardinal von Köln (Frings) den Kampf geritten hat gegen Ottaviani, da habe ich damals kodifiziert, auch weitergeschickt: Wenn der Kardinal von Köln, wenn überhaupt der Gesamtepiskopat dem Offizium gegenüber freimütiger gewesen oder freimütiger geworden wäre, dann wäre eine Reform des Offiziums nicht notwendig, dann wäre auch dieser Ritt vor der Öffentlichkeit nicht notwendig gewesen. Ich sag' Ihnen das bloß so nüchtern, dass Sie sehen: Da war immer eine ganz klare Linie. Und immer unerschütterliche Unerschrockenheit.“[1]

Parallelen zwischen vom „Heiligen Offizium“ Verurteilten zog der deutsche Moraltheologe Bernhard Häring in seinem 1989 veröffentlichen Buch „Meine Erfahrungen mit der Kirche“:

„Innigen Anteil nahm ich an den seelischen Leiden meines holländischen Mitbruders Pater W. Duynstee, eines angesehenen Professors der Religionsgeschichte ... Bei einer kanonischen Visitation in Holland traf ihn der Blitzstrahl von Pater Tromp: er wurde aus Holland verbannt, ohne dass man ihm oder den Oberen einen konkreten Grund angab. Er durchlebte seine Verbannung mehrere Jahre in Sant' Alfonso [Rom] ... Tromp hatte nicht einmal selbst mit Duynstee gesprochen. … Erst in der Vorbereitungszeit des Konzils gelang es Kardinal Alfrink und Pater General [SJ], für ihn zuerst die Erlaubnis zu einem Besuch in Holland (aber nicht in Nijmegen!) und später die Heimkehr zu erlangen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie er mich fragte, ob die weitere Verbannung aus Nijmegen andere Gründe haben könne als der Wille des Heiligen Offiziums, doch recht zu haben.

Ein ähnlicher Fall, der mir bekannt wurde, war die Verbannung von Pater Kentenich, des Gründers der Schönstattbewegung und blühender Schwesternkongregationen. P. Tromp hatte ihn in die USA verbannt mit der strikten Anordnung, keinen Kontakt mit seinen Gründungen aufrechtzuerhalten. Er gehorchte vorbildlich. Während des Konzils bat mich Bischof Tenhumberg von Münster, die Schriften und Manuskripte von P. Kentenich zu prüfen und ein Gutachten für Papst Paul VI. darüber auszuarbeiten, was ich auch tat. Ich vermochte wahrhaftig nicht das Geringste zu entdecken, was nach Häresie aussehen könnte. Paul VI. ordnete die volle Rehabilitierung von Kentenich an. Die Art und Weise, in der sie stattfand, gab mir erneut sehr zu denken.“[2]



[1] Kentenich, Josef, Vortrag bei Priestern in Münster am 3.1.1966, in: Locher, P., Niehaus, J. u.A. (Hrsg.), Kentenich Reader. Ein Lesebuch, Bd. 1: Dem Vater begegnen, Vallendar 2011, S. 236.

[2] Häring, Bernhard, Meine Erfahrung mit der Kirche, 8. Auflage, Freiburg 1992, S. 112 f.


Beiträge zu einem umfassenderen Bild in der Causa Kentenich

In Kooperation verschiedener Personen aus der Schönstatt-Bewegung werden im Auftrag des Generalpräsidiums des internationalen Schönstattwerkes Themen bearbeitet, die Pater Josef Kentenich, den Gründer der Bewegung, betreffen und die derzeit angefragt sind. Dies geschieht aufgrund des jeweiligen aktuellen Kenntnisstandes, der sich aus den zugänglichen Dokumenten und Schriften ergibt. Die Ergebnisse der Forschungen und Gespräche sind jeweils in themenbezogenen Artikeln zu lesen. Ihre Vorschläge für Themen weiterer Artikel können Sie gerne senden an: mk@schoenstatt.de.

PressOffice Schoenstatt International

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